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Aus: Ausgabe vom 29.03.2023, Seite 1 / Titel
Aufstand gegen Macron

Millionen gegen Macron

Weiterhin Massenproteste in Frankreich gegen die Regierung. Schüler unterstützen Arbeiter bei Streiks und Blockaden
Von Raphaël Schmeller, Paris
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Eisenbahner demonstrieren auf den Gleisen des Bahnhofs Gare de Lyon in Paris (28.3.2023)

In Frankreich wird gerade Geschichte geschrieben. Am Dienstag sind trotz drastischer Einschüchterungsversuche durch die Staatsmacht im ganzen Land erneut Millionen auf die Straßen geströmt, Flughäfen, Bahnhöfe, Raffinerien wurden von Arbeitern besetzt und Zufahrtsstraßen zu großen Städten wie in Rennes komplett blockiert. Längst verlangen die Franzosen nicht mehr »nur« die Rücknahme der »Rentenreform«. Es ist mittlerweile ein Kampf um eine »bessere Welt«, wie der Generalsekretär des südlichen CGT-Bezirks 13, Olivier Mateu, erklärte. »Unsere Sache ist gerecht. Wir werden gewinnen, da könnt ihr euch sicher sein«, schrieb Mateu auf dem Kurznachrichtendienst Twitter.

In Paris, wo mehrere hunderttausend demonstrierten, rief die Menschenmasse auf der rappelvollen Place de la République zu Beginn der Demonstration lautstark: »Grève générale!« (Generalstreik!) und »Macron, démission!« (Macron, Rücktritt!). Der Tag markierte auch den Beginn der massenhaften Mobilisierung der Jugend. Manès Nadel, prominentes Gesicht der Schülergewerkschaft La Voix lycéenne, erklärte gegenüber jW am Rande des Protests, aktuell seien 450 von 2.000 Oberschulen im ganzen Land besetzt: »Die Bewegung wird immer stärker, letzte Woche waren es noch 400 besetzte Einrichtungen und vorletzte 200.« Besonders wichtig sei, »dass wir auch immer mehr sind, die zu den Streikposten gehen und den Arbeitern helfen, zum Beispiel Raffinerien zu blockieren«. Man lasse sich dabei nicht von Präsident Emmanuel Macron einschüchtern. »Er versucht, die Mobilisierung per Schlagstock niederzuprügeln, das wird ihm nicht gelingen, wir werden gewinnen«, erklärte der 15jährige Nadel gegenüber jW.

Tatsächlich hatte Innenminister Gérald Darmanin am Montag abend anlässlich des Protesttags am Dienstag »ein beispielloses Sicherheitsdispositiv« angekündigt, »das aus 13.000 Polizisten und Gendarmen besteht, davon 5.500 in Paris«. Seit zwei Wochen versucht die Regierung, die Gewalt eskalieren zu lassen, um die Bevölkerung einzuschüchtern und von den Protesten fernzuhalten. Doch das gelingt offensichtlich nicht. Vielmehr hat mittlerweile nach Amnesty International, Reporter ohne Grenzen und dem Europarat nun auch die NGO Human Rights Watch die »exzessive Gewaltanwendung durch die Polizei in Frankreich« angeprangert – Macron ist offenbar so einsam wie nie.

Trotzdem lehnt der Präsident jeden »Kompromiss« ab. Auch das erneute Gesprächsangebot, das ihm die vereinten Gewerkschaften am Montag früh machten, wies Macron bereits am Mittag ab. Der Präsident ließ die Presse dagegen wissen, er sei der »Garant« der »republikanischen Ordnung«, die durch den Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon bedroht sei. Wenn man jetzt nichts unternehme, könnten die Franzosen bei der nächsten Präsidentschaftswahl nur noch zwischen »Linksextremismus« und »Rechtsextremismus« wählen, so Macron.

