Bolsonaros braunes Erbe
Von Katharina Kirsch-Soriano da Silva und Sandino Patriota
Vier Jahre Jair Bolsonaro haben nicht nur eine Spur der Zerstörung in verschiedenen Bereichen der Sozialpolitik und des Umweltschutzes hinterlassen. Auch eine Verstärkung der Aktivitäten extrem rechter und neonazistischer Gruppen in verschiedenen Regionen Brasiliens gehört zur Regierungsbilanz des Ende Oktober als Präsident abgewählten Rechtsaußenpolitikers. Die auf die Untersuchung des Neonazismus spezialisierte Anthropologin Adriana Dias schätzte im Jahr 2021, dass die Zahl der Gruppen im Land bei 530 liegt, was einem Anstieg von 270 Prozent zwischen 2019 und 2021 entspricht und bis zu 10.000 Personen umfasst.
Tödliche Angriffe auf Kinder
Der Einfluss dieser Gruppen hat in den vergangenen Jahren dramatisch zugenommen. So wurden in der jüngsten Vergangenheit auch Anschläge in Schulen und Kindergärten verübt, die mit diesen Gruppen und deren ideologischem Einfluss in Zusammenhang stehen. Diese Art von Gewalttaten wurde in Brasilien bis Anfang der 2000er Jahre nicht beobachtet, hat sich aber mit vier Anschlägen allein in der zweiten Hälfte des Jahres 2022 gehäuft. Am 5. April dieses Jahres ereignete sich erneut ein tragischer Angriff in der Stadt Blumenau im Bundesstaat Santa Catarina, wo der Täter in eine Kinderkrippe eindrang und vier Kinder tötete sowie weitere fünf Kinder verletzte. Zwei Wochen davor war ein ähnlicher Angriff in einer Schule in São Paulo verübt worden, bei dem sechs Personen verletzt wurden. Eine Lehrerin überlebte dies nicht.
Justizminister Flávio Dino beauftragte daraufhin die Bundespolizei damit, Ermittlungen gegen Neonazigruppen einzuleiten, da es »Hinweise auf ein überregionales Vorgehen« gebe. Dino verband die immer häufigeren Angriffe auf Bildungseinrichtungen mit Faktoren wie der Verbreitung von Hass in der Gesellschaft durch ein dereguliertes Internet, unverantwortlichen Unternehmen und neonazistischen Gruppen, die Anreize zum Waffengebrauch liefern. Gerade in der südlichen Region Santa Catarina haben sie viele Mitglieder, die oft über virtuelle Gruppen in sozialen Netzwerken organisiert sind. In diesem Bundesstaat erhielt Bolsonaro bei den Präsidentschaftswahlen fast 70 Prozent der Stimmen. Adriana Dias hatte mit ihren Forschungen auch die Beziehungen zwischen Bolsonaro und verschiedenen extrem rechten Gruppierungen offengelegt. Historisch gesehen ist der Süden Brasiliens zudem die Region, in der die meisten Mitglieder der größten faschistischen Partei außerhalb Europas, der Brasilianischen Integralistischen Aktion (AIB), die von 1932 bis 1937 bestand, zu finden waren.
Staat gegen Konzerne
Die brasilianische Bundespolizei ermittelt auch auf Onlineplattformen. Im Zuge dessen war jüngst der Messengerdienst Telegram mit einer Geldstrafe belegt und für kurze Zeit sogar landesweit gesperrt worden. Die Betreiber hatten sich geweigert, die Identität der Verfasser rassistischer Postings in Telegram-Kanälen offenzulegen. Die amtierende Regierung des sozialdemokratischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva hat mittlerweile das Gesetz Nummer 2.630 vorgelegt, über das derzeit im Bundesparlament abgestimmt wird. Ziel des Gesetzes ist es, Konzerne wie Meta (Facebook, Whats-App, Instagram) und Alphabet (Google, Youtube) dafür verantwortlich zu machen, die Urheber von Äußerungen zu identifizieren, die auf ihren Plattformen gegen brasilianisches Recht verstoßen. Die großen Technologieunternehmen haben einen regelrechten Kreuzzug gegen das Gesetz geführt, indem sie die Regierung der Zensur beschuldigten und – laut einer Erhebung der Bundesuniversität von Rio de Janeiro – ihrerseits Instrumente zur Lenkung von Suchvorgängen einsetzten, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Die Konfrontation kommt zu einem heiklen Zeitpunkt, da Justiz und Polizei die Ahndung von Verbrechen, die während der Amtszeit Bolsonaros begangen wurden, verschärfen. Sie zeigt auch, dass Brasilien noch einen harten Kampf vor sich hat, um den Faschismus, seine wirtschaftlichen Reproduktionsstrukturen und sein institutionelles Handeln, das nicht nur in extrem rechten Organisationen und Zellen, sondern auch in den Streitkräften und der Polizei des Landes verankert ist, zu überwinden.
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