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Aus: Ausgabe vom 10.05.2023, Seite 16 / Sport
Fußballrealität

Raus aus der Nische

Zur Diskussion um Ultras und Fanprojekte
Von Raphael Molter
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»Vereint gegen Repression« – das schließt normale Fans und Sozialarbeiter ein (Lübeck-Fans, 15.4.2023)

Fanprojekte protestieren schon seit Jahren für ein sogenanntes Zeugnisverweigerungsrecht, das den bei ihnen beschäftigten Sozialarbeitern ermöglichen würde, Aussagen vor staatlichen Stellen, v. a. gegenüber Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichten, zu verweigern. Ein wesentliches Element für solide Bündnisse in der Kurve, bei denen sich die beteiligten Personen aufeinander verlassen können: Weil soziale Arbeit unter aktiven Fans genauso notwendig ist wie überall in unserer Gesellschaft, weil wir in Verhältnissen leben, die uns vereinzeln, und weil wir uns gegenseitig immer wieder beibringen müssen, wie wir miteinander Konflikte demokratisch lösen können.

Nun geraten im Zuge der polizeilichen Frühlingsoffensive gegen Fußballfans auch die Fanprojekte ins Visier, wie der Fall Karlsruhe zeigt. Drei Mitarbeiter des dortigen Fanprojekts wurden von der örtlichen Staatsanwaltschaft vorgeladen, um über Fußballanhänger, die sie betreuen, auszusagen. Der Vorgang offenbare die Problematik der Vertrauensbeziehung zu den Sozialarbeitern, so die Kritik etwa der Stuttgarter Fanszene. Diese fordert nun: Ultras raus aus Fanprojekten!

Da muss gefragt werden: Ist das tatsächlich ein notwendiger Schritt zur Eigensicherung? Die kapitalistische Ellenbogengesellschaft macht vor den Stadien nicht halt und prägt auch die Fanszenen. »Frei und wild«, das war einmal, könnte man meinen. Über zwei Jahrzehnte Repressionen durch Staat und Verbände haben ihre Spuren hinterlassen. Die Subkultur schottet sich aus verständlichen Gründen immer weiter ab und gibt damit ihr Feld – das Stadion – Stück für Stück auf. Anwärter von Ultragruppierungen müssen oftmals über viele Jahre hinweg aktiv sein und sich den Weg in die Gruppen verdienen. Eine Praxis, die bereits in Fanzines als »Ultrasuniversität« kritisiert wurde. Der äußere Druck befördert Exklusion, die Brandmauern werden hochgezogen.

Dafür gibt es gute Gründe. Ultras wollten immer ihr eigenes Ding durchziehen können, nie in der Mehrheitsgesellschaft aufgehen. Diese Autonomie schafft im Fußball kleine Nischen, in denen ein besseres Morgen aufscheint. Doch die Probleme vieler Fanszenen erzwingen Diskussionen über die eigene Strategie: Dogmatisch die eigene Kultur verteidigen oder auf Bündnissuche gehen, um den Kampf nicht alleine führen zu müssen?

Gestandene Ultragruppierungen haben sich zumeist ein Hilfsnetz aufgebaut und haben eigene Leute für Rechtsfragen und Strukturen für den Nachwuchs. So sollte doch im Kern eine demokratische Gesellschaft funktionieren. Die Menschen kümmern sich umeinander und warten nicht auf Hilfe von oben. Man sieht sich, hört einander zu und tauscht sich aus, bietet Hilfe an. Der Umstand, dass sich ein Großteil der deutschen Ultras dennoch als unpolitisch versteht und dennoch so heftig bekämpft wird, macht den Widerspruch deutlich zwischen dieser Subkultur und einem Staat und einem Fußballbusiness, die sie nicht akzeptieren wollen.

Aber sich in die eigene Nische zurückzuziehen und primär ideologische Kämpfe auszufechten, ist der falsche Weg. Das ist eine defensive Haltung, die sich darauf beschränkt, gegen die nächsten Ungeheuerlichkeiten des kommerzialisierten Fußballs zu protestieren. Wer aber mit dem Rücken schon zur Wand steht, kann nicht mehr viel erreichen. Deshalb ist es unumgänglich, auf die Suche nach Verbündeten zu gehen. Weil man gemeinsam mehr erreicht als alleine. Und Ultras stärker sind, wenn sie andere Fans hinter sich haben und nie aus den Augen verlieren, dass sie mit diesen mehr Gemeinsames haben als Trennendes. So sieht das auch die ­»Curva Sud« von Cavese 1919, die in einem aktuellen Interview in dem ­Ultrasfanszine Erlebnis Fußball erklären: »Wir sind Teil der Welt, nicht ihre Herrscher. (…) Es geht um einen Ehrenkodex, der uns zuallererst Mensch und dann erst Ultras sein lässt.«

Die Debatte um den einzig wahren Umgang mit den Fanprojekten ist eine Scheindebatte, denn die wirklich wichtigen Fragen bleiben ausgespart. Die Sozialarbeiter in den Fanprojekten fordern schon seit Jahren das Zeugnisverweigerungsrecht. In einem gemeinsamen Statement machten sie nach der Vorladung ihrer Karlsruher Kollegen deutlich, dass sie polizeiliche Eingriffe nicht dulden. Ist Fernbleiben, Ignorieren oder gar Anspucken der richtige Umgang mit Menschen, die offensichtlich helfen wollen?

Ultras wollen »Fußball, Freunde, Freiheit« leben. Aber das lassen Staat und Gesellschaft nicht zu. Wenn die vergangenen Jahrzehnte und die neuerliche Gewaltwelle seitens der Polizei und Verbände eines lehren, dann, dass eine dogmatische Haltung nichts nützt. Es braucht Strategien, um als Ultras nicht nur überwintern, sondern auch Dinge ändern zu können. Die ausgestreckten Hände möglicher Verbündeter wegzuschlagen wird beim Kampf um einen besseren Fußball nicht weiterhelfen.

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