»Das Angebot der DB ist eine Provokation«
Interview: Simon Zamora Martin
Diese Woche hat mit einem der größten Streiks im Transportwesen der Bundesrepublik begonnen. Wie haben Sie als Bahner den Montag wahrgenommen?
Wenn 150.000 Beschäftigte im Transportwesen streiken, steht alles still. Bei uns in der Betriebszentrale sind um vier Uhr tatsächlich fast alle gegangen, trotz Unsicherheit und kaum Streikerfahrung. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass sich bei uns alle Kolleginnen und Kollegen am Streik beteiligen. Bundesweit war die Situation nicht anders: 72 Prozent aller streikenden EVG-Mitglieder hatten noch nie die Arbeit niedergelegt. Aber die Motivation bei den Kolleginnen und Kollegen war und ist groß!
Warum wurde das Angebot der Deutschen Bahn AG ausgeschlagen?
Das Angebot der DB ist eine Provokation. Wir fordern Lohnerhöhungen von 650 Euro für alle Beschäftigten, und sie bieten uns eine in zwei Schritten ausgezahlte Einmalzahlung in Höhe von 2.500 Euro. Bei einer Laufzeit von 27 Monaten. Das wären rechnerisch 92 Euro pro Monat. Aber halt als steuerfreie Einmalzahlung und nicht als nachhaltige Lohnerhöhung, für die es auch Rentenpunkte gibt.
Die Kapitalseite kritisiert den gemeinsamen Streik des öffentlichen Dienstes und der Eisenbahn. Es gibt Forderungen nach einer Einschränkung des Streikrechtes. Ist Ihr Streik etwa unangemessen?
Nein, weil das Angebot keins ist und die Inflation bei zehn Prozent steht. Und klar ist auch: Der Druck für einen 24-Stunden-Streik wäre auch dagewesen.
Nach den vorletzten Streiks der GDL hatte die damals regierende Koalition von CDU/CSU und SPD das »Tarifeinheitsgesetz« verabschiedet, um solche Streiks zu unterbinden. Was halten Sie von dem Gesetz?
Das Tarifeinheitsgesetz war ja als Angriff auf das Streikrecht geplant, aber seit die DB AG es anwendet, hat es tatsächlich zu mehr Dynamik in den Arbeitskämpfen geführt, weil GDL und EVG direkter in Konkurrenz zueinander stehen. Vor drei Jahren hatte die EVG in der Coronapandemie noch eine Nullrunde ohne Zustimmung der Mitglieder unterschrieben. Jetzt ist sie im Zugzwang und die GDL wird im Herbst versuchen, noch höher abzuschließen. Letztlich schwächt uns aber dieses Gegeneinander zweier Apparate, die sich gegenseitig bekriegen, obwohl wir Beschäftigte gemeinsame Interessen haben. Zum Beispiel versuchte die GDL-Führung ihren Mitgliedern einzureden, dass eine Beteiligung am EVG-Streik illegal wäre. Das stimmt zwar nicht, vertieft aber effektiv die Spaltung.
Der Sprecher der Deutschen Bahn AG betonte, dass die Verlierer des Streiks die Menschen und Unternehmen sind, die sich und ihre Waren umweltfreundlich bewegen. Ist das Klima der Verlierer des Streiks?
Das ist absurd. Die Bahn streicht seit Jahrzehnten den Güter- und Nahverkehr zusammen und setzt alles auf CO2- sowie kapitalintensive Schnellzugverbindungen. Aber wegen der schlechten Arbeitsbedingungen findet die Bahn nicht genug Nachwuchskräfte. Hinzu kommt: In den nächsten zehn Jahren werden in manchen Bereichen mehr als 70 Prozent der Leute, darunter auch Ausbilder, in Rente gehen. Und man kann sich ja mal anschauen, was Industriemechanikerinnen und -mechaniker bei VW im Vergleich zur DB verdienen.
Also ist der Bahnstreik auch indirekt ein Klimastreik?
