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Aus: Ausgabe vom 06.05.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Im PVAK-Medienstadl

Von Arnold Schölzel
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In der FAZ vom Donnerstag darf sich der seit 2014 in Berlin lebende, 1970 auf der Krim geborene freie Autor Nikolai Klimeniouk unter der Überschrift »Die Ukraine ist keine Krankheit« über einen Text des Spiegel-Kolumnisten und früheren Richters am Bundesgerichtshof Thomas Fischer vom 28. April ausführlich aufregen. Klimeniouk ist eine treue Stimme der in Kiew regierenden Nationalisten, Faschisten und der Vernichter alles Russischen in der Ukraine. Pünktlich zum neunten Jahrestag des Massakers im früheren Gewerkschaftshaus von Odessa und wenige Tage vor dem Tag der Befreiung und des Sieges über den Faschismus hat das Parlament in Kiew am Dienstag die in Russland angeblich herrschende Ideologie als »Raschismus«, als Mischung von Faschismus und »Russismus«, definiert und die Welt zu deren Beseitigung aufgefordert. Die Vokabel, die in der deutschsprachigen Wikipedia bereits ein eigenes Stichwort hat und offenbar in den USA ersonnen wurde, dient seit mehr als einem Jahr auch Präsident Wolodimir Selenskij zur Entsorgung des Faschismusbegriffs.

Klimeniouk ist so etwas wie ein tapferer Bekämpfer des »Raschismus« – fern vom Schuss. Ihm stehen die Spalten der FAZ oder der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) dafür öfter zur Verfügung, die bevorzugte Textsorte ist Krakeel wegen nichts. So kommt zum Beispiel das Wort »Krankheit«, das über Klimeniouks Text steht, in Fischers Kolumne nicht vor. Fischer konstatiert lediglich beim Thema Ukraine einen Wandel im deutschen Journalismus hin zum Unisono. Bei anderen Themen sei das anders: »Zwar explodierte die Anzahl der Virologiekundigen ab Frühjahr 2020 ins Unübersichtliche. Aber ich habe nicht bemerkt, dass sich in den professionellen Medien nur noch Erkrankte, Hinterbliebene oder Hochrisikopersonen sowie verzweifelte Schüler äußerten. Auch die Publikationen zahlloser anderer Fragen werden gemeinhin nicht ausschließlich von subjektiv Betroffenen verfasst.« Klimeniouk halluziniert nun: »Damit meint Fischer, Ukrainer zu sein sei so etwas wie eine Krankheit.« Und das sei »indirekte Hassrede«: »Hätte der Autor den Vergleich direkt formuliert, wäre es vermutlich justitiabel.« Uiuiui. Die Blödelei Klimeniouks charakterisiert allein das Niveau, auf dem die FAZ in Sachen Ukraine schreiben lässt. So tief kann keiner schießen.

Fischer schreibt erst danach: »Mir fällt seit längerem auf, dass die hiesige Expertenpublizistik zum Ukraine-Krieg in erstaunlichem Umfang von Autoren bestritten wird, die entweder als Ukrainer vorgestellt werden oder als Russen, die eigentlich Ukrainer des Herzens sind, oder als Reporter, die ›vor Ort‹ sowie mit ganzer Kraft Ukrainer des Herzens sind.«

Der Spiegel-Autor stellt fest, was jeder über hiesigen Kriegsjournalismus wissen kann: »Vielmehr scheint hier eine Identifikation mit der richtigen Seite sowie ihre ausdrückliche Versicherung von den Spitzen bis zu den Gute-Laune-Moderatoren und Lokalredakteuren ein journalistisches Bedürfnis zu sein. Das mag auch deshalb erstaunlich sein, weil es, wie zum Verdruss des Führungspersonals gelegentlich bekannt wird, nicht der empirischen Stimmung in der Gesamtbevölkerung entspricht.« Für die scheint Fischer repräsentativ, wenn er die mediale Endlosschleife und Stanze als »PVAK« abkürzt: »Putins verbrecherischer Angriffskrieg.«

Anlass für seinen Artikel war übrigens eine Passage aus einem NZZ-Artikel Klimeniouks von 2016, in dem der zum 75. Jahrestag des faschistischen Überfalls auf die Sowjetunion geschrieben hatte: »Breite Teile der Bevölkerung sahen in den einmarschierenden Deutschen mehr Befreier vom Kommunismus denn Besatzer.«

In seiner FAZ-Tirade erwähnt Klimeniouk den Satz nicht. Kiew feiert Stepan Bandera, nicht den 8. und 9. Mai.

