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Aus: Ausgabe vom 01.04.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Friedensbewegung

Die Waffen nieder

Ostermärsche beginnen am Wochenende. In einzelnen Orten Auseinandersetzungen um Versuche, Friedensbewegung nach rechts zu öffnen
Von Henning von Stoltzenberg
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Berliner Ostermarsch im vergangenen Jahr

Mit dem Wochenende beginnen die jährlichen Ostermärsche für Frieden und Abrüstung, die in der Bundesrepublik seit 1960 stattfinden. Entstanden sind die Demonstrationen rund um die Osterfeiertage aus der damaligen Protestbewegung gegen die Anschaffung bzw. Stationierung von Atomwaffen. Die Ostermärsche haben die Friedensbewegung entscheidend geprägt. Auch wenn die Zahl der Teilnehmenden sich in den vergangenen drei Jahrzehnten kontinuierlich verringert hat, gehen Jahr für Jahr bundesweit Tausende Menschen auf die Straße, um gegen die laufenden Kriege in der Welt, Aufrüstung und Rüstungsexporte zu protestieren.

Für dieses Jahr sind laut Webseite der Ostermarschbewegung 118 Veranstaltungen vorgesehen, vermutlich dürften es sogar ein paar mehr sein. Nachdem am Freitag in Osnabrück-Belm eine »Friedens-Oster-Radeltour« gestartet ist und in Tübingen eine Ostermarsch-Vorabkundgebung stattgefunden hat, macht die Friedensbewegung in Potsdam am Sonnabend wie immer seit 22 Jahren den Anfang. Dort sprechen nachmittags am Brandenburger Tor die Linke-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen sowie Reiner Braun vom International Peace Bureau aus Berlin zum Veranstaltungsmotto »Die Waffen nieder – für eine friedliche Welt«. Anschließend stehen Songpoesie und Friedenslieder sowie ein Auftritt der lokalen Schule der Künste auf dem Programm.

Am Osterwochenende findet in der Woche darauf der Großteil der Ostermarschaktivitäten statt. Den inhaltlichen Schwerpunkt in den meisten Städten bildet der Krieg in der Ukraine, aber auch andere Konflikt- und Kriegsregionen wie Syrien oder Jemen sollen bewusst thematisiert werden. Es ist eine vielfach geäußerte Kritik aus der Friedensbewegung, dass neben der täglichen Propaganda für Waffenlieferungen und Eskalation des Krieges in der Ukraine die anderen Konflikte, die zumeist mit deutschen beziehungsweise westlichen Waffen geführt werden, »vergessen« werden. In dieser und anderen Fragen ist sich die Friedensbewegung einig und hat auch in den letzten Jahrzehnten manche Kampagne der Militaristen und ihrer Lobby überlebt, die sie als »Traumtänzer«, »Ewiggestrige« oder neuerdings als »Lumpenpazifisten« diffamieren wollten.

Dabei steht die Friedensbewegung aktuell so uneins da wie schon lange nicht mehr. Für Außenstehende dürften die Differenzen auf den ersten Blick gar nicht sichtbar sein, sprechen sich die Friedensdemos doch überall für ein Ende der Kriege und gegen die Aufrüstung aus. In einigen Städten geht es indes weniger um die Slogans, als vielmehr um die Bündnispartnerinnen und -partner bei den aktuellen und geplanten Aktionen. Exemplarisch dafür sind mehrere Kundgebungen in Düsseldorf. Dort trat zuletzt ein neu gegründetes »Friedensbündnis NRW« mit mehreren Veranstaltungen in Erscheinung. Zuletzt fand dort am 25. März eine Kundgebung statt, bei der auch der ehemalige Linkspartei-Bundestagsabgeordnete Diether Dehm sprach. Unterstützer waren neben einzelnen Friedensbündnissen auch Gruppen aus dem schillernden Spektrum der Coronaproteste sowie die Kleinparteien »Team Todenhöfer« und »Die Basis«.

Das veranlasste Felix Oekentorp und Joachim Schramm, im Namen der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen NRW ein Rundschreiben »An Gruppen und Einzelpersonen der Friedensbewegung in NRW« zu verfassen. Darin bezeichnen sie diese Entwicklung als bedenklich. Man lehne eine Zusammenarbeit mit solchen Zusammenschlüssen ab. »Wir fragen, warum diese Kräfte eigene Strukturen aufbauen, anstatt bei den seit Jahren bestehenden Friedensgruppen vor Ort mitzuarbeiten«, heißt es weiter. Offenbar werde ganz bewusst die Nähe zu sogenannten Querdenkern »und noch weiter rechts stehenden Gruppierungen« gesucht oder zumindest nicht ausgeschlossen. Das stoße bei den meisten Friedensgruppen auf deutliche Ablehnung.

