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Aus: Ausgabe vom 21.04.2023, Seite 5 / Inland
Steigende Wohnkosten

Alarm am Bau

Wohnungsbaugipfel: Bündnis fordert mehr Geld. Mietpreisexplosion durch Spekulation kein Thema
Von Gudrun Giese
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Wenn gebaut wird, dann meist Luxuswohnungen wie hier in Frankfurt am Main

Alarmstimmung beim 14. Wohnungsbautag in Berlin: Ein aus Handwerk, Immobilienwirtschaft, Gewerkschaft und Mieterbund bestehendes Verbändebündnis Wohnungsbau hat am Donnerstag Mahnungen und Forderungen an die Politik präsentiert. Mit dem Rückenwind einer Studie des schleswig-holsteinischen Wohnungs- und Bauforschungsinstituts Arge verlangten die Verbandsvertreter unisono mehr Wohnungsbau, gesenkte Baustandards und erheblich mehr Steuergelder für die als erforderlich angesehenen 400.000 Einheiten pro Jahr. Dietmar Walberg, der für die Studie verantwortlich zeichnete, machte auf der Pressekonferenz folgende Rechnung auf: Angesichts von steigenden Grundstücks-, Material- und Personalkosten liege derzeit der Preis für Wohnungsneubau bei 5.000 Euro pro Quadratmeter. Das erfordere Mindestmieten von 17,50 Euro kalt. Da aber der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen der höchste sei, müsse der Staat erheblich mehr Steuergeld in die Subventionierung des Wohnungsbaus stecken – etwa 2.900 Euro pro Quadratmeter, um eine »sozialverträgliche« Miete von unter zehn Euro zu erhalten.

Dem Präsidenten des Deutschen Mieterbundes, Lukas Siebenkotten, war es vorbehalten, auf die Fehler der Vergangenheit hinzuweisen. Er verwies auf den Bedarf an rund 100.000 neuen Sozialwohnungen jährlich, von denen nur ein Viertel fertiggestellt werde. »Doch da zugleich erheblich mehr bestehende Wohnungen aus der Sozialbindung herausfallen, wächst der Bedarf noch schneller.« Arge-Professor Walberg befand, dass die derzeit existierenden Kapazitäten reichen würden, um pro Jahr 400.000 neue Wohnungen zu bauen. Das allerdings nur unter der Voraussetzung, »dass das Bauen auch möglich ist: ohne lähmende Genehmigungsprozesse, ohne hemmende Vorschriften und Auflagen«. Und ergänzt um eine funktionierende Förderung durch Bund und Länder.

Die Verbandsvertreter warnten vor einem drohenden »Kipppunkt« für den Fall, dass der Staat die in Folge steigender Preise und Zinsen rückläufige Bautätigkeit nicht wieder in Gang bringe. Schon jetzt gingen im Baugewerbe die Kapazitäten zurück – davor warnten Christian Staub, Vorstandsmitglied im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes, und Robert Feiger, Bundesvorsitzender der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt. Studienautor Walberg betonte in seinem Vortrag, dass der Abbau von Kapazitäten im Baugewerbe sechsmal schneller ablaufe als ihre Wiederherstellung. Er plädierte dafür, Baustandards zu senken und stellte einen Gebäudetyp »E« vor, wobei das »E« für »einfach« ebenso stehen sollte wie für »experimentell«. Gesenkte Anforderungen, beispielsweise beim Schallschutz, ermöglichten Baupreise von wenig über 3.000 Euro pro Quadratmeter.

Bei so viel Einsatz für günstiges Bauen von Mietwohnungen durfte der Appell aus der Immobilienwirtschaft in Richtung Eigentumsförderung nicht fehlen. Dirk Salewski, Präsident des Bundesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, forderte mehr Geld für Förderprogramme, die Häuslebauern und potentiellen Erwerbern von Eigentumswohnungen zugutekommen sollten. Gleichzeitig müsse der Wohnungsbau dringend dereguliert werden. Dass Vorgaben zu Dämmung, Heizung, Begrünung, Stellplätzen und anderem die Bauzeiten in die Länge ziehen, verdeutlichte Studienautor Walberg: Im Mittel liege die Dauer eines Wohnungsbaus bis zur Fertigstellung bei 60 Monaten.

Außen vor blieben bei der Veranstaltung Hinweise zur rasanten Verteuerung des Wohnungsbestandes durch Umwandlung in Eigentum, Abriss bezahlbarer Mietwohnungen, spekulative Mehrfachverkäufe von Altbauten, Umwandlungen in Ferienwohnungen und weiterer Entwicklungen auf dem Mietwohnungsmarkt. Schließlich wäre vielleicht noch ein Satz zur Versiegelung durch Siedlungs- und Verkehrsflächen sinnvoll gewesen, die nach einer Vorgabe der Bundesregierung von 2002 bis 2030 auf 20 Hektar pro Tag sinken soll. Zwischen 2018 und 2021 lag der Wert laut Umweltbundesamt bei 55 Hektar. Auch das ein »Kipppunkt«.

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  • Leserbrief von Christian Helms aus Dresden (21. April 2023 um 12:03 Uhr)
    16 Millionen davon sind Einfamilienhäuser. In ihnen wohnen statistisch 1,8 Menschen. Für 32 Millionen wäre Platz im Bestand hat der Architekturprofessor Wilfried Wang 2022 vorgerechnet. Der von der Ampelkoalition anvisierte Neubau von jährlich 400.000 Wohnungen ist deshalb in Frage zu stellen. Der vermeintliche Mangel an Wohnflächen ist demnach lediglich ein Verteilungsproblem. Eine Lösung des Problems ist von der Politik jedoch nicht zu erwarten. Denn Wachstum und Privateigentum sind existentiell für das kapitalistische Wirtschaftssystem. Statt alternative Lösungen zum Wohnungsneubau zu erwägen, um den Flächen- und Ressourcenverbrauch zu verringern, wird ihn die Politik weiterhin favorisieren. Wie auch in anderen Wirtschaftsbereichen wird sie dem kurzfristigen Wachstum den Vorrang vor den Bedrohungen durch die Klimakrise geben.

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