Parasit auf dem Tenniscourt
Von Gabriel Kuhn
Man kann aus allem einen Kulturkampf machen. Auch aus sogenannten Netzballspielen, aus Tennis, Badminton, Tischtennis und dergleichen. Aber der Reihe nach.
Auch Menschen, denen Netzballspiele egal sind, wird möglicherweise nicht entgangen sein, dass neue Formen die Welt erobern. In Europa ist das vor allem Padel, das Tennis und Squash vereint und wettkampfmäßig im Doppel gespielt wird. Auf der Website des Deutschen Padelverbandes spart man nicht an Bescheidenheit und stellt Padel als »schnellste wachsende Sportart der Welt« vor. Tatsächlich werden ständig neue Hallen gebaut, in sechs deutschen Städten gibt es eine »Padel City«. 2022 eröffnete Fußballtrainer Jürgen Klopp eine Halle in Berlin, nebenbei verkauft er von ihm designte Schläger. Gut, der Mann muss finanziell über die Runden kommen.
Padel mag manchen als Trendsportart auf die Nerven gehen, für größere Auseinandersetzungen sorgt jedoch auf der anderen Seite des Atlantiks Pickleball. Hier wird Tennis eher mit Badminton kombiniert. Die Rackets sind denen des Padel ähnlich (Marke: überdimensionierte Tischtennisschläger), die Bälle durchlöcherte Plastikkugeln, gespielt wird auf einer Art Minitennisfeld. Man muss wenig laufen, das Tempo ist bescheiden. O-Ton Tennistrainer: »Es ist, wie Tennis in der Matrix zu spielen: zehnmal langsamer.« Caitlin Thompson, Mitgründerin des Tennismagazins Racquet nannte Pickleball »Tennis für Nichtsportler«.
Pickleball wird vor allem von Menschen über 50 gespielt. Aber nicht nur: Sogar eine Profiliga gibt es in den USA mittlerweile, Basketballstar LeBron James und Quarterbacklegende Tom Brady investieren.
In die Quere kommen sich Tennis und Pickleball vor allem im Alltag, auf Graswurzelniveau. Das hat mit den zahlreichen öffentlichen, kostenlos zugänglichen Tennisplätzen in den USA zu tun, auf denen einst auch Venus und Serena Williams von ihrem Vater Richard das Tennisspielen erlernten. Heute werden diese Plätze zunehmend von Pickleballspielern in Anspruch genommen.
Pickleball lässt sich auf gewöhnlichen Tennisplätzen spielen, wenn man die entsprechenden Begrenzungen markiert. Doch in den Augen vieler Tennisspieler verunstalten die meist mit Kreide gezeichneten Markierungen die Tennisplätze. Besonders verpönt sind farbige Tapes, die nach dem Entfernen Klebespuren hinterlassen. Anfang 2023 wurde ein Mann in Colorado zu 5.000 US-Dollar Strafe verurteilt, weil er die Markierungen mit Industriemarkern vorgenommen hatte.
Interessanterweise kommen nun ausgerechnet dem als Sport der Oberschicht verschrienen Tennis die progressiven Sympathien zu. Auf die Spitze treibt es ein halb ernster, halb satirischer Verein aus New York City, der sich Club Leftist Tennis nennt. Im Februar 2022 stellte man ein Manifest mit dem Titel »Gegen Pickleball« online, doch die prägnantesten Einschätzungen gibt es auf dem Kurznachrichtendienst Twitter zu lesen. Beispiel: »Pickleball ist ein von Risikokapital geförderter Parasit, der sich im öffentlichen Raum ausbreitet.«
Pickleballgegner geben sich gerne als Verteidiger des öffentlichen Raumes. Manche greifen zu drastischen Mitteln. 2021 musste eine Reihe von Pickleballplätzen im kalifornischen Santa Rosa gesperrt werden, nachdem man dort mehrere Liter Motoröl ausgeschüttet hatte. Das hinterlassene Erklärungsschreiben ließ keinen Zweifel daran, dass hier beinharte Pickleballhasser am Werk waren.
Die Ursprungsgeschichte von Pickleball trägt zum konservativen Ruf bei. Einer der drei Erfinder, Joel Pritchard, war Abgeordneter der Republikaner im US-Repräsentantenhaus. Heute wird das Spiel primär von erfolgreichen Unternehmern wie der »Internetpersönlichkeit« Gary Vaynerchuk gehypt. Die Kritik von links kontern sie gerne mit dem Argument, dass Pickleball billig, einfach und zugänglich für alle sei, also eigentlich ein Traum für jene, die einen inkludierenden, nichtelitären Sport fordern. Für Charlie Dulik und Michael Nicholas, die Gründer des Club Leftist Tennis, ist das Augenauswischerei. Auf Twitter erklären sie: »Offene und vielfältige Tenniskreise werden als altbacken und konservativ dargestellt, um Tennisplätze durch Dinge zu ersetzen, die mehr Profit bringen.«
Wenn bei allen die Kasse klingelt, ist freilich auch Versöhnung möglich. Das 1965 gegründete Magazin Tennis bringt heute Titelgeschichten zu Pickleball, renommierte Tennisklubs bieten Pickleballcamps an, und im US-amerikanischen Tennis Channel laufen auch Pickleballturniere. Dass die US-Konflikte auf Deutschland überschwappen, ist kaum zu befürchten. Hier gibt es wenige öffentliche Tennisplätze zu verteidigen. Pickleball hinkt Padel außerdem noch weit hinterher. Gibt es beim Padel schon eine Bundesliga, hat Pickleball nur Turniere wie das German Oktoberfest Pickleball Open in Gelsenkirchen zu bieten. Für Kulturkampf ein bisschen spärlich.
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