Geil auf den Krieg
Von Susann Witt-Stahl
Deutsche Landser verspüren wieder den »Drang nach Osten«. Jonas Kratzenberg war »angewidert von der Inaktivität der Bundesregierung« und wollte »Europa vor russischer Aggression« schützen. Und so schloss sich der Panzergrenadier im März 2022 der Internationalen Legion der Ukraine an. In seinem Buch »Schützenhilfe«, das am Dienstag erschienen ist, erzählt Kratzenberg von seinen Abenteuern an Orten, wo »die Kugeln knapp am Kopf vorbeizischen«.
Das deutsche Medienestablishment feiert es als »Einblick in die Realität« und präsentiert genau von dieser bereinigte Interviews mit Kratzenberg nach NATO-Propagandastandard. Aber im Gespräch mit dem »gedienten« ehemaligen AfD-Politiker und »Militärhistoriker« Torsten Heinrich – angefeuert von einer großen Community, in der nicht wenige ihrer Gewaltfaszination mit User-Namen wie »Captain Himars« Ausdruck geben – plauderte der 25jährige Aachener aus dem Munitionskästchen.
Er sei fünf Jahre für den »großvaterländischen Krieg, wie man beim Bund sagt« ausgebildet worden, machte Kratzenberg keinen Hehl daraus, dass in den deutschen Streitkräften ein ausgeprägtes Bedürfnis besteht, dort weiterzumachen, wo der Naziopa 1945 aufhören musste. Nach einem Afghanistan-Einsatz, bei dem er nicht zum Schuss gekommen war, wollte er die Offizierslaufbahn einschlagen. In seinem Bataillon sei aber noch niemand im Kampfeinsatz gewesen, und die Bilder von Krieg und Soldaten hätten »noch in Stalingrad gesteckt«. Kratzenberg, der sich für alles Militärische begeistert, hält es jedoch lieber mit den Siegern und echten Kriegern. Daher verließ er die Bundeswehr, trat in die Territorialverteidigung der Ukraine ein und kämpfte mit hochmodernen NATO-Waffen in Irpin, Butscha, Cherson und Mikolajiw gegen die Russen.
»Ich wollte in die Schlacht«, sagt er. Und so gab es »viele Dinge an der Front«, die ihm »als schön in Erinnerung geblieben« sind, obwohl sie »in dem Moment einfach nur räudig waren«. Zum Beispiel: »Mit ’nem Humvee unter Artilleriefeuer in die gegnerischen Stellungen reinzufahren – das war unglaublich geil.« Über die Erfahrung des Russentötens will Kratzenberg sich allerdings nur mit seinen Kameraden austauschen: »Wir haben es irgendwo auch gefeiert, aber das ist für uns.« Um so zwangloser spricht er aber übers Russenmorden: Zwei, drei seiner ukrainischen »Jungs« hätten Kriegsgefangene in ein Waldstück abgeführt, und danach sei nur noch »peng, peng, peng!« zu hören gewesen, so Kratzenberg. »Natürlich wurden russische Kriegsgefangene auch geschlagen oder getreten«, Erniedrigungen seien an der Tagesordnung, räumt er ein und schilderte eine Drangsalierung mit einem Messer. Alles »ganz klar Kriegsverbrechen«, stellte Interviewer Heinrich fest, und Kratzenberg versicherte ihm, dass diese immer folgenlos blieben.
Heinrich sprach auch das Nazithema an: »Sie sind tatsächlich der erste, der mich danach fragt«, alle anderen Journalisten hätten es tunlichst vermieden, erwiderte Kratzenberg. Und er berichtete von »absolut krassem Antisemitismus« sowie ukrainischen und anderen osteuropäischen Kameraden, darunter auch Juden, die ein Hakenkreuz trugen. Dieses habe aber eine »ganz andere Bedeutung« als in Deutschland: Es sei lediglich ein antikommunistisches und antisowjetisches Symbol, beschwichtigte Kratzenberg und demonstrierte damit seine tragische Ahnungslosigkeit davon, dass Antikommunismus ein zentraler Wesenszug des Nazismus wie jedes anderen Faschismus ist. Entsprechend unbedarft ließ er auch seinem Hass auf »Watniks« (Schimpfwort für Angehörige der russischen und prorussischen Arbeiterklasse) und »Friedenstauben« freien Lauf.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Volker B. aus Winterthur (30. April 2023 um 10:38 Uhr)Hallo, solche Artikel sind dringend notwendig. Es ist Wahnsinn, was hier läuft. Deshalb mal neben einem dicken Lob nur Kritik für ein Detail: Die abgebildete Waffe ist kein Scharfschützengewehr sondern ein MG, und das Zielfernrohr auf der Waffe auch keines für Scharfschützen. Es ist deshalb unwahrscheinlich, dass eine solche Waffe zur Ausbildung von Scharfschützen verwendet wird. Allerdings passt das Bild sehr gut zur Illustration des Wahnsinns. Deshalb nur als Hinweis, dass die Bildunterschrift möglicherweise einen Irrtum enthält. Viele Grüsse, VB.
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