Warten auf den Sturm
Von Reinhard Lauterbach
Auf den ersten Blick hat sich in den vergangenen Tagen auf dem ostukrainischen Kriegsschauplatz nicht sehr viel verändert. Nach wie vor gibt es Kämpfe in der zerstörten Stadt Bachmut. Allerdings haben Einheiten der russischen Söldnertruppe »Wagner« offenbar im Häuserkampf in den Ruinen von Bachmut einige Geländegewinne erzielt. So bestätigte das regierungsnahe US-amerikanische »Institute for the Study of War« (ISW) am Mittwoch die Einnahme des größten Industriebetriebs der Stadt, des ehemaligen Buntmetallbearbeitungswerks, durch russische Truppen. Auf ukrainische Darstellungen, dessen Verwaltungsgebäude sei nach wie vor in ukrainischer Hand, ging das ISW nicht näher ein. Es schätzt, dass russische Truppen inzwischen etwa zwei Drittel des Stadtgebiets kontrollieren; die russische Seite nennt etwas höhere Prozentzahlen.
Im Unterschied zu diesen Erfolgen in der Stadt selbst sind die russischen Versuche, die Verbindungsstraßen nach Bachmut abzuschneiden, offenbar nicht vorangekommen. In den Meldungen ist seit Tagen von Kämpfen um dieselben Ortschaften im Umland die Rede. Auch weiter südlich im Raum der Industriestadt Awdijiwka am nordwestlichen Stadtrand von Donezk hat es offenbar zuletzt keine größeren Frontbewegungen gegeben. Ein dritter Schwerpunkt der Kämpfe ist die westlich von Donezk gelegene Stadt Marjinka, wo sich die Häuserkämpfe seit Wochen ohne entscheidende Veränderungen hinziehen.
Derweil mehren sich auf beiden Seiten die Spekulationen über Ort und Zeitpunkt der erwarteten Frühjahrsoffensiven. Von ukrainischer Seite wird regelmäßig angedeutet, dass die Offensive wohl vorwiegend im Südabschnitt der Front mit dem Ziel stattfinden werde, zum Asowschen Meer durchzubrechen und damit die russischen Verbindungslinien auf die Krim und zur Dnipromündung zu kappen. Ein Anzeichen hierfür könnten verstärkte ukrainische Artillerie- und Raketenangriffe im russisch besetzten Teil des Gebiets Saporischschja sein. So wurde in der Nacht zum Mittwoch das Lokomotivdepot am Bahnhof von Melitopol durch ukrainischen Beschuss beschädigt. Präsident Wolodimir Selenskij hat dieser Tage erklärt, schnell werde diese Offensive aber nicht kommen, weil die Ukraine noch nicht genügend schwere Waffen für diesen Zweck geliefert bekommen habe. Das kann aber natürlich genauso gut eine Kriegslist sein. Denn unbestritten ist, dass die aus der NATO gelieferten schweren Waffen allmählich im Kriegsgebiet eintreffen.
In diesem Kontext ist der Bericht eines russischen Militärkorrespondenten vom Dienstag interessant. Er schrieb über einen angeblich erfolgreichen russischen Raketenangriff auf eine Halle im Stadtgebiet von Saporischschja, wo etwa zehn Panzer westlichen Typs zerstört worden seien. Den entscheidenden Hinweis auf das provisorische Depot habe die russische Armee von Anwohnern erhalten, hieß es in dem nicht unabhängig zu überprüfenden Bericht. Eine Bestätigung von ukrainischer Seite gibt es für den Vorfall nicht.
Gleichzeitig mehren sich in russischen Medien aber Stimmen, die bezweifeln, ob Russland der erwarteten ukrainischen Offensive gewachsen sein wird. Teilweise wird dabei indirekt auf Materialmangel als Grund hingewiesen. So schrieb auf dem linksnationalistischen Portal svpressa.ru ein Autor, die Aufgabe, die Brücken über den Dnipro zu zerstören, die jeder Panzer und jede Granate auf dem Weg an die Front passieren muss, sei für Russland wenn nicht unmöglich, so doch mit zu hohem Aufwand verbunden. Man brauche hierfür sehr viele Bomben, riskiere den Verlust von Flugzeugen, und die Brücken und Staudämme könnten schnell wieder repariert werden. Im Kontrast hierzu stellen ukrainische Statements der vergangenen Tage die russischen Streitkräfte als wesentlich stärker dar, als die russischen Berichte es nahelegen. So äußerte sich der Kiewer Generalstab am Dienstag besorgt darüber, dass russische Kampfflugzeuge des modernen Typs Su-35 jetzt verstärkt lenkbare Bomben gegen Ziele im ukrainischen Hinterland einsetzten. Die seien reichlich vorhanden, zielgenauer als die meisten Raketen, aber wesentlich schneller und billiger zu produzieren als Raketen. Der Haupteinwand gegen diese Darstellung ist die Gegenfrage, warum Russland diese Lenkbomben dann nicht schon längst eingesetzt hat.
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