Bedingte Meinungsfreiheit
Von Nick Brauns
Überraschend endete ein Prozess gegen den Friedensaktivisten Heinrich Bücker am Donnerstag vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten mit einem Freispruch. Doch die Urteilsbegründung stärkte nicht das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, um das es nach Ansicht des Angeklagten und seiner zahlreich erschienen Unterstützer auf den Zuschauerplätzen ging.
Bücker, Betreiber eines »Anti-War Cafés«, hatte Widerspruch gegen einen Strafbefehl über 2.000 Euro wegen »Belohnung und Billigung von Straftaten« nach Paragraph 140 Strafgesetzbuch eingelegt. Ihm wurde vorgeworfen, am 22. Juni 2022 auf einer Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Überfalls der Naziwehrmacht auf die UdSSR am Sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park den aktuellen Krieg Russlands gegen die Ukraine gebilligt zu haben. In seiner Ansprache hatte Bücker beklagt, dass Deutschland heute in der Ukraine die Nachfolger jener faschistischen und russophoben Kräfte unterstütze, mit denen die Nazis bereits während des Zweiten Weltkrieges kooperiert hatten.
Er lehne Kriege grundsätzlich ab, bekannte der Friedensaktivist vor Gericht, ihm gehe es aber darum, den Kontext des Krieges in der Ukraine deutlich zu machen. Als Bücker über den »Maidanputsch« von 2014 sprach, ermahnte ihn die Richterin, er »begebe sich auf dünnes Eis« und begehe unter Umständen neue Straftaten.
Die Staatsanwältin hielt ein Strafmaß von 40 Tagessätzen zu 50 Euro weiterhin für angemessen. Gegen den Angeklagten, der sich des »Sprachgebrauchs des russischen Regimes« bedient habe, spräche der hohe Verbreitungsgrad seiner Rede.
Genau in diesem Punkt wollte die Richterin der Anklage nicht folgen. Der Angeklagte habe zwar Äußerungen getätigt, »wo einem der Atem stockt«, zeigte sich die Juristin überzeugt, dass Bücker Kriegsverbrechen verharmlost habe. Doch sei dies auf einer Kundgebung geschehen, wo nur Bückers »Fans«, aber »kein einziger Ukrainer« anwesend gewesen seien. Die Rede sei daher nicht geeignet gewesen, den durch Paragraph 140 geschützten öffentlichen Frieden zu stören, begründete sie den Freispruch »aus rechtlichen Gründen«. Von einem »Pyrrhussieg«, der allein auf der Unbedeutendheit des Ortes der Rede fuße, sprach Anwalt Tobias Krenzel gegenüber dieser Zeitung.
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