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Aus: Ausgabe vom 11.05.2023, Seite 7 / Ausland

Auf einer neuen Ebene

Serie. Teil 10: China und Russland. Kooperationswille stärker als Differenzen
Von Jörg Kronauer
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Chinas Außenminister Quin Gang (M.) neben seinem russischen Amtskollegen Sergei Lawrow am Rande eines Treffens der Shangai-Organisation in Indien (Panaji, 4.5.2023)

Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Ökonomisch erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.

Jörg Kronauer beleuchtet in der zwölfteiligen jW-Serie anhand zentraler Aspekte die Konsequenzen, die sich aus dem Aufstieg der Volksrepublik für die internationalen Beziehungen ergeben. (jW)

Der chinesische Verteidigungsminister Li Shangfu hat zuletzt am 18. April in Moskau bekräftigt, dass China und Russland eng zusammenarbeiten. Chinas Streitkräfte, teilte er nach intensiven Gesprächen mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Schoigu mit, »werden ihre Militärkooperation, ihre militärtechnischen Bindungen und den Waffenhandel« mit Russland ausbauen; man wolle die bilaterale Zusammenarbeit »auf eine neue Ebene heben«. Vier Wochen zuvor war bekanntgeworden, dass auch die russisch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen in neue Dimensionen vorstoßen. Der Handel zwischen beiden Ländern hat Rekordhöhe erreicht und wächst weiter. Ebenfalls im März hatten die Präsidenten beider Länder, Xi Jinping und Wladimir Putin, eine Vertiefung der »umfassenden strategischen Partnerschaft« beschlossen. Kaum ein Zweifel kann daran bestehen: Moskau und Beijing kooperieren auf ökonomischer, politischer und sogar militärischer Ebene intensiver denn je.

Das ist nicht selbstverständlich. Die russisch-chinesischen Beziehungen sind historisch durchaus belastet. Russland beteiligte sich im 19. Jahrhundert an den Eroberungszügen der Kolonialmächte in China. Wladiwostok, 1860 gegründet, war bis dahin ein chinesisches Fischerdorf. Auch die Sowjetunion und die Volksrepublik trugen zeitweise erbitterte Konflikte aus. 1969 kam es sogar zu Scharmützeln am Grenzfluss Ussuri mit zahlreichen Todesopfern. Seit den 1990er Jahren bauen Beijing und Moskau zwar die Zusammenarbeit systematisch aus. Als exklusives Bündnis war das ursprünglich aber nicht geplant. Als sich Putin kurz nach seinem Amtsantritt mit US-Außenministerin Madeleine Albright traf, erklärte er, er möge chinesisches Essen: »Aber das ist trivial. Es ist nicht unsere Mentalität, die ist europäisch. Russland muss ein fester Teil des Westens sein.« Dass Moskau seine Prioritäten damals noch klar in Europa sah, zeigen seine Erdgaspipelines: Sie verliefen bis 2014 alle in westlicher Richtung.

Das änderte sich mit den Maidan-Protesten und mit dem Umsturz in Kiew. Feindliche Aktivitäten des Westens waren für Moskau und Beijing bereits davor ein Treiber zur Annäherung gewesen. Nun intensivierte sich die Kooperation. Im Mai 2014 einigten sich beide Seiten auf den Bau der Pipeline »Power of Siberia«, die heute russisches Gas in die Volksrepublik leitet. Anfang 2019 gewann die Debatte über die Pipeline »Power of Siberia 2« an Fahrt. Allgemein wurde der Handel forciert, und auch die Streitkräfte beider Länder arbeiteten enger zusammen, gemeinsame Manöver eingeschlossen. Differenzen waren damit aber nicht aufgehoben. Aus Sicht der ökonomischen Macht China geht Moskau oftmals zu provokativ gegenüber dem Westen vor. Russland, dem es – global – an wirtschaftlichem Gewicht mangelt, nutzt seine Streitkräfte zur Konsolidierung der Macht. Es fürchtet allerdings, in einem engen Bündnis ökonomisch von China erdrückt zu werden.

