Die Spritze mag er nicht
Von Gabriel Kuhn
Es waren in erster Linie persönliche Gründe, die meine Aufmerksamkeit auf das Buch »33 Sportereignisse, die die Welt veränderten« lenkten. Der Autor, Fabian Sommavilla, so heißt es in der Ankündigung des Verlages, wuchs in einem Tiroler Dorf auf, spielte in seiner Jugend Fußball und Tennis, fuhr Skirennen und interessiert sich heute für die Zusammenhänge zwischen Sport und Politik. Das ist sehr nahe an meiner eigenen Biographie. Weniger nahe ist die Tageszeitung, für die Sommavilla als Redakteur im Ressort Außenpolitik schreibt, der österreichische Standard. Seine Artikel dort lese ich trotzdem ab und an, die Exkursion in die liberale Pressewelt dient der Allgemeinbildung.
Dass Sommavilla das Tiroler Dorf hinter sich gelassen hat, verraten Formulierungen wie »Moment mal«. Die Verwendung eines piefkenesischen Idioms dieser Art war in meiner Jugend alles andere als gesundheitsfördernd, doch erstens ändern sich die Zeiten, und zweitens muss man sich als Autor mit großen Zielen wohl auch der großen Welt anpassen. Wenigstens wird Sommavilla im Standard der »Samstag« nicht durch den »Sonnabend« ersetzt.
Der Titel von Sommavillas Buch wirft Fragezeichen auf. Weder stehen in den 33 Kapiteln Sportereignisse im Zentrum noch geht es um Weltveränderung. Sommavilla illustriert schlicht anhand verschiedener Beispiele, wie Sport und Politik miteinander verbunden sind. An Themenvielfalt mangelt es nicht: Sportswashing, Olympiaboykotte, rechte Kampfsportklubs, alles dabei.
Eine Schwäche für den real existierenden Sozialismus will sich Sommavilla nicht ankreiden lassen. Die DDR sieht er als »Unrechtsstaat«, sportlichen »Überläufern« von Ost nach West wird ein eigenes Kapitel gewidmet. Auch das ehemalige Staatsoberhaupt Nordkoreas, Kim Jong Il, bekommt ein eigenes Kapitel, Sommavilla kann der Versuchung nicht widerstehen, Legenden über dessen sportliche Großtaten humoristisch auszubeuten. Weniger humoristisch sind die Kommentare zu China, das mit dem Bau von Sportstadien in Afrika laut Sommavilla das globale Wettrüsten anzufachen droht.
Doch auch die USA werden kritisch beäugt. In einem der interessanteren Kapitel des Buches widmet sich der Autor der Förderung US-patriotischer Propaganda aus Steuergeldern. Mit Bezug auf die Profiliga des American Football (NFL) berichtet er: »Alleine zwischen 2011 und 2014 erhielten 14 der 32 NFL-Teams insgesamt 5,4 Millionen US-Dollar für das Abhalten patriotischer Zeremonien in ihren Stadien.« Dass der Themenbereich Sport und Militär nicht vertieft wird, ist schade. Schließlich sind nicht nur kriegstreiberische Halbzeitshows von Belang, sondern auch die Rolle, die das Militär bei der Förderung des Leistungssports spielt, nicht zuletzt im deutschsprachigen Raum.
Einige der von Sommavilla aufbereiteten Themen sind mittlerweile so durchgekaut, dass sie nur noch wenige Leser vom Hocker reißen werden, etwa wenn es um die Schattenseiten der Fußball-WM in Katar oder das Niederknien als Protestform geht. Sympathisch ist das Porträt des italienischen Radfahrers und antifaschistischen Widerstandskämpfers Gino Bartali, sorgfältig aufgearbeitet das Theater um die (Nicht-)Teilnahme des Tennisstars und Impfskeptikers Novak Djokovic an den Australian Open 2023. Viele der im Buch enthaltenen Illustrationen sind anschaulich, etwa jene zur internationalen Sportrepräsentation Großbritanniens und Irlands oder zu den Mitgliedern der »Confederation of Independent Football Associations« (Conifa), die Turniere für Nationen ohne eigenen Staat veranstaltet – Sahrauis treffen auf Mapuche, Kurden auf Tibeter. Im Kapitel »Ziegenpolo, Robbenhäuten und Entenball« werden Veranstaltungen wie die Nomad Games und die Inuit Games vorgestellt, über die auch jW berichtete.
Erstaunlich wenig ist in Sommavillas Buch zum Wintersport zu finden. Dabei hätte sich dieser so schön für Reflexionen zum Klimawandel geeignet. An Sensibilität für andere Themen mangelt es nicht: Rassismus, Sexismus, Homo- und Transphobie werden kapitelweise abgearbeitet.
»Sport war, ist und wird noch sehr lange politisch sein«, heißt es in der Einleitung des Buches, und niemand kann dies ernsthaft in Frage stellen. Wer es doch tut, wird von Sommavilla eines Besseren belehrt. Was daraus folgt, also wie der Sport organisiert werden kann, um seine positiven Potentiale auszuschöpfen, oder was zu tun ist, um politische Protestbewegungen mit Hilfe des Sports zu stärken, darauf gibt das Buch keine Antwort. Muss es auch nicht. Jeder Autor darf die Grenzen seines Werks selbst abstecken.
Fabian Sommavilla: 33 Sportereignisse, die die Welt veränderten. Katapult-Verlag, Greifswald 2022, 224 Seiten, 22 Euro
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vom 28.03.2023