Beijing macht dicht
Von Jörg Kronauer
Steil abwärts: Das ist die Richtung, in die sich die Beziehungen von Deutschland und China schon bald bewegen könnten, sofern Berlin und Brüssel jene Maßnahmen umsetzen, die sie gegenwärtig planen. Die EU-Kommission will neue Sanktionen gegen Unternehmen aus der Volksrepublik verhängen – zum ersten Mal wegen angeblicher oder tatsächlicher Lieferungen an russische Rüstungsunternehmen. Man plant darüber hinaus Beschränkungen für Konzerne aus dem EU-Gebiet bei Hightechinvestitionen in China. Die Bundeswehr wird im Juli in Australien die Asien-Pazifik-Manöver für Marine und Luftwaffe fortsetzen; der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hat sich für regelmäßige Patrouillen von Kriegsschiffen aus EU-Staaten in der Taiwanstraße ausgesprochen. Den Hintergrund für das alles machen US-Versuche, Chinas Hightechindustrie mit umfassenden Halbleitersanktionen zu ruinieren und die Volksrepublik mit einer dramatischen Aufrüstung der ersten Inselkette vor ihren Küsten militärisch zu bedrohen. Die Lage ist ernst.
Sie ist der Anlass dafür, dass Chinas Außenminister Qin Gang nach einem Treffen mit dem US-Botschafter am Montag in Beijing jetzt in Europa Gespräche führt – am Dienstag in Berlin, am Mittwoch in Paris, am Freitag in Oslo. Die entscheidende Frage lautet: Werden die europäischen Staaten den US-Eskalationskurs in vollem Umfang mittragen? Abschließend entschieden ist das noch nicht. Die geplanten Sanktionen machen – noch – einigen EU-Staaten erhebliche Sorgen. Die Investitionsbeschränkungen stoßen auf heftigen Unmut in der Industrie. Zuletzt hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron verlangt, die EU müsse in ihrer China-Politik »strategische Autonomie« gegenüber den USA beweisen, um nicht zum »Vasallen« der USA zu werden. All dies sind Hebelpunkte, an denen Qin bei seinem Versuch ansetzen kann, einen lückenlosen transatlantischen Schulterschluss gegen Beijing zumindest zu stören. Bei Baerbock hat Qin am Dienstag wohl nichts erreicht; sie beharrte darauf, ihren Gast – wie schon bei ihrem Besuch in Beijing – öffentlich über Menschenrechte zu belehren. Bleibt abzuwarten, wie Qins Besuch in Paris verläuft.
Worauf man sich einstellen kann, wenn Berlin und Brüssel den vollen Schulterschluss mit Washington üben, zeichnet sich längst deutlich ab. Seit US-Außenminister Antony Blinken Anfang Februar wegen der »Ballonaffäre« seine geplante China-Reise abgesagt hat – in der kolonialherrlichen Meinung, Beijing komme um eine neue Einladung an ihn ohnehin nicht herum –, macht die Volksrepublik die Schotten dicht. Mittlerweile bettelt die Biden-Regierung fast um einen neuen Gesprächstermin. Dass Finanzminister Christian Lindner jüngst ausgeladen wurde, darf man als Warnschuss in Richtung Berlin begreifen. Beijing kündigt zudem gegen etwaige EU-Sanktionen entschlossene Gegenmaßnahmen an; die deutsche Wirtschaft, ohnehin kriselnd, bietet breite Angriffsflächen. Der Weg zuerst in die Sanktions-, dann in die Eskalationsspirale ist kurz. Betritt man ihn, dann geht es – eben steil abwärts.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Roland W. aus 08280 Aue (10. Mai 2023 um 11:43 Uhr)Ist es wirklich so wichtig zu wissen, wer mehr oder weniger diplomatisch gelogen hat? Ist es wichtigst zu wissen, darüber zu orakeln, was Diplomatie nicht seit heute ist, welche Sprache sie benutzt, mit welchen Worten was zu verstehen gegeben wird? Klar, dummdreist, peinlich, unverschämt und undiplomatisch dazu ist das Auftreten deutscher Politik u.a. in einem Lande wie China. Die chinesische Mentalität ist bewundernswert, wie solchem begegnet wird. Was die Lindner und Baerbock anklagen und hart, also deutsch in Sprache der Hunnenrede vielleicht den Chinesen zu verstehen geben wollen, das kann selbst jeder Nicht-China-Versteher wissen. Wer in China Menschenrechte anklagt und glaubt Chinesen wüssten nicht, was Menschenrechte gerade in Baerbocks und Lindners Land auf sogenanntem Flüchtlings- und Asylgipfel wert sind, der sollte schlicht und einfach das Maul halten, zuhause bleiben oder vielleicht von chinesischer Außenpolitik lernen, die jedenfalls für Flucht und Vertreibung aus der halben Welt nicht verantwortlich sind, andere Wege gehen, als sie im Namen der Waffen- und Machtrechte in Deutschland immer neu und weitergehend angedacht werden. Flüchtlinge bekämpfen, nachdem sie erst mit Krieg, Konflikten, Abhängigkeiten, Erpressung, Ausbeutung in alle Welt getragen werden. Jetzt das China zum Pulverfass munter mitmachen. Wann dann der große Aufschrei, sollte ein China sich das Recht nehmen, sich zu wehren, mit dem, was ihn heute schon militärisch mit auch deutscher Kriegstechnik an Chinas Grenzen angedroht wird? Auslegung höflicher Worte so oder so, die weit bessere Politik findet sich in diesem Deutschland keinesfalls. Braucht außer China niemand solche Politiker zu Gast wie Baerbock und Lindner oder andere, die sich um Menschenrecht, Demokratie und Frieden mühen?
