Trittsteine der NATO
Von Jörg Kronauer
Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Ökonomisch erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.
Jörg Kronauer beleuchtet in der zwölfteiligen jW-Serie anhand zentraler Aspekte die Konsequenzen, die sich aus dem Aufstieg der Volksrepublik für die internationalen Beziehungen ergeben. (jW)
Militärstrategen messen ihr im Machtkampf zwischen dem Westen und China eine besondere Bedeutung bei: die erste Inselkette. Sie erstreckt sich vor der chinesischen Küste und reicht von Japan über dessen südliche Inseln und Taiwan bis zu den Philippinen und nach Borneo. Japans Ryukyu-Inseln beginnen im Süden der vierten Hauptinsel Kyushu und verlaufen bis Yonaguni, einer kleinen Insel 100 Kilometer vor Taiwan. Von dort sind es kaum 150 Kilometer bis zu den kleinen philippinischen Batan-Inseln, die nahtlos bis zur Hauptinsel Luzon reichen. Die südlichen Inseln der Philippinen wiederum liegen kurz vor dem malaysischen Teil von Borneo. Die dichte Abfolge der Inseln hat Folgen. Kontrolliert eine gegnerische Macht die Kette, kann sie die chinesischen Seestreitkräfte sozusagen vor Chinas Küste einsperren. Sie kann die Inseln auch als Basis für Angriffe auf die Volksrepublik nutzen. Das ist für Beijing ein ernstes Problem.
Zumal eine gegnerische Macht längst dabei ist, Einfluss auf die betreffenden Staaten zu nehmen und die Inselkette sogar zu militarisieren: Die USA haben in Japan mehr als 54.000 Soldaten stationiert, über die Hälfte davon auf Okinawa, das zwischen Kyushu und Taiwan liegt. Auch aufgrund des Drucks der USA rüstet Japan zur Zeit massiv auf, beschafft etwa Raketen, mit denen es das chinesische Festland beschießen kann. Und es hat begonnen, seine südwestlichen Inseln nahe Taiwan, etwa Yonaguni, militärisch zu befestigen. Taiwan selbst ist ohnehin weitgehend abhängig von den USA. Die Philippinen wiederum waren ab 2016 bis ins Jahr 2022 hinein bemüht, einen halbwegs eigenständigen Kurs zu wahren. Dies hat sich unter ihrem neuen Präsidenten Ferdinand Marcos jr. jedoch schlagartig geändert; Marcos hat den USA den Bau neuer Militärbasen gestattet – nicht irgendwo, sondern ganz im Norden von Luzon, nahe Taiwan, sowie im Süden der Insel Palawan unmittelbar am konfliktträchtigen Südchinesischen Meer. Deutlich ausgeweitete US-Manöver mit den verbündeten Streitkräften der gesamten Region bestätigen es: Washington setzt auf militärische Eskalation.
Zum Problem der ersten Inselkette tritt zweierlei hinzu. Zum einen formiert sich Australien auf US-Betreiben quasi als rückwärtige Operationsbasis für die US-Streitkräfte in einem möglichen Krieg gegen China. Mehr US-Truppen werden in dem Land stationiert, Stützpunkte ausgebaut, auf einer Luftwaffenbasis im australischen Norden sollen künftig bis zu sechs atomwaffenfähige B-52-Langstreckenbomber stationiert werden können. Auch Australien selbst rüstet auf. Es soll im Rahmen des AUKUS-Pakts mit den USA und Großbritannien Atom-U-Boote erhalten, mit denen es fernab eigener Küsten offensiv operieren kann. Australien hält regelmäßig Großmanöver ab, an denen auch europäische Streitkräfte teilnehmen, darunter die Bundeswehr: ein Beleg dafür, dass Deutschland sich an einem Krieg gegen China womöglich direkt beteiligen würde. Zum anderen bauen die Vereinigten Staaten Stützpunkte und andere Militäranlagen auf allerlei kleinen Pazifikinseln aus; die wohl bekannteste von ihnen ist die US-Kolonie Guam. Im Kriegsfall muss der Nachschub für die kämpfenden US-Truppen über den Pazifik nach Ostasien gebracht werden. US-Strategen nennen die vielen Inseln seit je »Trittsteine« auf dem Weg über den Ozean.
Und China? Es versucht vor allem, die Gewässer bis zur ersten Inselkette soweit wie möglich zu kontrollieren, was das Südchinesische Meer einschließt. Zudem übt die chinesische Marine Operationen, bei denen sie durch die erste Inselkette in die Weiten des Pazifiks ausbricht. Im vergangenen Jahr hat Beijing ein Abkommen mit den Salomonen geschlossen, einem Inselstaat rund 2.000 Kilometer nordöstlich Australiens, also weit jenseits der ersten Inselkette. Das Abkommen erlaubt chinesischen Kriegsschiffen, zu Versorgungszwecken in Häfen der Salomonen anzulegen – ein Beleg dafür, dass Beijing seiner Marine neue Manövrierräume im Westpazifik verschaffen will, wo bisher die Seestreitkräfte Australiens, der USA und – dank seiner Kolonien im Pazifik – Frankreichs dominieren. Gelänge das, könnte die Volksrepublik den militärischen Druck, den der Westen ausübt, ein wenig reduzieren.
Onlineaktionsabo
Das Onlineaktionsabo der Tageszeitung junge Welt bietet alle Vorteile der gedruckten Ausgabe zum unschlagbaren Preis von 18 Euro für drei Monate. Das Abo endet automatisch, muss also nicht abbestellt werden. Jetzt Abo abschließen und gleich loslesen!
In der Serie Auf dem langen Marsch. Chinas Aufstieg
:
Chinas Aufstieg verändert die Welt. Der Volksrepublik ist es nicht bloß gelungen, sich aus der Armut zu befreien. Wirtschaftlich erstarkt, ist sie längst zu einem Machtfaktor geworden, der die globale Dominanz des Westens in Frage stellt. Der reagiert, indem er China immer schärfer attackiert – per Wirtschaftskrieg und mit einem militärischen Aufmarsch, der einen dritten Weltkrieg befürchten lässt.
Dieser Artikel gehört zu folgenden Dossiers:
Ähnliche:
- Sina Schuldt/dpa23.11.2021
Operation ohne Mandat
- Michael Kappeler/dp23.12.2020
Berlin droht China
- U.S. Navy/National Archives/Handout via Reuters07.12.2016
Falsch kalkuliert
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
Mitte-Links verliert
vom 10.05.2023 -
Grünes Licht aus Washington
vom 10.05.2023 -
Plünderer am Ende
vom 10.05.2023 -
»Keine feindlichen Völker«
vom 10.05.2023