Immer ungleicher
Von Sebastian Edinger
Es spricht schon ohne Kenntnis des Inhalts Bände, dass das Statistische Bundesamt am Montag Daten zur Entwicklung der Zahl der Einkommensmillionäre von 2018 auf 2019 veröffentlichte. Denn während es in der Behörde seit Corona darum geht, Wirtschaftsdaten immer schneller, möglichst in »Echtzeit« vorzulegen, damit politische Entscheidungsträger sich beim Manövrieren durch die Krise daran orientieren können, ist die Reichtumsentwicklung nur mit vierjähriger Verzögerung nachvollziehbar. Das hat mit den vielen Steuertricks zu tun, die Millionären zur Verfügung stehen und für deren Nutzung besonders lange Veranlagungsfristen eingeräumt werden.
Überraschend sind die Zahlen nicht: Es sind mal wieder mehr Millionäre geworden, und die sind mal wieder reicher geworden. Die soziale Spaltung der deutschen Gesellschaft schritt somit auch von 2018 auf 2019 voran, in einer Zeit also, die zwischen Euro-Krise und Pandemie konjunkturell verhältnismäßig entspannt war. 27.400 Einkommensmillionäre wurden statistisch erfasst, das sind 4,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Ihr Durchschnittseinkommen lag bei 2,7 Millionen Euro, 2018 waren es noch 2,6 Millionen. Auf der anderen Seite nimmt auch die Armut zu, nach offizieller Statistik waren zuletzt 15,8 Prozent der Menschen in Deutschland betroffen. Irgendwo muss das Geld ja herkommen.
Klar ist, die nun vorgelegte Statistik untertreibt die reale Spaltungslage aus mehreren Gründen extrem. Erstens sind Arme leichter statistisch zu erfassen als Reiche. Denn wer seine Millionen erfolgreich vor dem Zugriff des Finanzamts bewahrt, schützt sich automatisch auch vor dem Statistischen Bundesamt. Zweitens spielen bei jenen, die in der Wohlstandspyramide an der Spitze stehen, die Einkommen kaum eine Rolle. Hier geht es um Vermögen. Und drittens sind die Zahlen, wie gesagt, veraltet. In Krisen wächst die Macht des Kapitals, die Kosten von Corona wurden und jene des Ukraine-Kriegs werden erfolgreich nach unten durchgereicht. Krisenmillionäre gibt es immer, man denke nur an die schmutzigen Geschäfte mit Masken und Impfstoffen.
Was die neuen Daten zur Millionärsentwicklung noch zeigen: Nicht nur die Spaltung zwischen den Klassen hat zugenommen, sondern auch jene zwischen den Regionen. So war die Zahl der Neumillionäre dort besonders groß, wo das Kapital auch zuvor schon zu Hause war – in Hamburg und Bayern. In der Hansestadt liegt die Millionärsdichte mittlerweile bei 1,2 Promille. Sprich: Auf 10.000 Einwohner kommen zwölf Millionäre. In Bayern sind es 0,9 Promille. Kaum Einkommensmillionäre gibt es hingegen in Ostdeutschland: In Sachsen-Anhalt lag die Millionärsdichte bei 0,19 Promille, in Thüringen bei 0,17. Viele Gründe also, sich aufzuregen. Aber dafür fehlt den Zahlen womöglich das Überraschende. Eigentlich ist ja alles wie immer.
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Leserbrief von Holger K. aus Frankfurt (8. Mai 2023 um 22:29 Uhr)Wie in dieser Schmuddelrepublik geht es immer ungleicher zu. Aber – aber, darin besteht doch auch die Freiheit, die Freiheit schalten und walten zu können nach Gutdünken. So gibt es denn ein Recht auf Reichtum und als Folge so was wie ein Recht auf Armut. Damit so also die Freiheit sich so richtig austoben kann, macht halt jeder was er für richtig hält, halt freie Wahl und frei ist dann auch das entsprechende Ergebnis, nämlich stetig wachsende Ungleichheit. Wem das nicht passt, dem erklärt der hiesige Wertestaat und seine Massenmedien doch glatt, dass ein jeder freie Wahl habe, jeder für sich selbst verantwortlich sei, daher alles im rechten Lot sei.
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