Verkehrswende abgesagt
Von Ralf Wurzbacher
Verkehrte Welt im Bundesverkehrsministerium (BMDV). Nach einem Handelsblatt-Bericht vom Donnerstag hat sich Ressortchef Volker Wissing klammheimlich vom Projekt verabschiedet, möglichst schnell möglichst viele Waren auf der Schiene zu transportieren. Bis dato gilt es als unstrittig, dass sich eine nennenswerte Reduktion der Treibhausgasemissionen allein durch eine erhebliche Stärkung der Bahn realisieren lässt. Entsprechend soll die Eisenbahn laut Koalitionsvertrag der Ampelparteien bis 2030 doppelt so viele Menschen wie heute befördern und den Anteil am Güterverkehr auf 25 Prozent steigern. Nicht mit dem FDP-Mann, der propagiert neuerdings: »Klima- und Verlagerungsziele sind zu trennen.«
So steht es in einem Bericht, den das BMDV noch vor Ostern an den Verkehrsausschuss des Bundestages übermittelte. Dessen Mitglieder hatten sich Aufklärung darüber erbeten, warum das Ministerium weiterhin Milliardensummen in den Ausbau von Fernstraßen stecken will, obwohl das viele Geld eigentlich viel dringender zur Ertüchtigung der maroden Bahninfrastruktur gebraucht wird. Die Antwort des Ministeriums mutet wie ein Aprilscherz an: Demnach basiere besagte Ansicht »auf dem früheren Verständnis, dass Fortschritte hinsichtlich der Klimawirkung des Verkehrs vorrangig durch eine Verlagerung von der Straße auf die Verkehrsträger Eisenbahn und Binnenschiff erreicht werden können«. Dem sei aber nicht so, weil der Straßenverkehr zunehmend elektrifiziert werde und der Strom dafür verstärkt aus erneuerbaren Quellen stamme.
Wer so unverblümt aufs Auto setzt, muss freilich weiter eifrig Betonpisten bauen. Nach der neusten Prognose des BMDV wächst der Verkehr in Deutschland bis 2051 kräftig weiter – vor allem auf der Straße, auf der Schiene weniger, auf dem Wasser kaum noch. Unterlegt wird das in besagtem Bericht mit der These eines »Güterstrukturwandels«, der sich in einem schrittweisen Rückgang bei Kohle, Koks und Mineralölprodukten zeige. Die Bahn werde Probleme haben, den Wegfall der schweren Massengüter mit leichteren Stückgütern »überhaupt nur auszugleichen«, sagt das Ministerium voraus. Die Alternative sieht Wissing einmal mehr auf der Straße – konkret in hybriden Lkw, die ihren »Sprit« aus einer Oberleitung ziehen. Bundesweit sind dazu bereits mehrere öffentlich geförderte Teststrecken in Betrieb, eine davon auf der A 5 in Hessen unter dem Namen »elektrifizierter, innovativer Schwerverkehr auf Autobahnen – Elisa«.
Für Winfried Wolf von der Initiative »Bürgerbahn« ist das Vorhaben ein neuer Treiber der »grassierenden Transportinflation«. Der zur Etablierung der Technik erforderliche Aufwand sei »gigantisch und nicht zu stemmen«, gab er am Donnerstag gegenüber junge Welt zu bedenken. Dazu komme der Widerspruch, dass man in den Städten E-Busse mit schweren Batterien forciere, während Oberleitungsbusse wie in Salzburg, Belgrad oder Bern abgelehnt würden. Aber auf der Autobahn sei alles anders, »obwohl hier der Investitionsbedarf immens ist«. Wolf fragt sich: »Warum gibt es kein Programm zur Vollelektrifizierung des Schienennetzes, wie in der Schweiz seit Jahrzehnten der Fall, wie in Österreich bis 2030 geplant?« Hierzulande stünden bisher nur knapp 60 Prozent des Netzes unter Strom, »weshalb Dieselloks häufig unter der Oberleitung fahren«.
Mit Blick auf den BMDV-Bericht spricht man beim Netzwerk »Die Güterbahnen« von einer »Kriegserklärung«. Die Lkw-freundliche Prognose und die verbale Abwertung der Schiene führten dazu, dass weniger in die Bahn investiert werde, monierte Geschäftsführer Peter Westenberger im Handelsblatt. Wissing sei »ein lupenreiner Lobbyist derjenigen Konzerne, die an Lkw und Erdöl verdienen«, beklagte Carl Waßmuth vom Bündnis »Bahn für alle«. »Was für eine Katastrophe für die Verkehrswende«, beklagte er im jW-Gespräch. »Wären die Grünen wirklich eine Klimaschutzpartei, müssten sie jetzt aus der Koalition aussteigen.«
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (14. April 2023 um 10:13 Uhr)Dass »Betonköpfen« eine besondere Affinität zu Betonpisten zu eigen ist, liegt auf der Hand. Besonders dann, wenn man als Lobbypolitiker zur Belohnung die meineidige Hand dabei weit aufhalten und lukrative Posten in der Auto-, Beton- oder Petrobranche erwarten kann. Einschlägige Beispiele dieser Art gibt es ja bereits zuhauf.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (13. April 2023 um 22:37 Uhr)Faktisch ist die Verkehrswende in Richtung Bahn schon lange abgesagt. Ob »Stuttgart 21« oder die Strecke Richtung Gotthard: »Dieses Jahr hätte der Rastatt-Tunnel im Bundesland Baden-Württemberg fertig sein sollen. Doch am 17. August 2017 senkten sich die Geleise über der Tunnelbaustelle um einen halben Meter. Durch die Sperrung geriet der Güterverkehr über Monate ins Stocken. Fünf Jahre später wird noch immer gebaut.« (Quelle: https://www.srf.ch/news/wirtschaft/rhein-alpen-korridor-der-bahn-zitterpartie-mit-dem-rastatt-tunnel-der-rheintalbahn-geht-weiter). Warum hacken alle auf dem Wissing rum? Der macht doch nur das gleiche wie seine VorgängerInnen. Wie bei ChatGPT kommt bei der FDP der Strom auch aus der Steckdose, das ist des Pudels Kern.
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