Auftakt zum Totentanz
Von Herbert Bauch
Im Mittelpunkt steht die italienische Hafenstadt Triest. Am adriatischen Meer gelegen, grenzt sie unmittelbar an Slowenien. Ende des 14. Jahrhunderts begab sie sich freiwillig unter die Herrschaft der Habsburger und wurde in den folgenden Jahrhunderten zum bedeutendsten österreichischen Seehafen, hier überschnitten sich die romanischen, slawischen und österreichischen Kultursphären. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde die Stadt zu einem Brennpunkt des entstehenden Faschismus, durchaus im Wortsinn. Am 13. Juli 1920 brannte der Narodni dom, das 1904 erbaute, symbolträchtige Kulturhaus der slowenischen Minderheit. Um das Geschehen politisch und historisch einzuordnen, erläutern die Autoren, die Brüder Ivan und Zoran Smiljanic, immer wieder die verschiedenen Pläne staatlicher Grenzziehung nach dem Ersten Weltkrieg und die Siedlungsgebiete der in diesem Landstrich lebenden Ethnien. Das geschieht in von der Handlung der Graphic Novel abgesetzten Texten und Bildern, was dem Leser hilft, die komplexen Zusammenhänge besser zu verstehen.
Die Jungen Josip und Giuseppe sind beste Freunde. Ihre unterschiedliche ethnische Zugehörigkeit spielt keine Rolle, sie sind Brüder vom Stamme der Apachen, ihren Helden aus Karl-May-Romanen. Josip kommt aus einer proletarischen Familie, sein Vater ist Sozialist und Hausmeister im Narodni dom; Giuseppes Elternhaus ist bürgerlich, gut betucht und nationalistisch. Als Giuseppe dem Freund sein Zimmer zeigt und ihm aus seiner Sammlung einen einbeinigen Bleisoldaten schenkt, schreit sein Bruder »Was macht der denn da? Geht!« und scheucht Josip aus dem Haus.
Nach dem Attentat auf den österreichischen Thronfolger und seine Gattin belauscht Josip ein Gespräch der Erwachsenen. Einzelne Worte dringen an sein Ohr. »Attentat – Serbien – beide tot«. Bei jedem Wort verzerrt sich das Schlüsselloch, durch das er blickt, bis es zuletzt beim Wort »Krieg« zum Totenkopf wird. Sein Vater wird eingezogen. Josip muss jetzt für die Familie sorgen, schmeißt die Schule. Er wird Hilfskraft im Hotel Balkan, das sich im Narodni dom befindet. Der Vater kehrt als Invalide aus dem Krieg zurück. Eine Granate hat ihm das rechte Bein abgerissen. Er sieht aus wie der Bleisoldat.
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges gehörte das österreichisch-ungarische Kaiserreich der Vergangenheit an. Jetzt beginnen die Verhandlungen über neue Grenzen. Aus den Trümmern der Donaumonarchie entsteht das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen. Italien bekommt weite Landstriche zugesprochen, die von einer halben Million Slowenen und Kroaten bewohnt werden. Die Spannungen nehmen zu. Der Schriftsteller Gabriele D’Annunzio schart Freiwillige um sich, besetzt im Herbst 1918 die Stadt Rijeka und erklärt sie zu Italien zugehörig. Auch die beiden Freunde, mittlerweile junge Erwachsene, keine kindlichen Apachen mehr, geraten in Streit, nachdem Giuseppe sich im Schwarzhemd präsentiert. Der Bleisoldat fliegt in den Ofen.
Am 12. Juli kommt es in Split zu einem Zwischenfall, über dessen Ursache in der Folge verschiedene Darstellungen im Umlauf sind. Die Triester Faschisten rufen am nächsten Tag zu einer Kundgebung auf. Eine Hetzrede folgt der anderen, bis schließlich der Ruf »Zum Balkan!« ertönt. Die Menge, mittlerweile auf etliche tausend angewachsen, zieht zum Narodni dom. Josip und ein Kollege haben die Türen verbarrikadiert, um die Gäste zu schützen. Plötzlich steht das Hotel in Flammen. Der Mob ist begeistert. Ein Panel, wie sich die Konturen der vor Freude tanzenden Faschisten zu einem Totentanz verformen.
Die Autoren erzählen die Geschichte des Brandanschlags und seines Vorlaufs nicht einseitig. Nüchtern, wie in einem historischen Proseminar stellen sie die stark abweichenden Darstellungen der slowenischen und der italienischen Presse gegenüber, häufig zweispaltig. Die schwarz-weißen Zeichnungen von Zoran Smiljanic zeigen sein ganzes grafisches Können, von realistischer Darstellung über cartooneske Bilder, bis hin zur Form des Grotesken, wo es vertretbar ist. In bedrohlichen Situationen überwiegt das Schwarz, es unterstreicht die Dramatik der Ereignisse.
Am 100. Jahrestag des Brandanschlags unterzeichnen die Staatspräsidenten Italiens und Sloweniens ein Memorandum zur Rückgabe des vielfach veränderten Narodni doms an die slowenische Volksgruppe in Triest. Und so endet auch die Graphic Novel: versöhnlich. Die letzten Bilder zeigen Josip und Giuseppe wieder als unbeschwerte Jungen, die zum Baden ins Meer springen. Eine Traumsequenz? Ein Blick auf das heutige Italien verdeutlicht: Die Flamme ist nicht erloschen.
Ivan Smiljanic/Zoran Smiljanic: Die schwarze Flamme. Der Beginn der faschistischen Gewalt in Triest 1920. Bahoe Books, Wien 2022, 120 Seiten, 19 Euro
Onlineaktionsabo
Das Onlineaktionsabo der Tageszeitung junge Welt bietet alle Vorteile der gedruckten Ausgabe zum unschlagbaren Preis von 18 Euro für drei Monate. Das Abo endet automatisch, muss also nicht abbestellt werden. Jetzt Abo abschließen und gleich loslesen!
Ähnliche:
- Willi Pechtl25.03.2023
Wegmarken eines Ehrenhaften
- imago images / Photo1207.03.2023
Ein Dreiviertelsieg der Bourgeoisie
- imago images/CHROMORANGE02.01.2023
Zwei honorige Offiziere
Regio:
Mehr aus: Feuilleton
-
Sie schaut uns an
vom 30.03.2023 -
Alles für die Katz
vom 30.03.2023 -
Mit Donaugrüßen
vom 30.03.2023 -
Nachschlag: Waffenschau am Abend
vom 30.03.2023 -
Vorschlag
vom 30.03.2023