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Aus: Ausgabe vom 30.03.2023, Seite 8 / Ausland
Aufstand gegen »Jupiter«

»Macron will zeigen, dass er nicht nachgeben wird«

Frankreichs Präsident eskaliert die Gewalt weiter. Rufe nach sechster Republik werden lauter. Ein Gespräch mit Antoine Léaument
Interview: Raphaël Schmeller, Paris
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Der Feind ist klar: Demonstration am Dienstag in Paris

Seit einer Woche versucht die französische Regierung, durch die vermehrte Zwangsrekrutierung von Arbeitern die Streiks im Land zu brechen. Sind diese »Réquisitions« legal?

Das ist leider erlaubt. Wir La-­France-insoumise-Abgeordnete betrachten das als einen Angriff auf das Streikrecht. Wir rufen dazu auf, sich dagegen zu wehren und die Streikenden zu unterstützen. Wenn ein solche »Réquisition« erfolgen soll, ist es nötig, in großer Zahl zu den Streikposten zu kommen, um die Polizei daran zu hindern.

Sie und mittlerweile sogar Organisationen wie Amnesty International kritisieren die »exzessive« Gewaltanwendung der Polizei.

Seitdem die Regierung die »Rentenreform« am 16. März per Diktat­artikel 49.3 am Parlament vorbei verabschiedet hat, haben die Proteste enorm zugenommen. Von da an hatten wir eine neue Stufe der Polizeigewalt erreicht, weil die Einsatzkräfte nun Befehle von oben erhalten, Widerstand mit extremer Gewalt niederzuknüppeln. Das haben wir am Wochenende in ­Sainte-Soline gesehen, wo Klimaaktivisten gegen ein Großprojekt der Agrarindustrie demonstrierten. Es kam zu kriegsähnlichen Szenen, mehr als 200 Demonstranten wurden verletzt, zwei davon lebensbedrohlich, sie liegen noch im Koma. Bei Gewerkschaftsprotesten in der vergangenen Woche hat außerdem ein Eisenbahner ein Auge durch ein Projektil verloren und einer Sozialarbeiterin wurde der Daumen abgerissen, als ein Gummigeschoss der Polizei ihre Hand traf.

Ist diese Eskalation der Gewalt eine Strategie Macrons?

Ja, er will damit zeigen, dass er auf keinen Fall nachgeben wird. Der Regierungssprecher hatte kürzlich sogar weitere »Reformen« angekündigt. Aber der Widerstand ist zu groß. Zum Beispiel wollte die Regierung jetzt mitten in dieser Krise ein verschärftes Einwanderungsgesetz erlassen. Sie haben es nun doch zurückgezogen, weil der Druck zu groß war. Macron wollte König Charles III. empfangen, auch das wurde aufgrund der Proteste abgesagt. Macron kann noch nicht mal mehr zum Länderspiel ins Fußballstadion gehen, und selbst wenn er nicht da ist, fordern die Fans – wie am Dienstag im Pariser Stade de France geschehen – seinen Rücktritt und pfeifen ihn aus. Er kann also nichts mehr tun.

Sie sind also optimistisch, dass Macron die »Rentenreform« noch zurücknehmen wird?

Ich bin sehr optimistisch. Noch nie war das französische Volk so zahlreich im Streik, in der Aktion, im Kampf. Noch nie gab es eine solche Solidarität bei den Arbeitern, selbst 1995, als wir bei der ersten »Rentenreform« gewonnen hatten. Zweitens ist es in unserem Land schon vorgekommen, dass eine Regierung eine »Reform« mit dem 49.3 durchgesetzt und dann doch noch zurückgenommen hat. Das war 2006 unter Präsident Chirac. Die damalige Regierung von Premierminister Dominique de Villepin wollte prekäre Erstanstellungsverträge – genannt CPE – durchsetzen. Es gab einen Misstrauensantrag gegen die Regierung, der mit 111 Stimmen scheiterte. Aber schließlich wurde das Gesetz zurückgezogen, weil die Mobilisierung nicht aufhörte.

Geht es mittlerweile um mehr als die »Rentenreform«?

Genau so ist es. Frankreich hat sich schon immer durch Revolutionen aufgebaut, und da machen wir heute weiter. Wir befinden uns in einem historischen Moment, und der Macronismus ist ein dunkler Fleck in der Geschichte Frankreichs, der zu Ende gehen muss.

Das heißt, es könnte zu einem ­Regimewechsel kommen?

Ich sehe nicht, wie man mit dieser Fünften Republik weitermachen kann. Die Menschen stellen nun voll und ganz fest, wie autoritär und monarchistisch sie ist. Forderungen nach einer sechsten Republik blühen überall auf.

Wie schätzen Sie die Rolle des ultrarechten Rassemblement ­National in dieser Situation ein?

Die Partei ist nutzlos für die kämpfende Bevölkerung. Sie steht nicht einmal an der Seite der streikenden Arbeiter. Der Vorsitzende Jordan Bardella hat kürzlich gesagt, er sei dafür, die »Rentenreform« zu blockieren, aber nicht für Chaos. Er spricht also wie ein Macronist. Diese Leute machen nichts anderes, als die Arbeiter durch Rassismus zu spalten.

Antoine Léaument ist Abgeordneter der Nationalversammlung für die Partei La France insoumise (LFI)

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