Massentauglich inszeniert
Von Jürgen Pelzer
»Was für ein Fortschritt! (…) Nur unsere Bücher? Früherszeiten hätten sie uns gleich mitverbrannt!« (Sigmund Freud, 1933)
Nachdem die Nazipartei am 30. Januar 1933 an die Macht gelangt war, ergriff sie unverzüglich eine Reihe von Maßnahmen, um ihre neue Machtposition zu sichern und auszubauen. Dazu gehörten zum einen die Umwandlung des Staatsapparats und der Ausbau der Diktatur nach dem Führerprinzip, was die Schaffung eines Kontroll- und Terrorapparats einschloss. Auch in der Wirtschaft wurde das Führerprinzip durchgesetzt, um die ökonomische Produktion auf Kriegsvorbereitung auszurichten. Zum anderen bestand das Ziel darin, jede gegen die Regierung gerichtete Beeinflussung der Bevölkerung zu unterbinden. Die Naziherrschaft sollte durch ein ideologisches und propagandistisches Monopol gesichert werden.
Die ersten Maßnahmen der neuen Machthaber lassen sich diesen Zielen zuordnen. So wurde am 7. April 1933 das Gesetz zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« verabschiedet, das dafür sorgte, dass Beamte, die nicht die Gewähr boten, »jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat«, also die Naziherrschaft, einzutreten, aus dem Dienst entlassen wurden. Damit wurden Stellen für arbeitslose Nazis frei. Das am selben Tag erlassene »Zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich« setzte das Diktaturprinzip auch in den Ländern innerhalb des Reichsverbands durch. Die bisher existierenden Parteien wurden verboten (wie die KPD) oder ihrer noch verbliebenen Machtpostionen beraubt. Der Reichstag trat im Mai noch einmal zusammen, um einer außenpolitischen Rede Hitlers zu akklamieren, doch wenig später wurde auch der zunächst kooperierenden SPD jede weitere Betätigung verboten. Andere bürgerliche Parteien lösten sich freiwillig auf, nicht ohne zuvor der »nationalen Front« ihre Mitarbeit anzubieten. Hitler konnte deshalb schon früh das »Ende der nationalsozialistischen Revolution« ausrufen. Das bürgerliche Parteiensystem und der demokratische Parlamentarismus waren abgeschafft. Neue Parteien wurden nicht mehr erlaubt.
Aufbau des Meinungsmonopols
Die staatlichen Organe – Polizei und Justiz – hatten sich nahtlos an die neuen Gegebenheiten angepasst und so ihre Stellungen halten können. Antifaschistische Politik wurde unter diesen Umständen zwangsläufig nahezu unmöglich. Die Hoffnung, die Massen ließen sich gegen diese Politik der durch Terror abgesicherten vollendeten Tatsachen mobilisieren, stellte sich als Fehleinschätzung heraus. Hinzu kam, dass die Nazipartei das neue Medium des Rundfunks zu einem von Joseph Goebbels gesteuerten Propagandaapparat ausbaute. Bereits 1933 gab es etwa vier bis fünf Millionen Rundfunkgeräte, und diese Zahl stieg danach durch die massenhafte Produktion des »Volksempfängers 301« noch sprunghaft an. Den Machtantritt des neuen Reichskanzlers und die theatralischen Fackelzüge konnten so Millionen Hörerinnen und Hörer live verfolgen. Gleiches gilt für das vandalistische Spektakel, das Studenten am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz veranstalteten. Millionen waren live dabei, als herangekarrte Bücher unter dem Hersagen sogenannter Feuersprüche dem Scheiterhaufen übergeben wurden und Goebbels kurz vor Mitternacht eine seiner pathetisch-aufgeladenen Reden halten konnte. Es war sogar eine Art Staffelreportage geplant, so dass auch zu den nach dem gleichen Schema ablaufenden Spektakeln in anderen Städten geschaltet werden konnte.