Klimeniouk ist so etwas wie ein tapferer Bekämpfer des »Raschismus« – fern vom Schuss. Ihm stehen die Spalten der FAZ oder der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) dafür öfter zur Verfügung, die bevorzugte Textsorte ist Krakeel wegen nichts.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Ulf G. aus Hannover (7. Mai 2023 um 17:50 Uhr)
    Die Einseitigkeit der Ukraine-Berichterstattung wirkt wie Geringachtung des Grundgesetzes, wo das Bundesverfassungsgericht die drei Aufgaben der Presse darin sieht, »umfassende Information zu ermöglichen, die Vielfalt der bestehenden Meinungen wiederzugeben und selbst Meinungen zu bilden und zu vertreten«. Den ersten beiden Aufgaben genügt die Presse leider nicht. Sie folgt lieber dem Regierungsdiktum vom »unprovozierten« russischen »Angriffskrieg«, statt dieses kritisch zu hinterfragen. Die Abgrenzung zwischen einem erlaubten Verteidigungskrieg – vorliegend m.E. der Verteidigung der Donbass-Republiken gegen Angriffe Kiews – und einem unerlaubten Verteidigungsexzess ist in der Realität alles andere als scharf und klar. Erst wo eine Verteidigung das vom Prinzip der Verhältnismäßigkeit der Mittel gesetzte Maß sprengt, kippt sie in eine Angriffshandlung um. Wo ist dieser Kipppunkt lokalisiert, wo doch Selenskij angedroht hatte, das ukrainische Minderheitenproblem im Donbass notfalls mit der Atombombe regulieren zu wollen?! Und wo die USA sogar angekündigt hatten, Atombomber an oder in die Ukraine zu verlegen?! Unsere eigene Werteordnung gibt eigentlich den einen oder anderen Hinweis zur Bewertung von Verteidigungshandlungen, etwa den § 35 StGB, der eine Strafe für eine unverhältnismäßige Abwehrhandlung nur dann vorsieht, wenn die dem Übermaß zugrundeliegende Fehleinschätzung vermeidbar war, wenn der Täter seinen »Irrtum vermeinden konnte«, so wörtlich. Wie bitteschön sollte ein Russe sicher einschätzen können, wie ernsthaft Selenskijs Atomkriegsdrohung zu nehmen war?! Da gibt es keine Sicherheit der Einschätzung. Was bei uns also straffrei bleibt, wird sodann im Verhältnis zu Russland wütend sanktioniert und mit weiteren Strafen bedroht. Kritik an solcher Doppelmoral tut Not. Wenn ein ehemaliger BGH-Richter die Einseitigkeit unserer Berichterstattung problematisiert, ist das zumindest mal ein Anfang.
  • Leserbrief von N. Schreiber (7. Mai 2023 um 13:51 Uhr)
    Interessant, dass die seit über einem Jahr andauernde, hiesige mediale Gleichschaltung der NATO-Propaganda zum Ukraine-Krieg im »ehemaligen Nachrichtenmagazin« Spiegel mittels des wie immer auch hier detailscharf beobachtenden und analysierenden Kolumnisten Thomas Fischer aufgebrochen wird. Allerdings auch wie fast jedesmal enttäuschend in der Hinsicht, dass er es sich nicht wagt, die entscheidende Frage zu stellen, geschweige denn in der gleichen Detailliertheit hintergründig zu beantworten: »Warum?« Und das, obwohl er zweifellos intellektuell problemlos dazu in der Lage wäre. Womit sich jedoch immerhin ein Warum implizit von selbst beantwortet. Nämlich warum er nur für Wurstblätter wie Zeit und Spiegel schreiben kann.

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