Koalition der Blender
Von David Maiwald
Sich sozial inszenieren, aber nichts Soziales im Sinn haben. Möglich wird das derzeit im Streit um die Kindergrundsicherung auf Regierungsebene. Es ist unwahrscheinlich dass die Ampel im Koalitionsausschuss vergangene Woche einfach vergessen hat, über »eines der zentralen familien- und sozialpolitischen Vorhaben der Bundesregierung« (Eckpunktepapier Kindergrundsicherung) zu sprechen. Streit über das, was noch kommt, hilft gleichzeitig zu kaschieren, was bereits beschlossen ist. Etwa die Aufweichung zentraler Aspekte des Klimaschutzgesetzes. Oder schnellere Planungsverfahren für den Autobahnausbau. Sei’s drum: Ein Kindergrundsicherungskrach will schließlich ausgetragen werden.
Streitpunkt ist Geld, weswegen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in der Debatte den Kinderschreck gibt. Hatte Familienministerin Elisabeth Paus (Bündnis 90/Die Grünen) zunächst zwölf Milliarden Euro für das Projekt der Ampelregierung veranschlagt, hält Lindner, der sich mit einer Zusammenführung kinderbezogener Leistungen und digitalisiertem Antragsverfahren zufriedengibt, bislang zwei bis drei Milliarden Euro für nötig. Man habe das Kindergeld ja gerade erst erhöht, erklärte er sinngemäß gegenüber dem Springer-Sonntagsblatt BamS, wohlweislich auslassend, dass armen Familien im Hartz-5- respektive Bürgergeldbezug die Erhöhung um 31 Euro angerechnet wird. Mehr Geld sei ohnehin nicht da, so seine Argumentation. Lindner hat andere Prioritäten, etwa die »Ertüchtigung der Bundeswehr«. Einer jW-Anfrage konnte die FDP-Bundestagsfraktion am Dienstag »aus terminlichen Gründen (…) nicht entsprechen«.
Armut in der Bundesrepublik wird für gewöhnlich hinter Begriffen wie »Armutsgefährdung« versteckt. Die betrifft derzeit laut Statistischem Bundesamt auf 21,3 Prozent der Kinder, was übersetzt bedeutet, dass ziemlich genau drei Millionen Kinder, also mindestens jedes fünfte, in Familien leben, die weniger haben als 60 Prozent des durchschnittlich mittleren Einkommens. Um Kinderarmut wirksam zu bekämpfen, seien mehr als 20 Milliarden Euro nötig, hatte der Kölner Armuts- und Ungleichheitsforscher Christoph Butterwegge gegenüber jW am Montag erklärt. Weder Lindners noch Paus’ Finanzierungspläne zielen also auf die Abschaffung von Armut.
Doch gegenüber der FDP sozial zu wirken ist kein Kunststück. SPD-Kovorsitzende Saskia Esken verwies am Dienstag wie Lindner auf bereits erfolgte Erhöhungen, stellte sich im ZDF-Morgenmagazin aber hinter den unzureichenden Schätzbetrag der Familienministerin. Der Chef des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, und DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel forderten gleichentags in Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten eine Positionierung von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Sein Schweigen sei »dröhnend laut«, wird Schneider zitiert. Auch Linke-Bundestagsfraktionsvize Dietmar Bartsch wünschte sich gegenüber dpa vom Kanzler, er möge die Prioritäten seiner Regierung mit Signalwirkung »für den gesellschaftlichen Zusammenhalt« bestimmen.
Die Unionsparteien schweigen indes noch lauter, eine jW-Anfrage blieb am Dienstag unbeantwortet. Die kinderpolitische Sprecherin der Linke-Bundestagsfraktion, Heidi Reichinnek, erklärte am Dienstag gegenüber jW, beim »Trauerspiel« der Ampelkoalition handele es sich »vor allem um Symbolpolitik«. Kann so stehenbleiben.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (5. April 2023 um 11:23 Uhr)Es ist kein Wunder, dass bei dem, der absichtsvoll und reichlich die Kanonen füttert, kein Geld mehr da ist, wenn die Kinder gefüttert werden müssen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (5. April 2023 um 10:40 Uhr)Deutsche Politprovinz: Eine Dreierkoalition ist sicherlich nicht leicht, unbedingt nicht, mit so unterschiedlichen Parteien, wie die Grünen und die FDP und dazu noch ein charismafreier SPD Kanzler. Aber diejenigen, die berufen sind, das Land zu führen, tragen die Verantwortung für Deutschland, wie es ist, nicht wie sie es gerne hätte! Es gibt viel zu tun! Inflation, Migration und Krieg in Europa. Die täglichen Chroniken erzählen uns von einem Land, das Entscheidungen braucht. Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius will bis zum Jahre 2025 eine Steigerung des Wehretats auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen, weil Ausrüstungsmängel bei der Bundeswehr bestehen. Der Frieden, womit wir in den letzten Jahrzehnten gut bedient waren, hat für ihn keinen Vorrang. Wirtschaftsminister Habeck hatte geklagt, dass »beim Klimaschutz in der Koalition« im Verkehrsbereich nichts mehr möglich sein wird. Besonders eine Änderung des Klimaschutzgesetzes löst bei den Grünen nicht die Inflation, nicht die Migration, sondern den Unmut aus. In welcher Form Öl- und Gasheizungen ab 2024 erneuert werden müssen stand während des 30stündigen Koalitionsausschusses außerdem im Mittelpunkt. Die Kindergrundsicherung müsse umgesetzt werden, um soziales Vertrauen zu schaffen. Doch auch bei diesem Vorhaben gibt es noch einen Haken. Die Finanzierung ist offen, nicht so bei Hochrüstung und Waffenlieferungen. Gerade nur hier sperrt sich Finanzminister Lindner, er hat aber vor seine Klientel zu entlasten und bei den sozialen Schwächen weiter zu kürzen. Na dann gute Nacht Deutschland!
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