Um das Meinungsmonopol der Nazipartei zu sichern, sollten sämtliche oppositionellen Stimmen in Wort, Schrift, Film oder anderen Medien zum Schweigen gebracht werden. Die Pressefreiheit wurde drastisch eingeschränkt, die Verbote betrafen vor allem die Zeitungen und Zeitschriften der Arbeiterparteien. Bürgerlichen Blättern wurde Zeit zur Anpassung an die neuen Gegebenheiten eingeräumt. Am 21. März 1933 wurde eine Verordnung erlassen, die der »Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung« dienen sollte. Wer immer sich »gegen das Wohl des Reiches« richte und das »Ansehen der Regierung« beziehungsweise das ihrer Partei oder ihrer Koalitionspartner herabsetze, hatte demzufolge mit Gefängnis- oder Zuchthausstrafen zu rechnen. Was in diese Rubrik fiel, bestimmten die Regierung und ihre Organe selbst. Bereits eine Woche zuvor war Goebbels Chef des neuen Propagandaministeriums geworden. Ihm oblag fortan auch die Überwachung von Kunst und Literatur, deren »undeutschen Geist« er auszutreiben beabsichtigte. Mit »undeutsch« waren alle kritischen Sichtweisen gemeint, das heißt in der Hauptsache jüdische und marxistische Stimmen. Vor allem »artfremde« oder »entwurzelte« Juden (und von ihnen beeinflusste Linke) hätten das »reine deutsche Kulturideal« geschändet. Deren Einfluss sollte nun rückhaltlos ausgeschaltet werden. Das rassistische Feindbild schloss alles ein, wogegen sich die faschistische Ideologie richtete: die Weimarer Demokratie und deren Verfassung ebenso wie Marxismus, Sozialismus, Liberalismus, Gewerkschaftsbewegung, Pazifismus oder Frauenemanzipation.
Von langer Hand geplant
Die Bücherverbrennungen vom Mai 1933 waren in diesem Sinn gegen den »undeutschen Geist« gerichtet. Sie waren von langer Hand vorbereitet. Die Initiative ging von der Organisation der Deutschen Studentenschaft aus, die seit 1928 immer stärker vom 1926 gegründeten Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund beeinflusst war. Die ohnehin in studentischen Organisationen (wie den Burschenschaften) weit verbreiteten antisemitischen und antimarxistischen Positionen wurden so noch weiter verschärft. Bereits 1930 war nur eine kleine Minderheit der Studenten in Organisationen vertreten, die den liberalen oder linken Parteien der Weimarer Republik nahestanden. Der reaktionäre Geist schlug sich in einem traditionellen Elitedenken, in nationalem Chauvinismus, Volkstumsideologie, Antisemitismus und Kriegsverherrlichung nieder. Als Ideal schwebte vielen ein ständischer Führerstaat vor, in dem die Studenten ihren Beitrag dazu leisteten, die Bevölkerung zu Zucht und Disziplin im Sinne völkischer Werte zu erziehen. Die Parolen, die bei der Bücherverbrennung herausgeschrien wurden, waren also keineswegs neu. Das Naziregime bot aber nun die Gelegenheit, sich publikumswirksam als »geistige SA« zu präsentieren.
Anfang April 1933 forderte die Deutsche Studentenschaft (DSt) ihre Abteilungen auf, sich an einer entsprechenden Kampagne zu beteiligen, die dann am 10. Mai in der öffentlichen Bücherverbrennung kulminieren sollte. Der »jüdische Zersetzungsgeist«, der bereits das »Schrifttum« infiziert habe, manifestiere sich nun in einer »Welthetze« gegen das NS-Regime. Gleichzeitig ging es darum, die Universitäten, einschließlich der Professoren, unter völlige Kontrolle zu bringen. Deshalb sollten an allen Universitäten »Kampfausschüsse« gebildet werden, denen Studenten, Professoren und Vertreter des von Alfred Rosenberg geleiteten »Kampfbundes für Deutsche Kultur« sowie Schriftsteller angehören sollten. Neben der Vorbereitung der Bücherverbrennung sollte auf diese Weise die Drangsalierung und Vertreibung jüdischer Professoren in Gang gesetzt werden.
Am 12. April wurden »zwölf Thesen« – in roter Frakturschrift – publiziert, die keine Thesen waren, sondern hasserfüllte Proklamationen, die vor allem statuieren wollten, dass der Riss zwischen »Volkstum« und »Schrifttum« (Literatur) durch »den Juden« verursacht sei. Dieser sei überhaupt nicht fähig, »deutsch zu denken«, und könne demzufolge auch nicht deutsch schreiben. Schreibe er dennoch deutsch, »dann lügt er«. Jüdische Werke sollten deshalb in hebräischer Sprache erscheinen. Erschienen sie dennoch auf deutsch, sei dies als Übersetzung zu kennzeichnen. Aus diesem Grund seien von Juden verfasste Bücher aus den öffentlichen Bibliotheken »auszumerzen«. Es folgte der Aufruf an Studenten wie Professoren, die deutsche Sprache »reinzuhalten«, den »jüdischen Intellektualismus« zu überwinden und so zu gewährleisten, dass wieder »deutsch« gedacht werden könne. Der Verfasser dieser »Thesen« war Paul Karl Schmidt (bekannt unter dem Pseudonym Paul Carell), der später im Auswärtigen Dienst und nach 1945 bei Spiegel, Zeit und Springer als Journalist und Sachbuchautor Karriere machen sollte und durfte.
