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Aus: Ausgabe vom 29.03.2023, Seite 7 / Ausland
Waffengewalt in den USA

Land unter Feuer

USA: »Freier Waffenbesitz« fordert weitere Opfer. Sieben Tote bei Schulmassaker in Nashville, Tennessee
Von Felix Bartels
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Nach dem Massaker: Überlebende Schüler warten auf ihre Eltern (Nashville, 27.3.2023)

Zahlen verraten nicht, was wirklich geschehen ist. Man kann an ihnen aber die Normalität des Unnormalen ablesen. In Nashville, Tennessee, hat es am Montag einen Angriff auf eine Schule gegeben. Es war das 133. »Mass Shooting« in den USA seit Beginn des Jahres.

Gegen 10 Uhr (Ortszeit) drang die 28 Jahre alte Audrey E. Hale in das Gebäude der Covenant School ein und tötete drei Schüler im Alter von neun Jahren sowie drei Angestellte der Schule, darunter die Direktorin Katherine Koonce. Die Polizei folgte einem um 10.13 Uhr eingegangenen Notruf. Um 10.27 Uhr erschossen zwei Beamte Hale in einem »lobbyartigen Bereich« der Schule. »Wir wissen, dass die Täterin mit mindestens zwei Sturmgewehren und einer Handfeuerwaffe bewaffnet war«, teilte Don Aaron, Sprecher der örtlichen Polizei, mit. Die Schützin habe noch unverschossene Munition bei sich getragen. Dem Chef des Metropolitan Nashville Police Departments, John Drake, zufolge sei sie früher Schülerin der Schule gewesen.

Die Covenant School liegt in Green Hills, einem wohlhabenden Stadtteil von Nashville, und wurde 2001 von der Covenant Presbyterian Church gegründet. Als private Lehranstalt hat sie einen Schüler-Lehrer-Schlüssel von acht zu eins, etwa 200 Schüler besuchen die Einrichtung, das Schulgeld beträgt jährliche 16.000 US-Dollar. Im Leitbild der Schule steht freie Entfaltung im Vordergrund. Andererseits erklärte die Covenant Presbyterian Church in ihrem »Nashville Statement« von 2019 »homosexuelles und transsexuelles Begehren« für »sündhaft«. Nach Polizeiangaben soll Hale sich als transgender definiert haben, auch ein »Manifest« sei sichergestellt worden, das zur Stunde ausgewertet wird. »Es gibt im Moment eine Theorie, aber sie ist nicht bestätigt«, sagte Polizeichef Drake.

Die überwältigende Mehrheit der Todesschützen im Zusammenhang von Mass Shootings sind Männer. Überwältigend ist auch die Menge der Vorfälle in den USA. Den Daten der Centers for Disease Control and Prevention zufolge wurden 2020 rund 20.000 Bewohner des Landes gewaltsam erschossen. Im selben Jahr waren Schusswaffen erstmals die häufigste Todesursache bei Kindern und Jugendlichen, noch vor Verkehrsunfällen. Nach Angaben des Weißen Hauses kamen in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehr Schüler durch Schusswaffen ums Leben als Polizisten und Soldaten im aktiven Dienst zusammengenommen. Seit Beginn des Jahres 2023 starben bei 133 Mass Shootings 189 Menschen. Als Mass Shooting gilt nach Definition der Stanford University jeder Vorfall, bei dem abzüglich der Täter drei oder mehr Personen ermordet oder verletzt wurden, wobei Morde im Zusammenhang organisierter Kriminalität ausgeschlossen sind. Der Begriff fasst also die Sorte Verbrechen, bei denen die Zahl unschuldiger Opfer besonders hoch ist.

