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Aus: Ausgabe vom 15.04.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Nahostkonflikt

Massaker zur Staatsgründung

Palästina: Vor 75 Jahren ermordeten zionistische Milizen die Einwohner des Dorfes Deir Jassin
Von Karin Leukefeld
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Überlebende von Deir Jassin: Die heute 85jährige Mariam Akil Umm Osama (Ostjerusalem, 8.4.2021)

Am 29. November 1947 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 181 (II), den Teilungsplan für Palästina. Unmittelbar darauf begann die systematische Vertreibung von bis zu 800.000 Palästinensern. Was die Israelis »Unabhängigkeitskrieg« nennen, ist für die Palästinenser bis heute die Katastrophe (arabisch: Nakba).

Laut UN-Charta wäre die UN-Vollversammlung nicht befugt gewesen, eine Entscheidung von solcher Tragweite zu treffen. Nach Artikel 1 Absatz 2 der Charta müssen »Beziehungen zwischen den Nationen« den Grundsatz von »Gleichberechtigung und Selbstbestimmung der Völker« respektieren. Palästina in einen arabischen und einen jüdischen Staat zu teilen, hätte mindestens ein Referendum der dort lebenden Bevölkerung erfordert. Doch das von der UNO eingerichtete Sonderkomitee Palästina (UNSCOP), das den Teilungsplan befürwortete, setzte sich durch: Ein Referendum gab es nicht, und mit einer knappen Mehrheit von 21 zu 20 Stimmen bei 13 Enthaltungen wurde die Entscheidung über die Teilung Palästinas der UN-Vollversammlung überlassen. Dort stimmten schließlich 33 Staaten für die Aufteilung, 13 Staaten stimmten dagegen, und zehn Staaten enthielten sich.

Keines der zustimmenden Länder lag auch nur annähernd in der Nachbarschaft Palästinas. Alle damals existierenden Staaten der Region – Türkei, Libanon, Syrien, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Jemen und Ägypten – stimmten gegen den Teilungsplan und wurden von Afghanistan, Griechenland, Indien, Kuba und Pakistan unterstützt.

Die rund 1,9 Millionen Menschen in Palästina wurden nicht gefragt. Zwei Drittel waren muslimische, christliche und drusische Palästinenser. Etwa ein Drittel waren Juden, die in den 50 Jahren zuvor dorthin zugewandert waren.

Unmittelbar nach der Verabschiedung der Teilungsresolution begann der »Unabhängigkeitskrieg«, wie es in Israel heißt. In den »Kriegstagebüchern« des späteren Ministerpräsidenten David Ben-Gurion ist mit Datum 15. Januar 1948 nachzulesen, was das strategische Ziel des Krieges war: »die Zerstörung der städtischen Gemeinden, die die organisiertesten und politisch bewusstesten Teile des palästinensischen Volkes waren«. Die ländlichen Siedlungen in der Umgebung der Städte sollten »erobert und zerstört« werden, um die städtischen palästinensischen Gemeinden »von Transportmitteln, Lebensmitteln und Rohstoffen« abzuschneiden. Der so ausgelöste »Prozess des Zerfalls, des Chaos und Hungers« sollte die Palästinenser zur Aufgabe zwingen.

Anfang April 1948 verschärften die zionistischen Milizen ihre militärische Strategie mit »Plan D« (Dalet), der von der Haganah ausgearbeitet worden war. Die wichtigste paramilitärische Organisation war 1920 unter der britischen Mandatsmacht entstanden. Bei der Gründung des Staates Israel am 15. Mai 1948 bildete die Haganah den Kern der neuen israelischen Streitkräfte.

»Plan D« bedeutete die Vertreibung der arabischen Bevölkerung. Ihre Dörfer sollten zerstört werden, um die Rückkehr der Vertriebenen zu verhindern.

Am 9. April 1948 wurde Deir Jassin angegriffen. Der kleine Ort lag westlich von Jerusalem. Die etwa 600 Bewohner von Deir Jassin hatten sechs Jahre zuvor mit den jüdischen Gemeinden der Nachbarschaft offiziell Freundschaft geschlossen. Das Dorf war weitgehend ohne den Schutz der Männer, weil diese an der Beerdigung des bekannten Politikers und Widerstandskämpfers Abd Al-Kader Al-Husseini teilnahmen, der am Tag zuvor beim Kampf um den Ort Castel getötet worden war.

