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Aus: Ausgabe vom 09.05.2023, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Angst vor Eskalation

Sich häufender Beschuss: Russland bestätigt Evakuierung von Saporischschja und verstärkt Angriffe auf ukrainische Ziele zum »Tag des Sieges«
Von Jörg Kronauer
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In Sicherheit gebracht: Bewohner der Region Saporischschja erreichen eine Zwischenunterkunft in Berdjansk (7.5.2023)

Unmittelbar vor den Feiern zum 78. Jahrestag des Sieges über Nazideutschland am 9. Mai haben die russischen Streitkräfte die Angriffe auf Ziele in der Ukraine verstärkt. Agenturen berichteten am Montag von Dutzenden Luftangriffen; laut Angaben des Kiewer Bürgermeisters Witali Klitschko wurde allein die ukrainische Hauptstadt mit 36 Drohnen attackiert. Alle hätten von der ukrainischen Abwehr abgefangen werden können, behauptete Klitschko. Zudem verstärkten russische Truppen ihren Beschuss in Bachmut. Jewgeni Prigoschin hatte am Wochenende die Drohung zurückgezogen, seine »Wagner«-Einheiten von dort abzuziehen, sollten sie nicht größere Mengen an Munition erhalten. Von ukrainischer Seite hieß es, man rechne mit einer weiteren Intensivierung der Angriffe in der ostukrainischen Stadt: Gelinge es Russland, sie zu erobern, sei dies für Moskau eine willkommene Erfolgsmeldung zum 9. Mai.

Unterdessen hat Moskau erste Evakuierungen aus der Region Saporischschja bestätigt. Deren Verwaltungschef Jewgeni Balizki teilte am Montag mit, es seien 1.679 Menschen, darunter 660 Kinder, aus dem Gebiet rings um das dortige Atomkraftwerk vor sich häufendem Beschuss in Sicherheit gebracht worden. Sie hielten sich nun in einer temporären Einrichtung in Berdjansk am Asowschen Meer auf. Die Region Saporischschja gilt als möglicher Schauplatz der seit Monaten angekündigten ukrainischen Frühjahrsoffensive, von der Prigoschin am Montag erneut behauptete, sie habe bereits begonnen. Ein mögliches Ziel einer Offensive – sofern sie stattfindet – wäre es, die Landbrücke aus dem russischen Kernland auf die Krim zu durchbrechen. Das könnte die Ukraine mit einer Offensive in der Region Saporischschja versuchen. Laut einem Vertreter der russischen Behörden dort trafen russische Raketen gestern ein Vorratslager und ukrainische Stellungen in der Kleinstadt Orichiw südöstlich der Gebietshauptstadt Saporischschja.

In der Ukraine, wo die Feiern zum Sieg über Nazideutschland in Anpassung an Westeuropa bereits am Montag stattfanden, nutzte Präsident Wolodimir Selenskij seine Ansprache, um einmal mehr Russland in eine Reihe mit dem deutschen Faschismus zu stellen. »All das alte Übel«, das »das moderne Russland zurückbringt«, werde »genauso zerschlagen werden, wie der Nationalsozialismus zerschlagen wurde«, tönte Selenskij. Zwar kenne niemand »das Datum«; doch werde es »ein Fest für die ganze Ukraine«, ja für »die ganze freie Welt sein«. An diesem Dienstag will der ukrainische Präsident, zum bereits fünften Mal, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Kiew empfangen, wo der 9. Mai von nun an als »Europatag« begangen werden soll. Von der Leyen werde erneut die uneingeschränkte Unterstützung der EU für die Ukraine bekräftigen, hieß es.

Gleichfalls am Montag wurde bekannt, dass die EU im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg das mittlerweile elfte Sanktionspaket und in diesem Kontext weitere Sanktionen gegen China vorbereitet. Wie die Financial Times berichtete, schlägt die Kommission Maßnahmen gegen acht Unternehmen aus der Volksrepublik vor, darunter auch Firmen aus Hongkong. Als Grund wird genannt, sie lieferten Produkte nach Russland, die für die Produktion von Waffen genutzt werden könnten. Die Ständigen Vertreter der 27 Mitgliedstaaten sollen am Mittwoch darüber beraten. Wang Wenbin, Sprecher des chinesischen Außenministeriums, forderte die EU auf, die Sanktionspläne zurückzuziehen; andernfalls kündigte er »entschlossene Maßnahmen« an.