Wie gering übrigens die Kenntnisse über die inkriminierten jüdischen und linken Autoren war, lässt sich schon daran ablesen, dass man erst nach der Publikation der Thesen einen (nicht sehr ergiebigen) »Artikeldienst« einrichtete, der Informationen über einzelne Autoren und deren Werke einziehen sollte. Die Werke selbst dürften in den meisten Fällen allenfalls oberflächlich bekannt gewesen sein.
An den eigenen Hochschulen wurde man dagegen eher fündig. Hier suchte man das erwähnte Gesetz zur »Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« anzuwenden und drangsalierte jüdische Professoren sowie Angehörige sozialistischer Organisationen. Dabei ging man an einigen Universitäten so weit, »Schandpfähle« zu errichten, auf denen die Namen angefeindeter Professoren und deren Werke angeschlagen wurden. Dies war beispielsweise in Königsberg, Rostock, Erlangen, Münster und Dresden der Fall. In Rostock fand deshalb am 5. Mai eine große Feier statt, auf der Vicki Baum, Magnus Hirschfeld, Kurt Tucholsky oder Stefan Zweig öffentlich denunziert wurden – wobei die Namen mehrfach falsch geschrieben waren.
»Hinrichtung des Ungeists«
Zur Vorbereitung der Bücherverbrennung gehörte die Durchsuchung von Bibliotheken nach »verbrennungswürdiger« Literatur. Es wurden »schwarze Listen« angelegt. Erstaunlich ist, dass sich nur wenig Widerstand gegen solche »Säuberungsaktionen« richtete. Im Gegenteil gab es von allen Seiten, auch von seiten der Professoren, tatkräftige Unterstützung. Selbst die Geschädigten, etwa die Besitzer der zahlreichen Leihbüchereien, wehrten sich nicht, möglicherweise auch deshalb, weil man ihnen gerichtliche Strafen für den Fall androhte, dass die Schriften inkriminierter Autorinnen und Autoren nicht unverzüglich aus den Regalen verschwanden. Die ausgesonderten Bücher wurden Anfang Mai von studentischen Stoßtrupps zusammengestellt, um das Material für die Bücherverbrennung zu sammeln. In Berlin stürmten am 6. Mai Studenten der Deutschen Hochschule für Leibesübungen Magnus Hirschfelds Institut für Sexualwissenschaft und plünderten die umfangreiche Bibliothek. Man ließ auch eine Büste des Direktors mitgehen, steckte deren Kopf auf eine Stange und paradierte damit am 10. Mai beim abendlichen Autodafé. Hirschfeld selbst hatte sich in Sicherheit bringen können, konnte aber im Pariser Exil die vandalistischen Aktionen der Nazistudenten in der Wochenschau verfolgen.
Auf der zentralen Veranstaltung am 10. Mai sollte dann »die Hinrichtung des Ungeistes« erfolgen. So wurde das Spektakel vom neu eingerichteten »Hauptamt für Aufklärung und Werbung« der Deutschen Studentenschaft, das für die Abstimmung zwischen Regierung und Studentenorganisation zuständig war, angekündigt. Bereits am 9. Mai 1933 waren die als »Feuersprüche« dienenden Parolen in einem Rundschreiben ausgegeben worden. Man legte auf Einheitlichkeit Wert. Tausende Bücher waren zusammengetragen worden und sollten allesamt verbrannt werden, wobei in Berlin wegen strömenden Regens die Feuerwehr mit Benzin aushelfen musste. Eingefunden hatten sich nicht nur Studenten, zumeist in SA-Uniformen, sondern auch andere Naziorganisationen sowie Professoren, die zur Feier des Abends sogar ihre Talare angelegt hatten.
