Der Kampf geht weiter
Von Jürgen Heiser
Mumia Abu-Jamal ist »tief betroffen von dem Schlag, seiner Schwere, der herzzerreißenden Enttäuschung«. Diesen Eindruck des inhaftierten US-Bürgerrechtlers übermittelte Noelle Hanrahan von Prison Radio von ihrem jüngsten Besuch bei Abu-Jamal am Sonnabend im Staatsgefängnis Mahanoy in Frackville, Pennsylvania. Zuvor hatte Richterin Lucretia Clemons vom Common Pleas Court in Philadelphia am Freitag den Antrag des politischen Gefangenen für einen neuen Prozess abgelehnt.
Die Radioproduzentin brachte ihm die 38seitige Ablehnung von Richterin Clemons zu seinem sechsten Wiederaufnahmeantrag mit, den diese als »unbegründet« abgewiesen hatte. Abu-Jamal habe »die Worte sorgfältig Zeile für Zeile« studiert. »Worte, die geschrieben wurden, um ihn zu begraben. Worte, die dazu bestimmt sind, jede Hoffnung auszulöschen«, schrieb Hanrahan. Die Meinung einer Richterin, die weiter die staatliche Darstellung dessen aufrechterhalten wolle, was angeblich am frühen Morgen des 9. Dezember 1981 in Philadelphia passiert sei. Doch nicht der seither Inhaftierte habe den Polizisten Daniel Faulkner getötet, der gerade dabei war, Abu-Jamals jüngeren Bruder Bill zu verprügeln, erinnert Hanrahan. Was wirklich geschehen sei, »ist unstrittig«, betont sie: »Daniel Faulkner schoss Mumia in die Brust, der ging mit einem Lungendurchschuss zu Boden.« Jemand anders habe dann den »tödlichen Schuss auf Faulkner abgegeben« und sei weggerannt.
Doch das alles wurde in dem kurzen Prozess von Juli 1982 nie geklärt. Es reichte dem als Rassisten berüchtigten Richter Albert Sabo, den Ex-Black-Panther Abu-Jamal als »Cop Killer« zu verurteilen. Nach vier abgelehnten Berufungsanträgen entschied nun auch Clemons, die nach dem damaligen Verfahren aufgetauchten Unschuldsbeweise zu ignorieren. Der Antrag sei »unbegründet«, schrieb sie, die Beweise seien »verjährt«. Doch die angebliche »Endgültigkeit« ihrer Entscheidung sei »in Wirklichkeit der durchsichtige Versuch, zu vertuschen, was jeder weiß«, so Hanrahan. Polizei, Staatsanwälte und jetzt auch die Richterin hätten wie in Abu-Jamals Fall »jahrzehntelang Schwarzen in Philadelphia das Leben geraubt«. Das Unrechtssystem solle »unangefochten und Mumia bis zu seinem letzten Atemzug in einem Käfig eingesperrt bleiben«.
Er habe all diese Seiten der Richterin gelesen, »die ihn von seinen Urenkeln, seinen Brüdern, seinen Söhnen, seiner Tochter trennen«. Worte, die ihn daran hinderten, in Freiheit »die heilende Umarmung seines Volkes zu empfangen, während er um Wadiya, seine im Dezember nach 41 Jahren verstorbene Frau, weint und trauert«.
Und doch habe Hanrahan »einen Mann getroffen, der voller Leben war«. Er sei in die Arbeit an seiner Dissertation vertieft und nutze das Werk des algerischen Befreiers Frantz Fanon dazu, »diese neue Welt zu vermessen«. Er skizziere die Zukunft, den Tag, »an dem die Verdammten der Erde ihre Rechte zurückerlangen« werden. Abu-Jamal schreibe an »einer Gegenerzählung, die zur Freiheit aufruft und sie imaginiert«. Sie habe einen Gefangenen besucht, »der sich in der Welt engagiert, ja, der voller Hoffnung war, für uns alle und für sich selbst«. Einer Besucherin gab er einen handgeschriebenen Zettel mit auf den Weg: »Meine Freundinnen und Freunde, das sind traurige Nachrichten. Aber wir machen weiter – und das müssen wir auch. Ich liebe euch alle!«
Die in Frankreich lebende US-Poetin Julia Wright verfasste spontan ein Gedicht, in dem es heißt, die Richterin habe »vielleicht mit dem Fuß aufgestampft, ihren Hammer geschwungen wie den Herrscherstab weißer Vorherrschaft und ›nein‹ gesagt«. Aber: Die »ganze Welt« verlange »ohrenbetäubend nach Freiheit für Mumia«, und die Richterin sei »machtlos, es zu verhindern«.
Auf den Demonstrationen, die am Wochenende in verschiedenen Städten der USA aus Protest gegen die Gerichtsentscheidung stattfanden, vereinte alle die Hauptparole: »Der Kampf für Mumias Freiheit geht weiter.« Für Sonntag, den 23. April, wird zum nächsten internationalen Aktionstag aufgerufen. Einen Tag später begeht Mumia seinen 69. Geburtstag.
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