Indirekt. Aber für eine wirkliche Verkehrswende muss sich viel ändern. Wir brauchen nicht nur mehr Verkehr auf der Schiene, sondern insgesamt weniger Verkehr. Die Hälfte aller Waren, die gerade zirkuliert, ist nur unterwegs, weil die Produktion irgendwo billiger ist. Und durch die Liberalisierung der Schiene hast du super viele Leerfahrten. Für eine wirkliche Verkehrswende brauchen wir wieder eine Verstaatlichung der gesamten Eisenbahn, ja des gesamten Mobilitätssektors. Aber die EVG scheut sich, das Wort Verstaatlichung in den Mund zu nehmen. Und die GDL macht Politik für eine weitere Zerschlagung der Bahn – wohl in der Hoffnung, mehr Tarifverträge abschließen zu können. Um einen politischen Streik für eine Verkehrswende führen zu können, aber auch, um einen Abschluss im Interesse der Beschäftigten durchsetzen zu können, brauchen wir mehr Streikdemokratie.
Lars Lux (Name auf Wunsch geändert) ist Fahrdienstleiter der Berliner S-Bahn und Mitglied der Gewerkschaft EVG. Er engagiert sich bei der »Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften« (VKG) und will die Spaltung zwischen EVG und GDL überwinden
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Ich habe es auch lange bedauert, dass es zwei Gewerkschaften bei der Eisenbahn gibt. Inzwischen muss ich sagen, zum Glück. Warum? Bis 2002 gab es eine Tarifgemeinschaft zwischen beiden Gewerkschaften. Diese ist jedoch geplatzt, weil die heutige EVG (damals Transnet) gemeinsam mit der Führung der Bahn, Ergänzungstarifverträge erzwingen wollte, mit regional unterschiedlichen Entgeltniveaus und bis zu 18 Schichten mehr pro Jahr bei Regio. Dem hat sich, zu Recht, die GDL verweigert. Seitdem entwickelte sich in meinen Augen die EVG (ehemals Transnet) immer stärker zur Haus- und Hofgewerkschaft der DB. Negative Krönung war Norbert Hansen. Im Jahre 2008 standen wieder einmal Tarifverhandlungen an. Norbert Hansen verkündete kämpferisch Ziele, von denen haben wir nicht einmal zu träumen gewagt (die genauen Zahlen habe ich leider inzwischen vergessen). Dann kam der Tag der Unterschrift. Wir waren alle entsetzt. Beschämend, wie weit Norbert Hansen von den verkündeten Zielen abgerückt ist und uns wirklich regelrecht verscherbelt hat. Was passierte dann? Eine reichliche Woche später wurde Norbert Hansen als Arbeitsdirektor in den Aufsichtsrat der DB berufen – ein Schalk, wer arges dabei denkt.
In dieser traurigen Tradition ging es die nächsten Jahre allerdings weiter. Die Tarifforderungen der EVG grenzten aus meiner Sicht teilweise an Lohndumping. Wer wirkliche Erfolge und Lohnerhöhungen für die Beschäftigten durchsetzte und das gegen den Widerstand von Bahn und EVG, war die GDL. Damit aber nicht genug. Durch eine sogenannte »Angstklausel« erhielten nach dem Abschluss zwischen Bahn und GDL auch die Kollegen der EVG diese höheren und durch die GDL erkämpften Abschlüsse. Inzwischen war es so weit gekommen, dass eine Mehrheit der Eisenbahner dieses Spiel durchschaut hat und die Nase von der EVG voll hat. Wollte man ketzerisch sein, dann könnte man jetzt die Frage stellen, ist dieser Streik der EVG am Ende nur Show um das Gesicht zu wahren und nicht noch mehr Mitglieder zu verlieren?
Von Tarifeinheitsgesetz und sozialen Leistungen der beiden Gewerkschaften schreibe ich jetzt nichts, das würde den Rahmen sprengen, bewegt sich aber in einem ähnlichen Rahmen.