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Aus: Ausgabe vom 02.05.2023, Seite 8 / Inland
Abschiebungen

»Diese Verhinderung von Teilhabe mutet archaisch an«

Nordrhein-Westfalen: Abschiebesystem brutalisiert sich. Verein behält »Einzelfälle« im Blick. Ein Gespräch mit Britta Rabe
Interview: David Bieber
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Viele Abschiebeflüge starten hier: Der Flughafen in Frankfurt am Main

Die Abschiebemaschinerie hierzulande wird mehr und mehr zu einer Blackbox. Seit 2020 werden etwa Angaben zu den an Abschiebungen beteiligten Fluggesellschaften als Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse verweigert. Warum ist das so?

Die Veröffentlichung von Fluggesellschaften ist ja deshalb unterbunden worden, weil diese so stark in der Kritik standen und dies rufschädigend war. Die jahrelangen Proteste haben gewirkt. Inzwischen werden häufig No-Name-Gesellschaften eingesetzt, die schmutzige Geschäfte durchführen wie eben Abschiebungen oder Waffentransporte, die keine Schalter an den Flughäfen haben und keine Niederlassungen in Europa, an oder in denen man vor Ort und sichtbar protestieren könnte. Daneben sind aber auch weiterhin bekannte Fluggesellschaften im Abschiebegeschäft aktiv.

Seit 2021 betreibt das Komitee für Demokratie und Grundrechte ein »Abschiebungsreporting NRW«. Geht es dabei auch um die Durchsetzung der Rechte von Betroffenen?

Unser Projekt »Abschiebungsreporting NRW« arbeitet nicht juristisch. Das Ziel des Projekts ist es, vielfältige Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, die sich aus der Abschiebungspraxis in Nordrhein-Westfalen ergeben, und zwar am Beispiel von Einzelfällen. Diese stehen exemplarisch für das rigide Abschiebesystem in NRW und bundesweit. Unsere Veröffentlichungen führen meist erst zum Bekanntwerden und damit zur Auseinandersetzung auf kommunaler Ebene. Juristisch arbeiten andere Organisationen. Wir verstehen uns daher als besonders effektive Ergänzung, da wir kritisch und unabhängig berichten können.

Im Zuge der Debatte um die Unterbringung von Geflüchteten und die damit verbundenen Kosten für die Kommunen werden Rufe nach mehr Abschiebungen zur »Entlastung« lauter. Wie beurteilen Sie da?

Deutschland schiebt seit Jahren unbarmherzig ab und zielt darauf, Abschiebungen zu steigern. Häufig nimmt man dafür Rechtsbrüche in Kauf – egal, wer die Bundesregierung gerade stellt. Die Abschiebung von Kranken, von Schwangeren, das Auseinanderreißen von Familien und vieles mehr sind inzwischen keine Ausnahmen mehr. Sie sind das neue Normal – nicht nur in NRW. Das Abschiebesystem brutalisiert sich ebenso wie das EU-Grenzregime, dessen Teil es ist. Es ist zu erwarten, dass dies angesichts der zunehmenden Krisen, Kriege und der menschengemachten Klimakatastrophe noch zunehmen wird. Deutschland setzt wie alle anderen EU-Staaten neben Abschiebung auf Abschreckung und Abschottung. Das Resultat sind aber nur mehr Leid und mehr Tote, die bewusst in Kauf genommen werden.

Mit dem Ziel der Abschottung der »Festung Europa«.

Diese Festung Europa wird täglich vielfach und an vielen Orten herausgefordert durch Menschen, die ihr Recht auf Bewegungsfreiheit in Anspruch nehmen. Diese Festung kann nur von den Menschen auf der Flucht zusammen mit uns hier vor Ort verändert werden. Irgendwann wird man Konsequenzen ziehen müssen, aus dem Verständnis heraus, dass Deutschland Mitverantwortung trägt für die Situation in den Herkunftsländern im globalen Süden – historisch und aktuell. Migration lässt sich nicht verhindern.

Welche Botschaft sendet ein erklärtes Einwanderungsland aus, wenn beispielsweise ein seit 35 Jahren hier lebender Vietnamese wie gerade in Chemnitz abgeschoben werden soll?

Das soll die Botschaft aussenden, dass ein Mensch, selbst wenn er hier einen großen Teil seines Lebens verbracht hat, nicht willkommen ist, jedenfalls nicht als gleichwertiger Teil unserer Gesellschaft. Diese deutsche Verhinderung von Zugang zu gleichen Rechten und Teilhabe ist brutal und mutet archaisch an. Im angesprochenen Falle verliert ein Mensch sein ihm zustehendes Bleiberecht, nur weil er sein Heimatland länger besucht hat. Sein bisheriges Leben hier wird komplett ignoriert.

Britta Rabe ist politische Referentin beim Komitee für Grundrechte und Demokratie mit Sitz in Köln

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