Man griff natürlich nur einzelne Autoren und Werke heraus, die als repräsentativ gelten konnten. Eine Reihe von Rufern schrie Parolen heraus, die formelhaft deutlich machten, wogegen und wofür man war. Den Parolen folgten dann Namen, die für die verdammenswerten Haltungen oder Ideologien stehen sollten, und sodann die Übergabe der inkriminierten Bücher ins Feuer. Wenig überraschend machte Marx den Anfang. Dessen »Klassenkampf« und »Materialismus« wurden verdammt, als Gegenmittel wurden »Volksgemeinschaft« und »idealistische Lebenshaltung« gepriesen. Darauf wanderten seine Bücher – sowie die von Karl Kautsky – auf den Scheiterhaufen. Die Feuersprüche selbst waren nur indirekt antisemitisch, vielmehr galten sie all den Tendenzen, die man mit der Weimarer Republik verband, also etwa Dekadenz, moralischer Verfall, Sexualität, kritische Geschichtssicht, Pazifismus, liberaler Journalismus und so weiter. Der Dekadenz, die sich angeblich bei Heinrich Mann, Ernst Glaeser oder Erich Kästner finden ließ, wollte man durch »Zucht und Sitte in Familie und Staat« begegnen. Der »seelenzerfasernden Überschätzung des Trieblebens« (bei Freud) wurde der »Adel der menschlichen Seele« gegenübergestellt. Der »volksfremde Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung« sollte durch die »verantwortungsbewusste Mitarbeit am nationalen Aufbau« ersetzt werden. Erich Maria Remarque habe in seinem Werk – gemeint war der Bestseller »Im Westen nichts Neues«, der auch durch seine Verfilmung bekannt war – »literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs geübt«, hieß es. Gefordert wurde dagegen eine »Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit«. Schließlich sollten die »Verfälschung unserer Geschichte und die Herabwürdigung ihrer großen Gestalten« beendet werden. An deren Stelle solle »Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit« geübt werden.
Zum Abschluss der Zeremonie in Berlin wandte sich der Drahtzieher des Ganzen kurz vor Mitternacht an die Teilnehmer und Zuschauer. Goebbels sprach sie als »Kommilitonen« und »deutsche Männer und Frauen« an. Er verkündete den Anbruch einer Zeitenwende: »Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus« sei nun zu Ende. Die Nazirevolution habe »dem deutschen Wesen wieder die Gasse freigemacht«. Weimar, in der Perspektive der Nazis Materialismus, Marxismus und »Untermenschentum« sowie die damit verbundene materielle und geistige Schmach seien überwunden. Die Studenten wurden als Vorkämpfer und Verfechter des neuen Staates ausdrücklich gelobt und ermuntert, in den neuen Staat »hineinzugehen«. Die Unwerte seien niedergeworfen, jetzt gelte es, den neuen Werten Geltung zu verschaffen. Mit den verbrannten Büchern sei die »geistige Grundlage der Novemberrepublik« zu Boden gesunken, doch aus den Trümmern werde sich der »Phönix eines neuen Geistes« erheben. Worin dieser bestehen sollte, wurde freilich nicht erläutert. Es blieb nur der Appell an die Studenten, sich in die immer wieder apostrophierte Volksgemeinschaft – alle sollten das »braune Ehrenkleid« der SA tragen – einzureihen und den Erfordernissen der nationalen Erhebung zu dienen. Für alle sichtbar sei damit zum Ausdruck gebracht, dass »die Nation sich innerlich und äußerlich wieder geeinigt« habe.
Wie dies geschehen sein soll, wurde freilich nicht erläutert. Wie üblich, beschränkte sich der Propagandaminister auf hohles Pathos und eine Symbolpolitik, die mit der Wirklichkeit nur sehr wenig zu tun hatte. Walter Benjamin und Siegfried Kracauer sprachen wenig später von einer Ästhetisierung der Politik, die sich auf die Organisation von Massenspektakeln beschränke, um das Terroristische des faschistischen Herrschaftsapparats zu überspielen. Statt auf die gravierenden gesellschaftlichen und politischen Probleme dieser Jahre einzugehen, offeriere man nur Scheinlösungen. Auf einem Poster, das John Heartfield im Prager Exil entwarf, sind es die Flammenspektakel des Reichstagsbrands vom Februar und der Bücherverbrennung vom 10. Mai, die dafür sorgen, dass die solcherart »Verblendeten« nicht aufwachen und die Wirklichkeit erkennen.