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (10. Mai 2023 um 11:27 Uhr)China ist weiterhin Deutschlands größter Handelspartner, die Direktinvestitionen in China belaufen sich auf über 100 Milliarden Euro, die wirtschaftlichen Abhängigkeiten sind in manchen Bereichen sogar immens. Trotzdem ist das Verhältnis von Deutschland und China nicht nur für die deutsche Wirtschaft bedeutsam, auch andere europäische Länder schauen sehr genau darauf, wie Berlin sich gegenüber China aufstellt. Die deutsche China-Strategie werde eines der entscheidenden Elemente sein, die die europäische und chinesische Sichtweise auf die Zukunft der EU-China-Beziehungen prägen werden, was die chinesische Führung jedoch absolut nicht interessiert. China verhandelt nur mit Nationalstaaten, sie scheint mir die EU nicht zu akzeptieren (siehe Ursula von der Leyens Chinabesuch)! In Berlin ging es am Dienstag zwar politisch öffentlich hart in der Sache zu, beide Seiten wirkten aber sichtlich bemüht um Freundlichkeiten. Von den Gesprächen im Hintergrund wurde uns nichts mitgeteilt. Offiziell dient das Treffen eigentlich nur den Vorbereitungen der siebten deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen, die am 20. Juni in Berlin stattfinden sollen.
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Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (10. Mai 2023 um 08:55 Uhr)Zitat: »Dass Finanzminister Christian Lindner jüngst ausgeladen wurde, darf man als Warnschuss in Richtung Berlin begreifen.« – Wirklich? Beispielsweise zitiert die taz (Tschuldigung!) den chinesischen Außenminister Qin: »›Minister Lindner ist natürlich bei uns willkommen, aber bedauerlicherweise hat unser Finanzminister einen anderen Termin.‹ Dies solle man doch bitte nicht überinterpretieren, so Qin, dem in Berlin kaum jemand glauben dürfte«. Soweit die taz. Da hat doch wohl jemand gelogen? Aber wer?
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Leserbrief von Marc Pilz aus Cottbus (11. Mai 2023 um 13:23 Uhr)Im Gegensatz zur deutschen Außenministerin beherrscht der Außenminister Chinas das 1×1 der Diplomatie. Und dazu gehört, dass man dem Verhandlungspartner nicht einfach vor den Koffer sch… , sondern Formulierungen wählt, mit denen man keine verbrannte Erde hinterlässt.
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Leserbrief von Richard (10. Mai 2023 um 15:06 Uhr)Ich vermute ja Außenminister Qin ist die Katze weggelaufen. Es gibt wirklich wichtige Dinge im Leben. Da muss so ein Provinzminister wie der Lindner dann eben mal warten.
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Leserbrief von Arminius aus Baden Baden (10. Mai 2023 um 08:53 Uhr)Auch wenn einzelne Industriemanager das China-Geschäft dringend für ihre KPIs benötigen und die Realökonomie eine echt harte Zeit haben wird in den Autarkiemodus zu switchen (v.a. bzgl. seltener Erden), die deutsche Finanzoligarchie legt es ihrerseits voll drauf an. Eine scharfe Krise mit massenhafter Produktivkraftvernichtung, Senkung des allgemeinen Lebensstandards, Flurbereinigung und Schnäppchenjagd bei der schwächelnden Konkurrenz sowie ein festerer Zugriff auf die »Partner« innerhalb Europas dürften willkommener Teil des Programms sein. Ich zumindest sehe unsere deutschen Dynastien und deren bewussteste Sykophanten nicht als willenlos-blinde Opfer der mit ihnen (seit 100 Jahren) verbandelten Wallstreet/Beltway Interessen.
