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Aus: Ausgabe vom 15.04.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Eigene Schand’

Von Reinhard Lauterbach
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Der Lauscher an der Wand, sagt das Sprichwort, höre seine eigene Schand’. Das gilt, wie sich zeigt, auch dann, wenn das vom Lauscher genutzte Loch nicht in der Wand, sondern in der Firewall sitzt. Denn was mussten die Damen und Herren von der »Defense Intelligence Agency« (DIA) da aus Kairo hören? Der in ihrem eigenen Land und in Großbritannien ausgebildete ägyptische Präsident Abdel Fattah Al-Sisi wies seine Militärführung an, geheime Raketen- und Munitionslieferungen an Russland vorzubereiten. Das sei »das mindeste, womit wir uns als Land bei Russland revanchieren können für das, was es für Ägypten getan hat«.

Es läuft derzeit nicht wirklich rund für die USA. Um das zu verdecken, werden jetzt Cover-up-Storys entwickelt wie die von einem jungen Soldaten der Nationalgarde, der angeblich die Geheimdokumente ins Internet gestellt haben soll. Der blinde Fleck dieser These: Die Dienststelle, in der er tätig war und die Dokumente abgegriffen haben soll, ist nach den ersten Versionen so geheim gewesen, dass man keine Mobiltelefone oder sonstige Datenträger mit hineinnehmen durfte. Die geleakten Dokumente waren aber Fotodateien. Irgend etwas stimmt hier also nicht, und so kam der Leitartikel der FAZ vom Mittwoch, in dem über Fortschritte der Fälschungstechnik bei Bildern lamentiert wurde, zum absolut richtigen Zeitpunkt. Denn: »Daraus ergibt sich eine Gefahr, die schon heute Folgen hat: Menschen kapitulieren vor der Frage, was eine Fälschung sein könnte, und kommen zu dem fatalistischen Schluss, dass man ohnehin nichts mehr glauben könne. Das gefährdet die Demokratie, denn sie beruht auf Vertrauen.«

Ach, und wir dachten, sie beruhe auf politischer Mitsprache und der »Auseinandersetzung der Argumente«. Haben sie uns jedenfalls in der Schule erzählt. Nein, lernen wir jetzt, sie beruht darauf, dass sich der durchsetzt, der so geschickt fälschen kann, dass man ihm nicht drauf kommt. Jedenfalls nicht so schnell. Ein Element politischer Aufklärung von einer Seite, von der man sie nicht erwartet hätte.

Ein anderes Stück historischen Materialismus lieferte ungewollt Anton Hofreiter von den Grünen. Im Deutschlandfunk interviewt, kritisierte er am Donnerstag, dass fünf große deutsche Konzerne die deutsche China-Politik zu steuern suchten, weil sie vom chinesischen Markt abhängig seien. Wo doch etwa beim Stichwort seltene Erden die Abhängigkeit von China ohnehin schon viel zu groß sei. Was Hofreiter in seinem Plädoyer für »mehr Unabhängigkeit von China« nun wirklich vorschlagen wollte zum Thema seltene Erden, wurde er leider nicht gefragt. Es gäbe natürlich eine Möglichkeit, das Dilemma zu lösen: die Lagerstätten zu erobern. Einstweilen backt Annalena Baerbock kleinere Brötchen und musste bei ihrer Pressekonferenz in Beijing einräumen, dass »kein anderes (…) Land einen größeren Einfluss auf Russland (habe) als China« (DLF, 14. April). Noch ein enormer Erfolg der Ampelaußenpolitik.

Aber anstatt einfach mal den Mund zu halten, zeigen die Mainstreammedien mit dem Finger auf andere. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Beispiel habe mit seiner »Abgrenzungssucht gegenüber den USA« und seiner Liebedienerei gegenüber China klar aufs falsche Pferd gesetzt, moniert die FAZ vom Donnerstag. Paris-Korrespondentin Michaela Wiegel konnte sich einen Schuss Häme nicht verkneifen: »Noch vor Ende seines ersten (es ist übrigens – leider – schon das sechste, Madame, R. L.) Amtsjahres liegt ein Hauch von Fin de règne über der Regierung. Auch im Rentenkonflikt hat sich die solitäre Führungsmethode Macrons als nicht zeitgemäß erwiesen.« Das sitzt: »Halten Sie erst mal Ihre eigenen Untertanen im Griff, bevor Sie Weltpolitik zu machen versuchen.« Auch für die Herrschenden gilt: Der Hauptfeind sitzt im eigenen Land. Soviel Liebknecht muss sein, auch bei der FAZ.

Ach, und wir dachten, Demokratie beruhe auf politischer Mitsprache und der »Auseinandersetzung der Argumente«. Haben sie uns jedenfalls in der Schule erzählt. Nein, lernen wir jetzt, sie beruht darauf, dass sich der durchsetzt, der so geschickt fälschen kann, dass man ihm nicht drauf kommt.

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