All die Differenzen sind keineswegs beigelegt. So hat China die Abspaltung der Krim und ihre Aufnahme in die Russische Föderation bis heute nicht anerkannt. Auch den Angriff auf die Ukraine lehnt es im Grundsatz ab. Russland wiederum rüstet mit Indien und Vietnam Länder auf, die ernste Spannungen mit Beijing haben und somit russische Waffen gegen die Volksrepublik in Stellung bringen könnten. Dennoch kooperieren China und Russland miteinander – entschlossen, die westliche Dominanz zu brechen. Eines der Instrumente dafür ist die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), die 2001 von Russland, China und vier Staaten Zentralasiens gegründet wurde, um gemeinsam gegen – meist dschihadistischen – Terrorismus sowie gegen Separatismus vorzugehen. Als Sicherheitsbündnis konzipiert – und mitunter als »Ost-NATO« deutlich überhöht –, ist die SCO mittlerweile im Wachstum begriffen. 2017 nahm man Indien und Pakistan auf. Belarus und Iran befinden sich weit fortgeschritten im Aufnahmeprozess. Weitere Staaten haben sich ihr als »Dialogpartner« angeschlossen, darunter Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate und die Türkei. Ein Gegenpol zum Westen wächst.

Lesen Sie am Freitag Teil 11 (von 12): »Die BRICS«

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (12. Mai 2023 um 11:25 Uhr)
    »Teile und herrsche!« Bei der Formulierung meiner etwas unorthodoxen Hypothese gehe ich von dem einfachsten Aspekt des Ukraine-Krieges aus, der seit mehr als einem Jahr tobt. Die geopolitische Strategie des amerikanischen Imperiums besteht darin, alles zu tun, um seine Hauptkonkurrenten zu schwächen und das System der Beziehungen zwischen ihnen zu stören. Dies ist einfach eine konsequente Anwendung der seit Jahrtausenden bestehenden Logik des Teilens und Herrschens.

    Eingebettet in diesen Interpretationsrahmen ist die Zerstörung der langfristigen, auf gegenseitigem Nutzen basierenden deutsch-russischen Zusammenarbeit, die durch die Sprengung der Nord-Stream-Pipeline symbolisch »unterstrichen« wurde, durchaus verständlich. Sie hat damit beide Rivalen geschwächt und das System der Beziehungen zwischen ihnen zerstört. Das heißt: Ihre Ambitionen waren bisher eine lupenreine Verfolgung geostrategischer Axiome. Es ist auch verständlich, dass die USA aus diesem Grund versuchen, auch China zu schwächen, das immer mehr zu ihrem Hauptrivalen wird, indem das US-Imperium frontal gegen seine eigenen strategischen Interessen vorgeht und sogar Selbstmord in historischem Ausmaß begeht.

    Seit Ende der 60er Jahre hatte das US-amerikanische Imperium zunächst die Hoffnung, den Konflikt zwischen China und Russland, damals noch Sowjetunion genannt, durch eine spektakuläre Versöhnung mit dem früheren Rivalen und Feind China über alle denkbaren Grenzen hinaus zu verschärfen. Und dann versuchte es, logischerweise von seinem Standpunkt aus, sein Bestes, um China und Russland zumindest als verdächtige Rivalen zu nutzen. Aber in der gegenwärtigen, selbst entworfenen Eigenstrategie tun die USA vom ersten Moment an alles, um eine enge soziale, wirtschaftliche, politische und nun auch militärische Zusammenarbeit zwischen China und Russland zu entwickeln und zu festigen, die das gesamte globale Machtsystem radikal verändern wird.

In der Serie Auf dem langen Marsch. Chinas Aufstieg:

Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Wirtschaftlich erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.

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