Skandal im Stall
Von Simon Zamora Martin
An nur fünf Universitäten werden in Deutschland Tierärzte ausgebildet. Doch den Hochschulen in Leipzig und Berlin droht nun die Aberkennung der Europäischen Zulassung für die veterinärmedizinische Ausbildung. Der Grund: Für die Zulassung durch die Qualitätssicherungsorganisation EAEVE benötigen sie ein tierärztliches Lehrkrankenhaus mit einer 24/7-Notfallversorgung. Auf Grund von Personalmangel haben beide Universitäten die Notfallambulanz eingestellt. Jetzt droht an der Freien Universität laut internen Unterlagen auch der Pferdenotfallklinik das Aus. Für die mehr als 1.600 Studierenden der Veterinärmedizin an der FU könnte das heißen, dass ihr Abschluss nicht mehr anerkannt wird. Für die Beschäftigten der Tierkliniken bedeutet der Mangel schon seit Jahren Arbeitsbedingungen, die krank machen.
Millionen Stunden unbezahlt
Elf Stunden Pause zwischen zwei Schichten schreibt das Arbeitszeitgesetz vor. Nach Hause fahren, essen, waschen, schlafen und wieder auf Schicht. Viel ist das nicht. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sind strafrechtlich relevant, doch in den Tierkliniken der FU offenbar gang und gäbe. Selbst die Leitung der Veterinärmedizin schreibt in einem jW vorliegenden Konzeptpapier, dass »die gesetzlichen Ruhezeiten mit dem vorhandenen Personalspiegel bei weitem nicht mehr eingehalten werden konnten« und daher die 24-Stunden-Notfallversorgung eingestellt wurde. Trotz der eingeschränkten Öffnungszeiten aber hat sich offenbar wenig an den strafrechtlich relevanten Verstößen geändert. Laut Auskunft des Personalrates der FU seien Beschäftigte der Tierkliniken jetzt angewiesen, Überstunden einfach nicht aufzuschreiben, um strafrechtliche Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz auf dem Papier zu vermeiden. Die FU dementierte auf Nachfrage von jW diese Darstellung des Personalrates nicht.
Um das Problem des drohenden Entzugs der Akkreditierung abzuwenden, erarbeitete die Veterinärmedizinische Fakultät zusammen mit der Nordlicht Consultants GmbH ein Konzeptpapier, wie die 24-Stunden-Notfallversorgung wieder aufgenommen werden kann. Die große Erkenntnis: Es braucht mehr Personal. Doch vor allem mehr und besser bezahlte Professuren und Fachärzte. Um Einsicht in die Schicht- und Umstrukturierungspläne streitet der Personalrat derzeit vor Gericht. Ob mehr hochbezahlte Planstellen das Problem lösen, bezweifeln die betrieblichen Beschäftigtenvertreter. Schon jetzt würden laut Personalrat für viele ausfinanzierte Stellen keine Bewerber gesucht werden. Viele Auszubildende hätten unlängst die Nachricht erhalten, dass sie nicht übernommen werden. Auch diese Punkte dementierte die FU auf Nachfrage nicht.
In einer Klinik ist es nicht möglich, den Hammer fallen zu lassen, wenn die Uhr vier schlägt. Aber Überstunden scheinen hier keine Ausnahme, sondern Regel zu sein. Laut Tarifvertrag müssen sie mit Zuschlag ausbezahlt werden, wenn es keine Möglichkeit gibt, sie abzubummeln. Offenbar aber hat die FU über zehn Jahre tarifliche Zulagen für Überstunden und Schichtarbeit unterschlagen. Der Personalrat geht davon aus, dass die Beschäftigten insgesamt um mehr als eine Million Euro geprellt wurden. Auch hier: kein Dementi von der FU.
Einträgliche Nebengeschäfte
»Zur Sicherung des Not- und Nachtdienstes sind wir auch auf Ihre finanzielle Mithilfe angewiesen.« Prominent prangt der Spendenaufruf auf der Webseite der FU-Kleintierklinik. Eines der finanziellen Probleme der Tierkliniken, die die Nordlicht Consultants GmbH evaluierte, sind die privaten Nebentätigkeiten von Professoren und Professorinnen auf Kosten der FU. Sie können ganz legal private Rechnungen für Behandlungen schreiben, die sie mit personellen und materiellen Ressourcen der FU durchführen. Darüber, wie viel Geld Professorinnen und Professoren mit dieser so genannten Privatliquidation erwirtschaften, wollte die FU mit Verweis auf »Personaleinzelangelegenheiten«, die sich derzeit in Prüfung befänden, keine Auskunft erteilen. Das Konzeptpapier schlägt vor, die Nebeneinkünfte künftig auf das Doppelte eines professoralen Grundeinkommens zu begrenzen. Das Grundgehalt einer W3-Professur liegt bei 7.360 Euro im Monat. Falls eine Deckelung politisch beschlossen wird, würde das kleine Extra der Nebentätigkeit auf »lediglich« noch 14.700 Euro im Monat sinken.
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