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Aus: Ausgabe vom 14.04.2023, Seite 2 / Inland
Privatisierung von Lernmaterialien

»So macht der Verlag den Millionenumsatz«

Verkauf alter Prüfungsaufgaben fürs Abitur ist lukratives Geschäft. Kampagne nimmt Länder in die Pflicht. Ein Gespräch mit Arne Semsrott
Interview: Gitta Düperthal
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Die Vorbereitung auf die entscheidenden Prüfungen sind auch ohne Geschäftemacher schwer genug (Dresden, 30.4.2021)

Ende April beginnen bundesweit die Abiturprüfungen. Doch wenn sich Schülerinnen und Schüler anhand von alten Prüfungsaufgaben gut darauf vorbereiten wollen, wird es schwierig. Sie kommen nicht leicht an diese heran und werden dafür zur Kasse gebeten. Nun ist Bildung allerdings Ländersache. Wie kommt es, dass nur in zwei Bundesländern die Lernmaterialien einfach heruntergeladen werden können, anderswo aber nicht?

Offenbar fehlen das Bewusstsein und der Wille dazu, die Schülerinnen und Schüler bei den Vorbereitungen für das Abitur zu unterstützen. Statt dessen verscherbeln die Länder die Aufgaben vergangener Prüfungen, die zumeist von Steuergeld erstellt wurden und für das Lernen für die Prüfungen hilfreich sein könnten, an private Unternehmen. So erwirbt der zum britischen Konzern Pearson gehörige Stark-Verlag die Lernunterlagen für wenig oder gar kein Geld und nutzt sie für sein Geschäftsmodell. Er lässt sie online hinter Bezahlschranken verschwinden, um so privaten Profit zu erwirtschaften. Das Unternehmen machte 2021 laut Handelsregister 13 Millionen Euro Umsatz, davon 82 Prozent mit den Prüfungsbüchern.

Mit der Kampagne »Verschlussache Prüfung« wollten Sie dieses Problem gemeinsam mit Wikimedia Deutschland beheben. Wie funktioniert das ganz praktisch?

Weil wir meinen, dass Schülerinnen und Schüler nicht davon abhängig sein dürfen, ob sie sich 15 Euro für den Wiedererwerb des öffentlichen Eigentums leisten können, stellen wir online Formulare bereit. So können sie mit wenigen Klicks anfragen, um die Lernmaterialien kostenlos zu erhalten. Die rechtliche Grundlage dafür sind die Informationsfreiheitsgesetze der Länder: Behörden müssen auf Anfrage amtliche Informationen wie diese Prüfungsaufgaben vergangener Jahre herausgeben. Wir versuchen, Druck auf die Landeskultusministerien zu machen. Sie müssen diese Materialien kostenlos online zur Verfügung stellen. In einigen Ländern funktioniert es gut, in anderen weniger oder gar nicht.

Solche Anfragen werden nicht immer zufriedenstellend beantwortet?

In der Tat, teilweise erst nach einer Frist von bis zu einem Monat – was für einige zu spät sein könnte.

Wie genau laufen solche Deals zwischen dem Verlag und den Bildungsbehörden?

Der Stark-Verlag fragt jedes Jahr nach, ob er die zurückliegenden Abiturprüfungen haben kann. Daraufhin getroffene Regelungen sind unterschiedlich. In einigen Ländern muss er nur einige Hundert Euro dafür zahlen. Hamburg gab die Materialien sogar kostenlos an den Verlag heraus. So erwirtschaftet er den Millionenumsatz. Als Reaktion auf unsere Kampagne veränderte der Stadtstaat das Transparenzgesetz so, dass Schülerinnen und Schüler keinen Zugriff mehr auf die Lernmaterialien haben – was wir nur als öffentlichen Willen zur Geheimhaltung auslegen können. Der Verlag erhält sie weiterhin geschenkt. Die dortige Bildungsbehörde hatte darauf gedrängt, die Bürgerschaft setzte es um.

Da fallen einem Begriffe wie Vetternwirtschaft oder Filz ein.

Wir beobachten, dass man in Hamburg die Lernmittelfreiheit nicht ernst nimmt, sondern statt dessen das Geschäftsmodell eines Verlages fördert. Dass dafür sogar ein Gesetz verändert wird, stinkt gewaltig. In Berlin hat man es ganz aus der Hand gegeben, Prüfungsmaterialien zu erstellen, und den Stark-Verlag damit beauftragt. Der profitiert zweifach: Er erhält Geld vom Land und kann die Materialien zudem verkaufen.

Gab es zur Initiative von »Frag den Staat« auch positive Reaktionen?

Ja, Länder wie Schleswig-Holstein und Niedersachsen veröffentlichen die Materialien direkt zum kostenlosen Herunterladen; in anderen, wie in Bayern und NRW, klappt es zumindest mit einem von der Schule vergebenen Passwort.

Wie geht es in der Sache nun weiter?

Wir werden jetzt prüfen, ob wir diese Lernmaterialien nicht selbst veröffentlichen können. Wenn der Verlag das kann – warum nicht auch wir? Bei uns können Schülerinnen und Schüler sie dann kostenfrei herunterladen. Wir stellen weiterhin Anfragen. Sollten sich Behörden weigern, werden wir prüfen, ob wir das gerichtlich durchsetzen können: Es geht um den Grundsatz, ob es freie Bildung für alle gibt.

Arne Semsrott ist Projektleiter der Onlinetransparenzplattform »Frag den Staat«

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  • Leserbrief von Michel Königshof aus Niddatal (14. April 2023 um 20:58 Uhr)
    Das ist eine Schweinerei. Ich bin momentan im Abschlussjahr und wir »müssen« uns diese sogenannten Stark-Hefte kaufen. Und zwar in jedem Fach. Die Lösungen sind dann natürlich in einem separaten Buch, das Geld muss ja fließen. Pro Fach macht das dann 20 Euro. Den Gesamtpreis kann man sich ausrechnen. Es gibt viele Mitschüler, die sich das einfach nicht leisten können und dann weder am Unterricht teilhaben können, noch privat effektiv lernen können. Bildung ist im Kapitalismus eben immer an den Geldbeutel der Eltern gekoppelt.
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (14. April 2023 um 10:00 Uhr)
    Der Staat als Bildungssaboteur und Unterstützer krimineller kommerzieller Vereinigungen. Von wegen »Chancengleichheit«!

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