Die Milizen der mit der Haganah konkurrierenden Irgun nutzten diese Lage und ermordeten wahllos die Menschen in Deir Jassin. Im Bericht des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) heißt es: »Mindestens 200 Personen, Männer, Frauen und Kinder, wurden in Deir Jassin von der Irgun getötet, nach deren eigenen Angaben.«

Die israelische Filmemacherin Neda Shoshani recherchierte in israelischen Archiven und fand Filmaufnahmen und Berichte über das, was in Deir Jassin geschehen war. Die Menschen seien »verstümmelt, enthauptet, ausgeweidet und vergewaltigt« worden. Sie zeigte die Aufnahmen der israelischen Zeitung Haaretz, die schrieb: »Der Film zeigt einen jungen Mann, der an einen Baum gefesselt ist und in Brand gesteckt wird. Einer Frau und einem alten Mann wird in den Rücken geschossen. Mädchen werden vor einer Mauer aufgestellt und mit einem Maschinengewehr erschossen.«

In Shoshanis 2017 erschienenem Dokumentarfilm »Born in Deir Yassin« (Geboren in Deir Jassin) kommen an dem Massaker beteiligte Milizionäre zu Wort, die ihr Handeln ohne Scheu beschreiben. Er habe einen bewaffneten Araber und zwei arabische Mädchen getötet, sagt einer der Männer. »Ich stellte sie an eine Wand, und dann habe ich sie mit zwei Schüssen aus dem Maschinengewehr erschossen.« Sie hätten eine Menge Geld sowie Silber- und Goldschmuck erbeutet. Die Toten seien aufgestapelt und angezündet worden, sagt ein anderer. Ein mittlerweile verstorbener ehemaliger Oberstleutnant der israelischen Armee spricht von einem »Massaker«.

In israelischen Militärarchiven würden alle Beweise unter Verschluss gehalten, musste die Filmemacherin Shoshani erfahren. Auch der Oberste Gerichtshof verweigerte die Herausgabe der Aufnahmen mit der Begründung, dass bei einer Veröffentlichung der Aufnahmen »die außenpolitischen Beziehungen des Staates und der ›Respekt vor den Toten‹ Schaden nehmen könnten«.

Hintergrund: Demoverbote in Berlin

Die Berliner Polizei hat für dieses Wochenende zwei Demonstrationen für die Rechte der Palästinenser sowie mögliche Ersatzveranstaltungen verboten. Geplant war unter anderem eine Demonstration zum Tag der palästinensischen politischen Gefangenen am Sonntag. Es habe die Gefahr bestanden, dass es zu antisemitischen Ausrufen, Gewaltverherrlichung oder Gewalttätigkeiten komme, begründete die Polizei am Donnerstag die Verbote. Hintergrund ist eine propalästinensische Demonstration vom vergangenen Sonnabend. In einem Videozusammenschnitt im Internet sind Parolen gegen den Staat Israel sowie zur Unterstützung des palästinensischen Widerstands zu hören, die nach bisheriger Einschätzung der Polizei allerdings nicht strafbar waren. An einer Stelle ruft ein einzelner Mann: »Tod den Juden!« Verschiedene Medien und Vertreter von Israel-Lobbyorganisationen, die ein schärferes Vorgehen der Polizei und Verbote solcher Demonstrationen forderten, hatten fälschlich kolportiert, der judenfeindliche Ruf sei vom Lautsprecherwagen gekommen oder von der Menge skandiert worden. Gegen den bislang unbekannten Rufer hat die Polizei ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Volksverhetzung eingeleitet.

Bereits im vergangenen Jahr war in Berlin eine Reihe von Demonstrationen für die Rechte der Palästinenser verboten worden. Betroffen waren etwa sämtliche Gedenkveranstaltungen zum Nakba-Tag im Mai. Derzeit laufen Prozesse gegen Personen, die damals etwa wegen Tragens einer Kufija – des traditionellen palästinensischen Schals – im Bezirk Neukölln, wo eine große palästinensische Diaspora lebt, festgenommen worden waren. Unterdessen ruft die Kampagne unter dem Hashtag »Nakba 75« dazu auf, zum 75. Jahrestag der Vertreibung Hunderttausender Palästinenser durch zionistische Milizen eine zentrale Demon­stration am 20. Mai in Berlin zu organisieren. Diese soll sich auch gegen die Unterdrückung der Palästina-Solidarität richten. (nb)

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