Oekentorp und Schramm sehen in der Bildung von Zusammenschlüssen wie dem Düsseldorfer »Friedensbündnis« den Versuch, die Friedensbewegung in NRW zu diskreditieren und zu spalten. Dagegen müsse man sich entschieden zur Wehr setzen. Die DFG-VK Münster und die Friedenskooperative hatten sich bereits zuvor deutlich positioniert und Rechte aller Couleur vom Ostermarsch in Münster ausgeschlossen.

Dokumentiert: Aufruf der AG Frieden aus Trier

Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat zu unzähligen Toten und Verletzten sowie zu Millionen Geflüchteten geführt. Infolge des Krieges sind die Beziehungen zwischen NATO und Russland an einem besorgniserregenden Tiefpunkt angelangt, wodurch auch die Wahrscheinlichkeit eines Atomkriegs zugenommen hat. Zusätzlich zu den riesigen Rüstungsetats planen Deutschland und andere Staaten, weitere Milliarden Euro in Aufrüstungsprojekte zu stecken. Wir warnen: Die ungehemmte Aufrüstung, immer mehr Krieg, zunehmende soziale Ungleichheit sowie Umweltzerstörung und Klimakrise führen die Menschheit in den Abgrund!

Wir fordern die Staaten und Regierungen weltweit zum Umdenken auf. In Kooperation, nicht in Konfrontation liegt die Lösung der globalen Probleme. Nur durch internationale Zusammenarbeit werden Abrüstung, eine atomwaffenfreie Welt und die Bewältigung der Klimakrise möglich! Von Russland fordern wir das Ende des Krieges gegen die Ukraine! Die Bundesregierung fordern wir auf, endlich wieder Friedensinitiativen zur Beendigung des Krieges zu starten und die Verhandlungsbereitschaft aller involvierten Parteien zu fördern. Die Menschen in der Ukraine brauchen dringend Friedensperspektiven. Immer mehr Waffenlieferungen schaffen keinen Frieden und werden die Spirale der Gewalt nicht durchbrechen. Dies ist nur durch einen Waffenstillstand, Verhandlungen und langfristig durch Versöhnung möglich – in der Ukraine und den Konflikten weltweit! Wir zeigen uns solidarisch mit allen von Kriegen und Konflikten betroffenen Menschen, wie etwa in Afghanistan, Äthiopien, Irak, Jemen, Mali, Myanmar, Syrien oder der Ukraine. (…)

