Backe, backe Kuchen
Von Matthias Reichelt
Sahne schlagen, Kuchen backen, Geschirr waschen. Alltägliche Tätigkeiten, die unter patriarchalen Verhältnissen den »Hausfrauen« zufallen. Die retrospektive Ausstellung der in Berlin lebenden, 1933 in Breslau (heute Wrocław) geborenen Künstlerin Margaret Raspé im Berliner Haus am Waldsee zeigt neben Installationen, Texten, Malerei und Zeichnungen mehrere Filme, die derlei Arbeiten von ihr selbst verrichtet dokumentieren. Raspé hat im Super-8-Format gedreht, dem Material der Amateure der 60er und 70er Jahre. In einer Projektion ist zu sehen, wie einem Huhn zwecks Schlachtung der Kopf abgeschnitten wird. Ihr ist die mittlerweile übliche Triggerwarnung für das Publikum vorangestellt, dem wohl gar nichts mehr zugetraut werden darf.
Der dokumentarische Charakter der Filme wird mit einer Prise Ironie im Titel künstlerisch gebrochen: »Der Sadist schlägt das eindeutig Unschuldige« zeigt die Zubereitung eines Schnitzels, »Backe, backe Kuchen« sinnigerweise die Teigherstellung. Raspé studierte in den 50ern Mode und Malerei zunächst in München, dann an der Hochschule für Bildende Künste (heute UDK) in Westberlin. Nach langer Pause nahm die alleinerziehende Mutter dreier Töchter ihre künstlerische Tätigkeit erst 1970 wieder auf. Sie fand sich »im automatischen Funktionieren« eingesperrt und dokumentierte ihren Alltag, um sich über ihn bewusst zu werden. Bereits 1969 hatte sie mit der Schreibmaschine minutiös ihren Tagesablauf für den 5. März notiert, einschließlich »Treppe rauf«, »Treppe runter«. Auch dieses Protokoll ist in einer der Vitrinen zu sehen. Raspé suchte ihre Themen in ihrer unmittelbaren Nähe, weil sie familienbedingt über einen nur kleinen Radius verfügte. Um ihren »Handlungsraum« aufzunehmen, montierte sie die Kamera an einen Helm, den sie während der Hausarbeit trug.
Die Themen »weiblicher Körper« und »weibliche Lebenspraxis« standen ab Mitte der 70er Jahre dank der neuen Frauenbewegung auf der Agenda, Margaret Raspé war mit ihren autobiographischen Arbeiten also recht früh dran. Sie drehte ihre Küchenfilme noch vor Martha Roslers international rezipierten »Semiotics of the Kitchen« von 1975. Besonders bekannt war das nicht. Kunstgeschichtsschreibung hat ihre Tücken, wozu nicht nur die jahrhundertelange männliche Dominanz gehört, sondern auch die starke US-Präferenz der Kunstgalerien und -museen. Nur so ist es zu erklären, dass Raspés zwar ephemeres, aber sehr interessantes Werk heute von einer jüngeren Generation wiederentdeckt werden muss. Auch in der wichtigen Berliner Ausstellung »Künstlerinnen international« von 1977, die nur durch zahlreiche Neueintritte von Frauen in die linke, basisdemokratische Neue Gesellschaft für Bildende Kunst durchgesetzt werden konnte, war Raspé nicht vertreten. Sie trat erst 1978 dem Kunstverein bei und war eine der Organisatorinnen der Ausstellung »Unbeachtete Produktionsformen« im Jahr 1983 im Bethanien, wo sie zusammen mit Matthis Mann eine »Medienküche« installierte.
Raspé hatte gute Kontakte in die zeitgenössische Kunstszene und führte ein offenes Haus, in dem auch die Wiener Aktionisten wie Günter Brus, Hermann Nitsch, Gerhard Rühm und Oswald Wiener häufig zu Gast waren. Ihre Filme waren auf Festivals zu sehen, auch im Ausland, dennoch fiel ihr Werk weitestgehend dem Vergessen anheim. Um so verdienstvoller ist nun diese Retrospektive, erarbeitet vom Team um Anna Gritz, die im letzten Jahr die künstlerische Leitung des Hauses am Waldsee übernahm. Dort gilt übrigens mittlerweile: »Knapp bei Kasse? Zahl, was du kannst.«
»Margaret Raspé: Automatik«, Ausstellung bis 29.5., Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, Berlin
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