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Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (9. Mai 2023 um 22:33 Uhr)Was muss es doch den westlichen »Wertestaaten« ökonomisch krozig gehen, dass sie dermaßen aggressiv gegen Russland und China vorgehen? Man nennt sowas die Flucht nach Vorn antreten, alldieweil den imperialistischen Staaten die Felle davon schwimmen. Dabei gebärden sie sich regelrecht blindwütig, wo man annehmen kann, dass dann wohl die Tollwut folgt, wenn denn die Eskalatationschraube weiter angezogen wird. Dabei kann und wird der »Wertewesten« sich wirtschaftlich verheben, seine eigene Bevölkerung arg verarmen, doch das scheint die hiesigen Herrschenden nicht weiter zu jucken.
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Leserbrief von Richard (10. Mai 2023 um 14:57 Uhr)Ein bisschen Empathie bitte. Stell Dir mal vor, Du bist westlicher Oligarch und das Grundprinzip Deines Seins (und Deines Reichtums) ist das Ausplündern anderer Menschen und Länder. Oder stell Dir mal vor, Du bist Blackrock und verwaltest Billionen von Dollars und die Substanz dahinter liegt nun mal in besagter Ausplünderung der Welt. Und jetzt kommt so ein Chinese daher oder auch Russe (beide z.B. in Afrika sehr stark) und erklärt Dir dieses Dein Existenzmodell für beendet, nicht von jetzt auf gleich, aber so nach und nach. Natürlich ist für diese Leute die eigene Bevölkerung nur so eine Art wabernde Masse, die man für dieses »hohe Ziel« bereit ist zu opfern (in der Ukraine kann und muss man das sogar wörtlich nehmen). Hast Du denn kein Mitleid mit diesen armen Oligarchen, die all ihr Sein einzig und allein darauf aufgebaut haben? Sollen sie etwa keine Millionen Menschen mehr in den Tod schicken dürfen (wie z. B. im Irak geschehen; ein gewisser Assange, der dafür auch Beweise geliefert hat, sitzt nun folgerichtig in einem Folterknast)? Sollen sie etwa einer ehrlichen, womöglich gar noch sinnvollen Arbeit für die Gesellschaft nachgehen müssen? Also mir tun sie schon ein bisschen leid. Teilen der sog Antifa auch, die nun für diesen speziellen Fall auch bereit dazu ist, mit jenen in der Ukraine zu kooperieren, von denen sie eigtlich behaupten, dass sie sie bekämpfen würden. Sie sollten sich dementsprechend nur noch »Fa« nennen, finde ich.
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Leserbrief von Richard (9. Mai 2023 um 22:28 Uhr)Man fragt sich, was sie damit bezwecken. Doch dann denkt man nach und es fällt einem ein: Sie sind Angestellte Washingtons und repräsentieren nicht jene, von denen man annehmen sollte, es seien ihre Wähler. Nicht einmal die übliche Klientelpolitik betreiben sie, indem sie versuchen der heimischen Wirtschaft beizustehen. Doch. Sie betreiben wohl Klientelpolitik. Ihre Klientel sitzt in Washington und bei Lockheed Martin etc. Die EU und die deutsche Regierung sind auch nicht besser als irgendeine von den USA hingeputschte … der Weg zum ebenso failed state wird gerade eingeleitet. Das ist alles, was sie können. Den Baerbocks und Co. ist es obendrein egal. Wenn sie China in Sachen »Menschenrechte« belehren, meinen sie damit nicht etwa die Belange europäischer Arbeiter oder ihrer Wähler (mit den Menschenrechten ist es zudem so eine Sache, wenn man am Tag der Befreiung vom Faschismus jede Symbolik verbietet, die darauf hindeuten könnte, wer den größten Anteil zur Befreiung geleistet hat, was immerhin ein Aspekt des Rechts auf freie Meinungsäußerung darstellt oder die diversen anderen Verstöße, z. B. auch der de facto von Washington befohlene Zwang (Sanktionen) sich im Außenhandel rassistisch zu verhalten). Baerbock und Co handeln einzig, um ihrem Herrchen in Übersee zu gefallen. Aber pssst. Den Anschein von Kritik zu erwecken, könnte einem als »hatespeech« ausgelegt werden.
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