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Aus: Ausgabe vom 25.03.2023, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
Bildreportage

Autonomie wiedererlangt

Hilfe zur Selbsthilfe im Südosten Indiens: Dalit-Bäuerinnen verfügen selbstbestimmt über Landwirtschaft
Von Giuditta Pellegrini
Hauptpersonen des Festivals: Dalit-Frauen feiern während des ­Festes die von ihnen ­eingebrachte Ernte
Die »unberührbaren« Frauen leiten die Zeremonien und führen den Vorsitz in der »Sangham« genannten Versammlung zur Klärung verschiedener Fragen
Erzählerin der eigenen Entwicklung: Die Dalit-Frauen produzieren auch Dokumentarfilme
Das Fest beginnt mit einem Männertanz, der an die traditionelle Landwirtschaft mit Tieren erinnert
Gesegnete Ochsen und Kokosnusszeremonie: Mit dem Brechen der Frucht soll das Böse entweichen
Bei den wöchentlichen Versammlungen werden gemeinsam wichtige Entscheidungen getroffen

Das Fest symbolisiert nicht nur die landwirtschaftliche Artenvielfalt der Region, sondern auch die Art und Weise, wie Arme und Frauen ihre Würde und Autonomie wiedererlangt haben. Seit 1999 wird das Mobile-Biodiversity-Festival von der indischen NGO ­Deccan Development Society (DDS) in dem südöstlichen Bundesstaat Andhra ­Pradesh organisiert. Seit 25 Jahren arbeitet die Organisation im Gebiet ­Zahirabad Mandal mit Dalit-Frauen (sogenannte Unberührbare) für den Erhalt der biologischen Vielfalt und im Bereich der Ernährungssouveränität gegen gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, Monokulturen und geschütztes Lizenzsaatgut, die den ökologischen Reichtum ernsthaft gefährden und die Bauern ihres überlieferten Wissens berauben. Die Veranstaltung zielt auf die Wiederentdeckung der Werte, die mit der traditionellen Landwirtschaft verbunden werden, ab.

Dabei lehnt sich das von der DDS organisierte Jathara (Fest) an das Makar Sankranti an, ein hinduistisches Fest, das im Januar in den Bundesstaaten ­Maharashtra, Karnataka und Andhra Pradesh stattfindet. Tausende von ­Drachen, die von erfahrenen Kindern gelenkt werden, steigen dann in den Himmel, um die Ankunft des Frühlings und das Gedeihen der Ernte zu feiern.

Während des Mobile-Biodiversity-Festivals, das dieses Jahr zum 23. Mal von Mitte Januar bis zum 11. Februar stattfand, zieht eine lange Reihe von Karren, die mit glücksverheißenden Mangoblättern, Samen und Sorghumähren geschmückt sind und von Ochsen gezogen werden, durch die Dörfer des Distrikts Medak. Begleitet werden sie von Musikern und Tänzern, um das Bewusstsein für nachhaltige Pflanzensorten zu schärfen und die Bedeutung lokaler Lebensmittel zu feiern. Die Karawane hält vor Kirchen, Moscheen und Tempeln, um die Einheit aller Spiritualität zu symbolisieren. Während der Jathara werden die Hufe der Ochsen symbolisch in Danksagung gebadet und die Mäuler mit Gewürzen bestrichen. Eine Kokosnuss wird gespalten, um das weiße Fruchtfleisch herauszuholen, das die Reinheit des Herzens symbolisiert, während die Frauen die Zeremonie mit einem Versöhnungslied über die von ihnen eingebrachte Ernte begleiten. Die Bewohner der verschiedenen Dörfer versammeln sich in den Wochen der Feierlichkeiten unter großen runden Zelten zu Gesprächen und Versammlungen, an denen zahlreiche Gäste aus verschiedenen Teilen Indiens teilnehmen.

Die Wiedereinführung der Hirse – unterstützt vom Festival –, die im Gegensatz zum Reis keine großen Mengen an Wasser für den Anbau benötigt und den Boden nicht auslaugt, ist die nachhaltige Antwort für ein halbtrockenes Land wie jenes in der Region. Die Wiederentdeckung der Hirse hilft den Bauern zudem, sich vom Kauf neuen Saatguts und von Pestiziden unabhängig zu machen. So wird es ihnen ermöglicht, wieder selbst zu Produzenten zu werden.

Die 75 Dörfer, die am DDS-Projekt teilnehmen, können bei jeder Ernte kostenlos über das dabei gewonnene Saatgut verfügen. Es wird dann in Terrakottatöpfen in der Saatgutbank gelagert. Die Frauen sind die Hüterinnen des Saatguts. Durch den Sangham, eine von ihnen geleitete Versammlung zur Lösung wirtschaftlicher, rechtlicher und sozialer Fragen, sind sie ein aktiver Teil des Gemeinschaftslebens, trotz ihrer Kastenzugehörigkeit, die sie an den Rand der Gesellschaft gedrängt hat.

Die darüber erreichte Eingliederung der Dalit-Frauen hat es ihnen erlaubt, aus der sozialen Isolation, in die sie gezwungen waren, auszubrechen und Autorität und wirtschaftliche Unabhängigkeit zu erlangen. Da sie Analphabetinnen sind, drücken sie sich mit Hilfe von Radio- und Videosendungen aus: Auf der Frequenz FM 90.4 kann man abends von 19 bis 21 Uhr, wenn die Arbeit auf den Feldern beendet ist, Sangham Radio hören, den ersten rein weiblichen Sender Asiens. Die Gruppe der Videomacherinnen kann eine lange Liste von Dokumentarfilmen vorweisen, deren Vorführung auf Veranstaltungen sie um die ganze Welt geführt hat. Dabei konnten sie die ihnen durch Kaste, Geschlecht und die Gesetze des globalen Marktes auferlegten Grenzen überschreiten.

Diese Reportage ist Teil eines Langzeitprojekts, das noch im Gange ist, um mit Hilfe von Fotos, Interviews und mündlichen Erzählungen die Zeugnisse der Bauern der Welt und ihrer Traditionen zu sammeln.

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