Gespenst der Sezession
Von Jörg Tiedjen
Es ist eine Provokation für Mali. Auch in diesem Jahr feiern die Tuareg der »Nationalbewegung für die Befreiung von Azawad« (MNLA) wieder die Ausrufung eines eigenen Staates im Norden des Landes vom 6. April 2012. Wie auf der Infoseite Bamada Anfang der Woche berichtet wurde, hat der MNLA für das Jubiläum am Donnerstag erneut Diplomaten und Vertreter internationaler Organisationen in die Stadt Kidal geladen. »Mehr braucht es nicht, um Mali wieder in Brand zu setzen«, schließt Autor Sikou Bah seinen bitterbösen Artikel.
Denn die Anfang 2012 gestartete Offensive des MNLA gegen die malische Regierungsarmee, die in deren nahezu völliger Vernichtung endete, war der auslösende Moment für Krieg und Chaos in dem Sahelstaat: Der MNLA konnte den Norden nicht lange unter seiner Kontrolle halten. Statt dessen wurden die »säkularen« Tuareg überrollt von verschiedenen Dschihadistenfraktionen, die sich in ihrem Rücken gebildet hatten – und in Bamako putschte das Militär.
Wie es damals weiterging: Anfang 2013 stießen die Al-Qaida-Kräfte nach Süden vor, und mit der Begründung, die Hauptstadt Bamako vor ihnen schützen zu müssen, intervenierte die frühere Kolonialmacht Frankreich. Die schlug zwar die Dschihadisten zurück, es gelang aber weder ihr noch der »Blauhelmtruppe« Minusma, Frieden zu schaffen. Aus zwei weiteren Putschen ging schließlich die gegenwärtige Übergangsregierung hervor. Frankreichs Truppen verwies sie im vergangenen Jahr des Landes – statt dessen kooperiert Bamako nun mit Russland.
Man kann davon ausgehen, dass Paris nur darauf wartet, seinen alten Einfluss in Mali zurückzugewinnen. Schon seit langem wird Frankreich vorgeworfen, die Tuareg für seine Zwecke zu instrumentalisieren. Ist es also Zufall, dass der Konflikt zwischen Tuareg und Bamako ausgerechnet jetzt wiederkehrt, wo Frankreich das Land verlassen hat? Es geht dabei nicht so sehr um die von dem MNLA geplanten Feierlichkeiten. Anlass ist vielmehr der Entwurf einer neuen Verfassung, die der malische Präsident Assimi Goïta vor zwei Wochen vorstellte und die zu einem bis jetzt noch nicht feststehenden Termin der Bevölkerung zur Abstimmung vorgelegt werden soll.
Anfang Februar hatten die Gruppen der Tuareg und Araber in Kidal, die 2015 mit Bamako den »Friedensvertrag von Algier« abgeschlossen hatten, angekündigt, eine einheitliche Organisation gründen zu wollen, den »Ständigen Strategischen Rahmen für Frieden, Sicherheit und Entwicklung« (CSP-PSD). Am 28. März ließ der Tuareg-Führer Alghabass Ag Intalla für den CSP-PSD verlauten, dass man sich nicht in der »sogenannten finalisierten Version der neuen Verfassung« wiedererkenne. Die Bestimmungen des »Vertrags von Algier« seien in ihm nicht berücksichtigt. Dieser lasse die Verabschiedung einer neuen Verfassung ohne das Einverständnis der Tuareg auch gar nicht zu. Ag Intalla rief nach »internationaler Vermittlung«, um den in der algerischen Hauptstadt eingeleiteten Friedensprozess zu retten.
Zwar sprach Ag Intalla anscheinend nicht für alle Organisationen, die im CSP-PSD vereint sind. Denn der »Hohe Rat der Imghad-Tuareg und ihrer Verbündeten« (CSIA) ließ im Anschluss an Ag Intallas Erklärung verlauten, dass er den Präsidenten der Übergangsregierung für den Verfassungsentwurf beglückwünsche und alle Malier aufrufe, ihn anzunehmen, da dies »für die heilsame Neugründung des Staates unerlässlich sei«. Aber CSIA-Chef El Haji Ag Gamou, ein altgedienter Armeekommandant, war auch während des Sezessionskriegs 2012 loyal zu Bamako geblieben.
Auch andere malische Gruppen haben sich in der Zwischenzeit gegen den neuen Verfassungsentwurf ausgesprochen. Die Religiösen im Land stört vor allem die Kennzeichnung Malis als eine »laizistische« Republik. Sie drängen darauf, das Prädikat durch »multikonfessionell« zu ersetzen. Doch in dem Widerstand der Tuareg liegt Sprengstoff. Bei allem unter ihnen vorhandenen Zwist nährt er Befürchtungen, dass es zu einer ähnlichen Entwicklung wie 2012 kommen könnte, als sich der Traum von dem angeblichen demokratischen Musterland im Sahel, das sogar als eine Art »Tigerstaat« gefeiert worden war, über Nacht in Wohlgefallen auflöste.
Onlineaktionsabo
Das Onlineaktionsabo der Tageszeitung junge Welt bietet alle Vorteile der gedruckten Ausgabe zum unschlagbaren Preis von 18 Euro für drei Monate. Das Abo endet automatisch, muss also nicht abbestellt werden. Jetzt Abo abschließen und gleich loslesen!
Ähnliche:
- REUTERS/Joe Penney18.05.2016
Hollande in Not
- REUTERS/Zohra Bensemra16.05.2015
Kein Frieden in Mali
Regio:
Mehr aus: Ausland
-
NATO wächst nach Norden
vom 05.04.2023 -
»Solche Tragödien waren vorauszusehen«
vom 05.04.2023 -
Tödliche Gleisarbeiten
vom 05.04.2023 -
London hetzt
vom 05.04.2023 -
Der Kampf geht weiter
vom 05.04.2023 -
Israel bebt
vom 05.04.2023