Streik mit Signalwirkung
Von Dieter Reinisch, Belfast
Am Wochenende verkündete die britische Gewerkschaft GMB, dass mehr als 560 Arbeiter im Amazon-Verteilzentrum in Coventry vom 16. bis 18. April und abermals vom 21. bis 23. April ihre Arbeit niederlegen werden. Seit dem Beginn der Streiks am 25. Januar hatten Beschäftigte im Februar und März bereits sieben weitere Tage ihre Arbeit niedergelegt. Die Beschäftigten am Amazon-Standort in den englischen Midlands führen einen historischen Arbeitskampf an. Im Januar waren sie als erstes Verteilerzentrum des globalen Unternehmens in Großbritannien überhaupt in den Ausstand getreten.
Die Arbeitskämpfe dürften sich in den kommenden Wochen ausweiten. Denn auch die Belegschaft in fünf weiteren britischen Amazon-Standorten bereitet sich vor: In Mansfield in Nottinghamshire, Coalville in Leicestershire, Kegworth in Leicestershire, Rugeley in Staffordshire und Rugby in Warwickshire beraten die Beschäftigten derzeit über Arbeitskampfmaßnahmen. Eine Zustimmung der dortigen Gewerkschaftsmitglieder ist zu erwarten. Das letzte Angebot der Konzernführung war eine Erhöhung des Stundenlohns um 50 Pence – umgerechnet gerade einmal 56 Cent. Belegschaftsvertreter bezeichnen das als »Beleidigung«. Zuvor hatte das Unternehmen nur 35 Pence mehr geboten.
Der Ausgang des Arbeitskampfes von Amazon Coventry wird richtungsweisend nicht nur für Beschäftigte von Amazon in Europa, sondern auch die gesamte Lieferbranche in Großbritannien sein. Die Lieferanten sind zumeist als formell selbstständige Subunternehmen mittels Knebelverträgen an Amazon oder andere globale Unternehmen gebunden. Sie verdienen einen Hungerlohn, erhalten keine Sozialleistungen, Kranken- oder Rentenversorgung. Aufgrund der undurchsichtigen Vertragskonstellationen der in die Selbstständigkeit gezwungenen Arbeiter ist eine gewerkschaftliche Organisierung schwierig.
»Die Arbeitskampfmaßnahmen nehmen zu – dies könnte schnell zu einem Sommer des Streikchaos bei Amazon werden«, erklärte die GMB-Organisatorin des Amazon-Streiks, Amanda Gearing, nach der Verkündigung der neuen Streiktermine. Die Beschäftigten würden »keine Gehaltserhöhung von ein paar Cent von einem der reichsten Unternehmen der Welt akzeptieren«, so die Gewerkschafterin.
Am 22. März hatte Amazon eine Gehaltserhöhung im Pencebereich angeboten – zwischen 1,8 und 2,5 Prozent. Das Angebot wurde durchweg abgelehnt. Die Inflationsrate lag in Großbritannien im vergangenen Jahr durchschnittlich bei 12 Prozent. Amazon machte 2020 weltweit einen Umsatz von 386 Milliarden US-Dollar. Auch im Vereinigten Königreich stieg der Umsatz seinerzeit auf fast 20 Milliarden Pfund – das Unternehmen zahlte im folgenden Jahr allerdings nur 10 Millionen Pfund Steuern an den britischen Fiskus.
Die GMB ist eine der ältesten Gewerkschaften in Großbritannien. Sie organisiert vor allem Angestellte im Dienstleistungssektor und in den Kommunen. Nach eigenen Angaben hat sie über 600.000 Mitglieder.
Sie ist auch in den Arbeitskämpfen im Gesundheitssystem NHS stark vertreten. So organisierte sie vergangenen Freitag einen Streik der NHS-Angestellten in Nordirland. Ein weiterer Streiktag am Montag wurde kurzfristig abgesagt, nachdem der britische Nordirland-Staatssekretär Christopher Heaton-Harris versprach, in dieser Woche Verhandlungen mit den Gewerkschaften zu beginnen.
Während in anderen Landesteilen seit Wochen Verhandlungen über Gehaltserhöhungen im NHS laufen, gab es in Nordirland bisher keine Gespräche, da die dortige unionistische DUP die Regierungsarbeit boykottiert. Ohne funktionierende Regierung haben die Gewerkschaften keinen Ansprechpartner. London weigerte sich, Verhandlungen zu führen. Die öffentlich Bediensteten in Nordirland haben daher während der gesamten Teuerungskrise noch keine Gehaltserhöhung erhalten.
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