Forderungen nach einem Verbot vollautomatischer Waffen und besseren Backgroundchecks bei Waffenkäufen haben in den USA wenig Aussicht auf Erfolg. Fest in der Hand der National Rifle Association, blockiert die republik­anische Partei im Repräsentantenhaus entsprechende Gesetzesbildungen. Selbst vor dem Hintergrund minderjähriger Opfer sieht sie sich als Wahrerin der Freiheit – bei eigenwilliger Auslegung des zweiten Verfassungszusatzes, der die Bewaffnung einer »wohlgeordneten Miliz« als notwendig für die öffentliche Ordnung erachtet. Nur stammt dieser Zusatz aus einer Zeit, in der solche Milizen noch die Funktion übernehmen mussten, die heute eine flächendeckend präsente Polizei innehat. Zum anderen kann im Fall der waffenvernarrten Bürger des Landes – mit 120,5 pro 100 Bewohner haben die USA die weltweit höchste Dichte an Feuerwaffen – von einer wohlgeordneten Miliz beim besten Willen keine Rede sein.

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  • Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (29. März 2023 um 11:19 Uhr)
    Wenn es nicht wegen der Opfer so traurig wäre, könnte man schadenfroh sagen: Selbst schuld, die US-Amerikaner. Ein Land, das Waffen als »Peacemaker« bezeichnet, sich mit Waffengewalt alles nimmt, was es kriegen kann, und geopolitisch ständig ungestraft Amok läuft, darf sich nicht wundern, wenn die Einstellung zu Gewalt sich auch in der eigenen Gesellschaft widerspiegelt. Waffen, wohin man schaut, und die fehlende Bereitschaft abzurüsten – das muss letzten Endes seine tödliche Konsequenz haben. Dafür immer wieder Kinder zu opfern, muss für den amerikanischen Traum einfach drin sein. Er ist dieses Opfer schließlich wert.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (29. März 2023 um 00:16 Uhr)
    Stimmt es, dass dieser Milizgedanke auch in den (Groß-)Städten gilt, also jedeR ihr/sein Kind in große Gefahr schickt, wer für den Schüleraustausch stimmt? Wie schlimm muss diese alltägliche Bedrohung für alle Familien in Nordamerika sein? Vergleichbare Zustände habe ich auf Nova Scotia erlebt: Da hingen in vielen Häusern die Waffen in üblen Größen frei zugreifbar an den Wänden – mit der Begründung, dass man ungeschützt nicht in die Wälder gehen kann. Dieses Argument wird dort weitverbreitet abgelehnt, nicht nur von den Natives, weil niemand in die Wälder gehört, wenn die Wildtiere ihre Ruhe brauchen. Wer braucht also diese vielen Waffen außer zur Selbstverteidigung? Warum sind es dann so unerträglich viele? Absolut unverständlich ist, dass diese vielen Verbrechen/Untaten/Massaker nicht in gesamt Nordamerika zur Forderung nach der allgemeinen Entwaffnung geführt haben. Gilt das Töten dort als demokratisches Grundrecht (zum Beispiel gegen Trespassing)? Hoffen wir, dass diese Grundsicherung des wichtigsten Verbündeten nicht hierher noch als Ausdruck von Freiheit und Demokratie übertragen wird. Es ist natürlich alles drin: Unsere Außenministerin der BRD teilte uns mit, dass wir (hoffentlich meinte sie die Regierungen der EU-Staaten) uns im Krieg mit Russland (gemeint ist die Russländische Föderation) befinden. Seitdem bewegt sie sich in der Rolle der Frau Erklärbaerbock. Denn mit Sicherheit wird sie sich mit den typischen Hinweisen auch an die US-Regierung wenden, um Tipps zur Vermeidung weiterer vergleichbarer Taten an Schulen zu übermitteln. Davon bin ich felsenfest überzeugt. Ich zweifle auch nicht an ihrem Erfolg, denn dieser Position wird die Regierung der USA Folge leisten, um die Grundlagen der Beziehungen zwischen EU und USA weiterhin auf hohem Niveau zu halten. Also können wir uns sicher sein: Mit den Schulmassakern wird dank europäischer Intervention bald Schluss sein. Dann ist wieder ein Problem mehr aus der Welt.

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