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Aus: Ausgabe vom 02.05.2023, Seite 5 / Inland
Destabilisierte Volkswirtschaft

Wirtschaftlicher Stillstand

»Nullwachstum«: Im ersten Quartal 2023 schrammte BRD-Ökonomie laut Statistischem Bundesamt knapp an Rezession vorbei
Von Klaus Fischer
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Wirtschaftswachstum? Der Graph zum Ausmaß des Wunschdenkens der Bundesregierung ist auf Habecks Tafel hier nicht sichtbar

Das war wieder knapp. Laut Statistischem Bundesamt schrammte die Bundesrepublik im ersten Quartal nur knapp an einer technischen Rezession – also einem Rückgang des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen – vorbei. Wie die Wiesbadener Behörde am Freitag meldete, blieb das BIP preis-, kalender- und saisonbereinigt auf der gleichen Höhe wie im Zeitraum von Oktober bis Dezember 2022. In Zahlen ausgedrückt: Das »Wachstum« belief sich auf 0,0 Prozent. Stillstand. Zum Jahresende 2022 hatte sich die Wirtschaftsleistung zum Vorquartal nach jüngsten Daten sogar um 0,5 Prozent, statt wie zuvor geschätzt um 0,4 Prozent, verringert.

Zahlreiche optimistischere Voraussagen von Regierungsseite und Ökonomen ließen für 2023 auf einen leichten Zuwachs hoffen. Das nun von den Statistikern errechnete Ergebnis ist ernüchternd für Politik und Kapital. Allerdings besser als eine Rezession. Die hätte sich nach der Wirtschaftskriegserklärung gegen Russland und markigen Tönen Richtung Beijing seit Februar 2022 schlecht gemacht.

Die Sanktionen gegen den früheren Hauptlieferanten für fossile Energieträger, die in der Sprengung der Erdgasleitungen Nord Stream 1 und 2 gipfelten, zeigten tatsächlich Wirkung. Allerdings tendenziell anders als in Berlin und Brüssel erwartet. Da ist zunächst die anhaltende Geldentwertung, die sich vor allem als Kaufkraftschwund bemerkbar machte. Drastisch gestiegene Energiepreise und infolgedessen eine breit gefächerte Teuerung bei nahezu allen Waren, zu deren Erzeugung Energie benötigt wird, bremsten den Konsum der Privatverbraucher. Bei einem Plus bei den Lebensmittelpreisen von mehr als 20 Prozent ist es kein Wunder, dass vor allem die geringer Verdienenden oder auf Sozialleistungen angewiesenen Menschen hart getroffen wurden. Diverse »Erleichterungen« der Bundesregierung waren da allenfalls ein Trostpflaster.

Auch Industrieunternehmen rechneten offenbar intensiv durch, ob unter den neuen Bedingungen eine Produktion noch profitabel wäre. So kam beispielsweise der weltgrößte Chemiekonzern BASF zu dem Schluss, dass dies für eine Reihe von Fertigungsprozessen nicht mehr gegeben sei – und kündigte Investitionen im Ausland an. Wirtschaftsverbände, die lange Zeit fragwürdige Experimente im Kontext der grünen »Energiewende« – wie dem gleichzeitigen Ausstieg aus der Atom- und Kohleverstromung – kommentarlos geschluckt hatten, begehren zunehmend auf.

Dennoch wird medial stets versucht, die Kausalitäten zu verschleiern. Die anhaltend hohe Inflation habe zwar den privaten Verbrauch und die konsumnahen Dienstleister zu Jahresbeginn belastet, schrieb die Deutsche Bundesbank laut dpa in ihrem aktuellen Monatsbericht. »Die Industrie erholte sich jedoch stärker als angenommen.« Die – dank eines milden Winters – wieder etwas zurückgegangenen Energiepreise hätten die energieintensive Produktion gestützt. Zudem hätten sich Lieferengpässe bei Vorprodukten weiter aufgelöst, die Nachfrage habe merklich angezogen. Allerdings klingt das eher nach einer Momentaufnahme, nicht nach einer erkennbaren Tendenz.

Passend zu dem verbreiteten vorsichtigen Optimismus hatte sich auch die Stimmung in der Wirtschaft etwas verbessert. Das vom Münchner Ifo-Institut berechnete »Geschäftsklima« stieg zum Vormonat um 0,4 Punkte auf 93,6 Zähler. »Die Sorgen der deutschen Unternehmen lassen nach, aber der Konjunktur fehlt es an Dynamik«, versuchte sich Ifo-Präsident Clemens Fuest in einem verbalen Spagat.

Im laufenden Jahr dürfte das BIP nach Einschätzung des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (der sogenannten Wirtschaftsweisen) um 0,2 Prozent wachsen. Die Bundesregierung geht zwar von einem etwas stärkeren Plus von 0,4 Prozent aus – allerdings scheint hier das Wunschdenken eine Rolle zu spielen. Im Januar hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) für die russische Volkswirtschaft ein nominales BIP-Wachstum von 0,3 Prozent im Jahr 2023 prognostiziert.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (2. Mai 2023 um 11:57 Uhr)
    Nowaja ekonomitscheskaja politika; deutsch (NÖP) war ein wirtschaftspolitisches Konzept in der Sowjetunion, das Lenin und Trotzki 1921 gegen erheblichen Widerstand in der eigenen Partei durchsetzten. Ihr Hauptmerkmal war eine Liberalisierung der Wirtschaft und Einführung marktwirtschaftliche Methoden und Interessen. Heute in der deutsche Wirtschaftspolitik herrscht dagegen mehr die grüne Ideologie und eine subventionierte Vetternwirtschaft! Die Wirtschaft wird dadurch zur Beute der Politik und ihr enormen Schaden zugeführt! Mindestens so sieht es nach den Ergebnissen aus. Damit ergibt sich die Frage nach der politischen Legitimität und verfassungsrechtlichen Relevanz. Politik und Medien blasen schon lange ins gleiche Horn. Sie belegt, dass sich die gesamte politische Klasse bestens im Parteienprivileg des Grundgesetz-Artikels 21 bequem eingerichtet hat und lebt dort wie Made im Speck! Einige Politiker nutzen den Staat als Selbstbedienungsladen – und kommen damit komischerweise auch durch. Diesen undemokratischen Komfort sollte man beenden. Natürlich verbleibt die Möglichkeit, nicht zu wählen. Diese Option ist hochpolitisch, weil die Parteien nichts mehr fürchten als eine geringe Wahlbeteiligung. Dies nagt an ihrer Legitimität. Konstruktiver ist das Postulat nach der ersatzlosen Streichung des Grundgesetzartikels 21 (Parteienprivileg) und einer flächendeckenden Einführung des direkten Wahlrechts.