Was der Möchtegernmonarch nicht versteht: Die Franzosen wollen keine vier Jahre warten, um ihn loszuwerden. Mittlerweile haben 72 Prozent ein schlechtes Bild vom Präsidenten – der höchste Wert seit seinem Amtsantritt 2017 – und mehr als 80 Prozent wollen den Sturz der Regierung. Das könnte angesichts der Dimension der aktuellen Proteste schneller passieren, als so mancher Berater im Élysée-Palast vermutet.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (29. März 2023 um 10:50 Uhr)
    Im Fernsehen gezeigte Szenen beweisen: Macron ist zum offenen Krieg gegenüber seinem Volk übergegangen. Das nennt man in einem der wichtigsten Länder der EU »Achtung der Menschenrechte« und »Ausbau der Demokratie«. Ist es verwunderlich, dass man in immer mehr Ländern dieser Erde auf hehre Predigten gern verzichtet, die ihnen zu diesen Themen gern vom »Wertewesten« verabreicht werden?
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (29. März 2023 um 10:25 Uhr)
    Revolutionen gehören zu Frankreich wie das Amen im Gebet. Aber die Franzosen stehen damit auch nicht besser da, als andere Europäer. Auf die Studentenrevolte 1968 folgte ein Generalstreik. Der auf der Flucht befindliche General De Gaulle löste aus Not das Parlament für Neuwahlen auf. Das Ergebnis war eine ziemliche Überraschung: eine satte konservative Mehrheit! Die sogenannte schweigende Mehrheit hatte zurückgeschlagen! Nach der Revolution folgen vorerst einmal die Erschöpfung und die Lust auf ein gutes Leben. So hatte sich schon Napoleon vom Revolutionär zum Kaiser gekrönt. Was hat das für heute zu bedeuten? Frankreich ist im Revolutionsfieber. Macron hatte nach Ausschaltung des Parlaments mit einem arroganten Jetzt-erst-recht-Interview noch Öl ins Feuer gegossen. Die Wut kennt keine Grenzen. Aber wie sieht es in ein paar Monaten aus? Wie lange hält der revolutionäre Elan? Kann sein, dass die Würfel zum Schicksal von Macron schon gefallen sind, aber was die »Revolte« schließlich bringt, bleibt ungewiss!
    • Leserbrief von Louise Salome aus M. (29. März 2023 um 15:38 Uhr)
      Was soll man jetzt aus Ihren Zeilen schließen? Bringt eh nichts, das ganze Gewerkel der Franzosen? Soll das A… halt so weitermachen. Also Defätismus? Und überhaupt, diese Franzosen … kennt man ja … viel Gedöns und kommt nicht viel bei raus … Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da (für einen – an der Stelle käme ein Kraftausdruck) schreiben? Von »Revolution« kann überhaupt gar keine Rede sein (spricht auch in Frankreich – glaube ich – kaum jemand). Offensichtlich wissen Sie auch gar nicht, was das ist – eine Revolution – oder was eine solche ausmachen würde … Hier geht’s erst mal um Widerstand, Protest gegen Verarmung der Leute, die den Reichtum geschaffen haben, von dem sie ausgeschlossen sind und noch vermehrt ausgeschlossen werden sollen, mehr nicht. Und da zeigen die Franzosen einfach eine – jedenfalls für deutsche Verhältnisse — bewundernswerte Mobilisierung, Ausdauer und Solidarität. Sie zeigen erst mal, wie der Beginn, die Voraussetzung für so was wie eine dauerhafte Umgestaltung einer Gesellschaft aussehen müsste, so sie denn überhaupt gewollt werden würde … eben schon ein wenig anders als eine in Deutschland übliche »Latschdemo« mit abschließender Langweilerrede eines auf sozialpartnerschaftlich-geschulten Gewerkschaftsführers mit Distanzierungsgarantie zu möglicherweise stattgefundenen Randgruppen-»Ausschreitungen« …
  • Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (29. März 2023 um 09:38 Uhr)
    »Was haben wir davon, dass wir die Aristokratie vernichtet haben, wenn an ihre Stelle die Aristokratie der Reichen tritt?« (Jean Paul Marat, 1744–1793)

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