»Verbrennt mich«
Es bleibt die Frage, wie die Bücherverbrennung historisch einzuordnen ist. Wie soll man ihrer heute gedenken? Welche Lehren lassen sich aus ihr ziehen? Besonders beschämend ist sicher auch im nachhinein die Teilnahme rechtskonservativer und faschistischer Professoren (vor allem von Germanisten), die an diesem »Stichtag der Barbarei« mitmachten, ihre Talare anlegten und zum Teil Reden im Stil von Goebbels hielten. Auch der Freiburger Universitätsrektor und Philosoph Martin Heidegger war im Juni 1933 – die Freiburger Feier hatte verschoben werden müssen – bereit, die Flamme des Scheiterhaufens zu besingen, die »uns den Weg zeigen« solle, »von dem es kein Zurück« gebe. Beschämend ist ferner der Mangel an Protest. Nur wenige Universitätsrektoren widersetzten sich den »Säuberungsmaßnahmen«, denen verdienstvolle Wissenschaftler und ganze Bibliotheksbestände zum Opfer fielen. Wie bereits 1914 sollte sich erneut zeigen, welchen niedrigen Grad an Zivilität und Toleranz an den deutschen Universitäten vorausgesetzt werden konnte. Dabei waren die Geschehnisse in Berlin nur die Spitze des Eisbergs; in den folgenden Wochen sollten noch zahlreiche weitere Bücherverbrennungen stattfinden. Obendrein sind die Opfer nicht zu vergessen, Autoren, Journalisten, Politiker, die öffentlich gedemütigt, in Konzentrationslager verschleppt, gefoltert, ermordet oder in ein höchst prekäres Exil vertrieben wurden. Die Bücherverbrennung selbst hatte natürlich die Wirkung, dass die besten Schriften der intellektuellen Elite jahrelang nicht verfügbar waren. Wer verbotene Bücher besaß, musste mit Strafen oder Schlimmerem rechnen.
Erich Kästner war wohl der einzige Autor, dessen Bücher verbrannt wurden und der die Verbrennung selbst miterlebte (und dabei auch – ohne Folgen – erkannt wurde). Er hat später darüber berichtet. Ernst Toller hat im Juni 1933 auf einer PEN-Sitzung die Bücherverbrennungen erörtert und kritisiert, dass nicht wenige Kolleginnen und Kollegen das ganze Spektakel als Ulk unreifer Jugendlicher abzutun bereit waren. Der Schriftsteller Oskar Maria Graf nahm dagegen die Geschehnisse ernst. In einem am 12. Mai 1933 in Österreich veröffentlichten Artikel stellte er zuerst heraus, wie das Regime mit unliebsamen Autoren verfuhr: Hausdurchsuchung (während seiner Abwesenheit), Beschlagnahmung von Manuskripten und Arbeitsmaterial. Der Verhaftung entging Graf nur zufällig. Die Überraschung: Auf der Liste der verfemten Autoren tauchte er nicht auf. Offensichtlich hatten die Studenten oder deren Gewährsleute Graf in die Rubrik volkstümlicher Autoren eingereiht und deshalb seine Bücher sogar empfohlen. Für Graf war dies die eigentliche Schmach. Die verbrannte Literatur (nicht die erlaubte) war für ihn die Literatur von Bedeutung. Die Unehre, auf einer »weißen Liste« zu landen, habe er nicht verdient. Er habe deshalb das Recht, zu verlangen, dass seine Bücher auf dem Scheiterhaufen landen, damit sie nicht »in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbanden gelangen«.¹
Tatsächlich verbrannte man wenig später Grafs Bücher – ihn dabei aufs gröbste verhöhnend – und entzog ihm obendrein die deutsche Staatsbürgerschaft. Brecht hat Grafs Protest 1937 ein Gedicht gewidmet, mit dem später die Sektion der deutschen Satiren in den »Svendborger Gedichten« eröffnet wird: »Als das Regime befahl, Bücher mit schädlichem Wissen / Öffentlich zu verbrennen (…), entdeckte / Ein verjagter Dichter, einer der besten, die Liste der / Verbrannten studierend, entsetzt, dass seine / Bücher vergessen waren. Er eilte zum Schreibtisch / Zornbeflügelt, und schrieb einen Brief an die Machthaber. / Verbrennt mich! schrieb er mit fliegender Feder, verbrennt mich! / Tut mir das nicht an! Lasst mich nicht übrig! Habe ich nicht / Immer die Wahrheit berichtet in meinen Büchern? Und jetzt / Werd ich von euch wie ein Lügner behandelt! Ich befehle euch: / Verbrennt mich!«²
Anmerkungen
1 Zitiert nach Gerhard Sauder (Hg.): Die Bücherverbrennung. Zum 10. Mai 1933, München 1983, S. 285
2 Bertolt Brecht, BFA, Band 12, S. 61
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