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  • Leserbrief von Roland Winkler aus Aue (9. Mai 2023 um 14:01 Uhr)
    Befreiung vom Faschismus, zwei Worte, die deutscher Politik immer schwer über die Lippen kamen. Faschismus schon gar nicht. Nationalsozialismus wird er buchstabiert, wegen des Sozialismus. Nun die Geschichte ganz entsorgen mit in braun getauchten Grünen. Faschismus, faschistoid kommt ihnen nun locker über die Lippen, denn sie meinen Russland und Putin damit. Wer hätte geglaubt, einer Claudia Roth fiele zu, die Geschichte im Museum Karlshorst nahe Odessaplatz geschichtlich neu zu erfinden? Wer das faschistische Massaker Odessas nicht kennen will, ist nach Brecht entweder nur dumm oder ein Verbrecher. Manche sind heute beides. Nach »Putins Krieg« wird Befreiung gestrichen. Das alliierte Russland habe sich aus der westlichen Friedensgemeinschaft verabschiedet. Es gab demnach drei Jahrzehnte keine mörderischen Kriege von USA, NATO und Wertegemeinschaft? Sind wieder Mehrheiten so dumm gemacht worden? Von Faschismus der Russen reden und nicht Faschisten und Verehrungen der Bandera, Assows, Edelweiss-SS-Tradition samt aller Symbolik sehen oder nennen zu dürfen, das ist die verordnete Medienfreiheit? Gedenken erkämpfen titelt jW tags zuvor treffend. Für verordnetes Gedenken in 40 Jahren DDR sollen wir uns schämen?
    Gedenken kommt von Denken. Gerade das sieht Freiheit heute nicht vor. Dummdreist gipfelt Politik im Vergessen, dass seit 2014 in der Ukraine gegen wen Krieg geführt wurde. Generationen von Russen, Kinder, Enkel wissen, was deutscher Faschismus war, der aus deren Köpfen nicht zu löschen ist. Blinder Hass, unhistorisch, verlogen, erobert Straße und Stammtische nicht ohne Erfolg, mit grenzenloser Dummheit. Von mehr als 800 Jahren slawischer Geschichte weiß im Land der Dichter und Denker kaum einer. Der dritte Versuch soll gelingen. Einige glauben wieder daran. Der Hauptfeind steht auch heute im eignen Lande. Wer den Krieg gewollt hat, besiegen will, Frieden verhindert und verlangt, das müssen wir an die Menschen bringen.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (9. Mai 2023 um 10:09 Uhr)
    Krieg ist was Schreckliches! Noch schrecklicher wird er durch die einseitigen propagandistischen Berichterstattungen. Weder von der Ukraine noch aus Russland erfahren wir über das tatsächliche Geschehen aus erster Hand etwas. Man schreibt lieber darüber, wer was gesagt hat und versucht es zu deuten. In diesem Artikel wurden Zitate von Klitschko, Prigoschin und Selenskij erwähnt. Natürlich dürfte das elfte sinnlos-drohende Sanktionspaket von unser »EU-Uschi« auch nicht fehlen. Was in der Ukraine läuft, ist ein Artilleriekrieg, was durch das Verhältnis von Feuerkraft und durch einsetzbaren Soldaten entscheiden wird! Darauf war niemand vorbereitet, solch ein Waffengefecht wurde seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr geführt. Nicht umsonst wurde beidseitig die Munition knapp. Die Ukraine war seit 2015 mit noch »sowjetischer« Militärausrüstung trainiert und gut vorbereitet, dass sie die zwei abtrünnigen Gebiete von den Rebellen zurückerobern werden. Diese Armee ist aber durch den russischen Einmarsch aufgerieben und für diese Ausrüstung gibt es keine Munition mehr. Jetzt gibt es Westausrüstung für die neu organisierten Reservisten, jedoch ohne örtliche Reparatur- und Wartungsmöglichkeiten in der Ukraine. Damit sollte die Ukraine gewinnen, obwohl militärisch bekannt ist, dass die russische Feuerkraft in der Südostukraine um das Fünffacher stärker ist. Die Ukraine ist im Zugzwang, dagegen hat Russland keine Eile, es kämpft so gut und weiter, wie es kann. Der Rubel ist stärker als je und Russland ist bei dem Ranking der Weltbank 2022 wieder in Top zehn zu finden, auf Platz acht. Es dämmert langsam, dass Russland die Ukraine und Europa wirtschaftlich aufreibt und nicht umgekehrt. Man kann schließlich nur feststellen, dass der Westen ein Opfer seiner eigenen naiv-primitiven Propaganda geworden ist!
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (9. Mai 2023 um 08:11 Uhr)