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  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (3. April 2023 um 15:17 Uhr)
    In Umbruchsituationen werden bekanntlich Menschen politisch aktiv, die das vorher nicht waren, und ein Teil davon schließt sich nicht bestehenden Organisationen an, sondern gründet neue. Das Ausschlaggebende darf dabei nicht eine vermutete »Diskreditierung« bestehender Verbände sein, auch nicht das angebliche »Rechtssein«, sondern muss die Haltung sein, zu Panzerlieferungen bzw. anderen Rüstungslieferungen an die Ukraine, zum 100-Milliarden-Kriegskredit und zur Aufrüstung bis in Höhe von zwei Prozent des Bruttosozialproduktes, die Haltung zur NATO, von der diese Zielstellung stammt, und zu deren Ostausdehnung bis 300 Kilometer vor Moskau, ferner die Haltung zu den potentiell selbstmörderischen Sanktionen, dem »Wirtschaftskrieg« gegen Russland. Die AfD z. B. kritisiert einige dieser Positionen, bekennt sich aber klar zur NATO und kann genau darum, nicht wegen ihrer sozial reaktionären Innenpolitik, sondern wegen ihres Militarismus nie eine Verbündete sein. Die Parteien »Die Basis« und »Team Todenhöfer« aber sind damit durchaus nicht gleichzusetzen. Die Friedensbewegung ist gut beraten, hier nicht gleich »alle Brücken zu verbrennen«. Sonst könnte es nämlich nicht reichen. Genau das wollten Alice Schwarzer, Sahra Wagenknecht und einige Generäle aus Ost und West vermeiden am 25. Februar. Und die Praxis gab und gibt ihnen recht! Sektierertum schadet! Und würde auch den Ostermärschen schaden!
    Das Nationalkomitee »Freies Deutschland« (NKFD), eine antifaschistische Kriegsgefangenenorganisation in der UdSSR, versuchte vor 80 Jahren auch konservative bzw. sogar feudal-adlige Hitlergegner einzubeziehen, und benutzte daher die Farben Schwarzweißrot, nicht die der Republik! Gibt das vielleicht zu denken!?
    Man kann nur an die Verantwortlichen appellieren, nicht in erster Linie an die Abgrenzung nach rechts zu denken, auch wenn die wichtig ist, sondern primär »klare Kante gegen die NATO« zu zeigen! Die ist nämlich rechts! Rechter geht es kaum noch!
  • Leserbrief von Volker Wirth aus Berlin (3. April 2023 um 15:10 Uhr)
    Niemand und keine Organisation, die wie die AG Frieden Trier nur von Russland »das Ende des Krieges gegen die Ukraine« fordert, aber nicht das Ende des Krieges der Ukraine gegen die Volksrepubliken Donezk und Lugansk und das Ende aller Kiewer Rückeroberungsbemühungen bezüglich der Krim, trägt auch nur irgendetwas zum Ende der Kämpfe bei! Über solche unausgewogenen Aufrufe kann man sich nur mit eigenen sachkundigeren, ausgewogeneren Aufrufen, Transparenten, Plakaten usw. hinwegsetzen. Und trotzdem teilnehmen! Ein Boykott wegen des schon gebetsmühlenartig immer wiederholten »voelkerrechtswidrige(n) Angriffskrieg(es) Russlands auf(?) die Ukraine« hilft nicht weiter. Aber einfach hinnehmen kann man es auch nicht!
  • Leserbrief von Ralf Cüppers aus Flensburg (3. April 2023 um 11:26 Uhr)
    Vielen Dank für die klare Abgrenzung »gegen Rechts«, die Felix Oekentorp für den Ostermarsch überzeugend darstellte. Ergänzen muss ich allerdings, eine Abgrenzung gegen die im Bundestag vertretenen Kriegsparteien ist gleichermaßen nötig. Wir Ostermarschierer*innen gehen auch in diesem Jahr am Karfreitag 12.00 Uhr vom Bahnhof Schleswig zum Fliegerhorst Jagel und am Ostersonnabend 11.00 Uhr in Flensburg vom Nordertorplatz zum Deserteursdenkmal, um gegen die Aufrüstung der Bundeswehr zu protestieren. Wir fordern die Unterzeichnung des UN-Atomwaffenverbotsvertrages, die Abrüstung der Bundeswehr bis hin zu ihrer Auflösung, anstatt 100 Milliarden zusätzlich zum Bundeswehrhaushalt zu vergeuden. Wir fordern offene Grenzen, Bleiberecht für Alle und ein sicheres und dauerhaftes Bleiberecht für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure. Wir fordern ein Ende der Rüstungsproduktion und Rüstungskonversion für zivile Produkte, keine Rüstungsexporte, auch nicht in die Ukraine. Wir marschieren nicht mit Nazis, Reichsbürgern und der AfD. Wir grenzen uns auch gegenüber allen Parteien und Organisationen ab, die für Aufrüstung der Bundeswehr, Rüstungsproduktion und Rüstungsexporte sogar in Kriegsgebiete einstehen und noch nicht einmal die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrages durch die Bundesrepublik Deutschland unterstützen. Denn wenn sie vom Frieden reden, meinen sie Krieg und mit solchen kommen wir nicht zusammen. Mitglieder dieser Parteien und Organisationen, die darin für unsere Forderungen streiten, sind beim Ostermarsch herzlich willkommen. Parteifahnen sind auf unserem Ostermarsch unerwünscht.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Martina D. aus 15306 Vierlinden (1. April 2023 um 10:28 Uhr)
    Nach dem Lesen des Aufrufs war mein erster Reflex: »Gehe ich da überhaupt hin?« Ja, ich geh in Strausberg zum Ostermarsch (obwohl der hiesige chaotische Aufruf meist anonym gehaltener »linker« Vereine ebenso von politischer Unklarheit zeugt). Die Nachplapperei, dass Russland der Aggressor und der »Angriffskrieg« angeblich völkerrechtswidrig ist, genügt den Trierern nicht – nun ist Russlands Krieg auch noch die Ursache für die schlechten Beziehungen zwischen NATO und Russland. Wie kurzsichtig ist das! Schon vor und nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Wirtschafts- und Außenpolitiken der USA auf die Beherrschung der restlichen Welt gerichtet, auf ihre Bodenschätze, Absatzmärkte, Abhängigmachen schwächerer Länder, Versklavung ihrer Bevölkerung und gegen jede fortschrittliche oder gar kommunistische Regung eines Landes. Als Musterbeispiele können Vertragswerke wie der Marshallplan und TTIP dienen. Besondere Zielscheibe waren neben China, Kuba usw. vor allem die Sowjetunion/Russland. Das hätte beinahe geklappt, wenn Putin nicht Jelzin abgelöst hätte. Ich will damit sagen, dass schon vor der Nichterfüllung der Minsker Abkommen und dem Vollstopfen der Ukraine mit NATO-Waffen die Beziehungen Russland-NATO bzw. Russland-USA objektiv nicht gut sein konnten, und das lag nicht an Russland. Es sind kleingeistig-spießige Urteile über die Welt, die sich in derartigen Aufrufen zeigen, gut gemeint und schlecht gemacht, Einfallstor für die AfD. Wie will man solidarisch mit Kriegsopfern sein, wenn man den pazifistischen Gutmenschen gibt und sich überhaupt keine Gedanken macht über die Ursachen von Kriegen und über den »Weg, der in den Abgrund führt«? »Die Menschen in der Ukraine brauchen dringend Friedensperspektiven« – die Russen wohl nicht? Seit Putin an der Macht ist, bemüht er sich um Friedensperspektiven. Ernst genommen werden sie vom Westen bis heute nicht.

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