    Zwei Anmerkungen zum Inhalt. 1. Zitat: »Unterdessen hat Moskau erste Evakuierungen aus der Region Saporischschja bestätigt. Deren Verwaltungschef Jewgeni Balizki teilte am Montag mit, es seien 1.679 Menschen, darunter 660 Kinder, aus dem Gebiet rings um das dortige Atomkraftwerk vor sich häufendem Beschuss in Sicherheit gebracht worden.« In der Tat, es ist die »erste« Evakuierung. Warum veranlasste die Verwaltung der Region keine Evakuierung der Zivilisten, als die russischen Truppen im vorigen Jahr das Gebiet besetzt hatten? Denn die besonderen Gefahren für die Zivilisten bei Kämpfen um das AKW waren auch damals schon abzusehen. Die Kämpfe, die dann auch tatsächlich um das Atomkraftwerk stattfanden, führten nicht zum GAU, zum Glück für die Zivilbevölkerung! – 2. Zitat: »In der Ukraine, wo die Feiern zum Sieg über Nazideutschland in Anpassung an Westeuropa bereits am Montag [= 8. Mai] stattfanden, …« Falls es der Autor noch nicht wusste oder schon wieder vergessen hat: Auch in der DDR wurde der 8. (und nicht der 9.) Mai gefeiert! W. Ulbricht und E. Honecker würden sich wohl im Grabe umdrehen, wenn sie erführen, dass dies mit einer »Anpassung an Westeuropa« zu tun hatte!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (9. Mai 2023 um 12:25 Uhr)
      In der UdSSR wurde am 9. Mai der Tag des Sieges gefeiert, was oft mit dem Zeitunterschied zwischen Moskau und Berlin begründet wurde/wird. In der DDR wurde am 8. Mai der Befreiung vom Hitlerfaschismus gedacht, obwohl, wie schon gesagt, die letzte Unterschrift am 9. Mai unter die Kapitulationsurkunde gesetzt worden sein soll. In der DDR am 9. Mai den Tag des Sieges zu feiern, war nicht unbedingt naheliegend, oder?
      • Leserbrief von Onlineabonnent/in Roland W. aus 08280 Aue (10. Mai 2023 um 12:49 Uhr)
        Der Gedanke ist wirklich naheliegend und Ulbricht oder Honecker müssen sich nicht im Grabe umdrehen. Tag des Sieges ist es vor allem für die SU, Rote Armee, gewesen und wird es immer bleiben trotz aller Verbote. Tag der Befreiung ist für Deutschland weit zutreffender, unabhängig wer es als Befreiung empfunden hat oder heute neu bewerten will. Der Geist ist entscheidend, nicht Buchstabe oder Tag. Wenn die Ukraine sich westlichen Terminus aussucht, ändert es nicht viel bis darauf, dass ihr ein Tag des Sieges wohl weniger angenehm ist als Befreiung, wo mehr hineingelegt werden kann. Jetzt, wo der Faschismus in Russland entdeckt wird, nicht in Ukraine und überhaupt plötzlich in Deutschland gegenüber Russland Faschismus gesagt wird und nicht ausschließlich Nationalsozialismus scheint auf Banalitäten anzukommen, die keine sind.
      • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (9. Mai 2023 um 14:40 Uhr)
        Danke für den Hinweis. Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Bedingungslose_Kapitulation_der_Wehrmacht) kommt zu einem ähnlichen Ergebnis wie Sie, bezieht sich allerdings nicht auf den Zeitpunkt der letzten Unterschrift, sondern auf den Zeitpunkt des Inkrafttretens der bedingungslosen Kapitulation: 8. Mai, 23.01 Uhr MEZ. Entsprechend der Zeitzone hatte in Moskau der 9. Mai bereits begonnen. – Als ehemaliger DDR-Bürger hatte ich als Schüler im Geschichtsunterricht noch gelernt, dass die DDR den 8. Mai als »Ende des Krieges«, die Sowjetunion den 9. Mai als »ersten Tag des Friedens« feierte. Von Uhrzeiten und Zeitzonen war hierbei nicht die Rede.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ralf S. aus Gießen (8. Mai 2023 um 20:50 Uhr)
    Selbst wenn man wohlwollend ist, und die Rolle der Rechtsextremisten innerhalb der ukrainischen Streitkräfte bzw. dem ukrainischen Politik- und Gesellschaftsbetrieb relativiert, bleibt es dabei, dass die Bandera-Nationalisten ein bedeutender Teil der gegenwärtigen Ukraine sind. Den Kampf dieser geistigen Anhänger Nazideutschlands daher in eine Reihe des antifaschistischen Kampfes, diesmal gegen die damaligen Opfer des deutschen Faschismus zu stellen, ist einigermaßen verwerflich. Aber der Herr kann sich ja gewiss sein, dass er keinen Widerspruch erntet in der »Wir-müssen-Einigkeit-zeigen-und-dürfen-die-Ukrainer-nicht-kritisieren«-Westpresse. Bei der Berichterstattung über den Vorfall kürzlich, bei dem Angehörige der ukrainischen Delegation auf der Schwarzmeer-Wirtschaftskoperation-Konferenz mit dem Zeigen ihrer Nationalfahne provozieren wollten, wurde in der Regel auch der Teil des Clips weggelassen, der eine Ukrainische Flagge zeigte, die in der Mitte geteilt war, auf der einen Seite das ukrainische Blau-Gelb, auf der anderen das Schwarz-Rot der Bandera-Faschisten. Gezeigt wurde stattdessen lieber die Stelle mit der »gewöhnlichen« Fahne, ohne den 50-Prozent-Faschistenanteil. Wobei man das bei den ukrainischen Streitkräften allgegenwärtige Schwarz-Rot der Banderisten sowieso schon lange nicht mehr hinterfragt, was auch wenig verwundert, wenn deren Schlachtruf »Slava Ukraini« mittlerweile auch vollkommen akzeptiert ist und man Gefahr läuft als Putinanhänger gebranntmarkt zu werden, wenn man sowas auch nur leise anmerken würde. Apropos Gegenoffensive. Heute machten Meldungen die Runde, wonach die ukrainische Gegenoffensive womöglich schon längst begonnen habe. Das nenn ich mal eine Offensive, so klandestin, dass die weder die Russen noch irgendwer sonst bemerkt.

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