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Aus: Ausgabe vom 25.03.2023, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Tik Tok ohne Maske

Von Arnold Schölzel
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Aufmerksam verfolgten deutsche Medien den Auftritt Shou Zi Chews am Donnerstag vor dem Handelsausschuss des US-Repräsentantenhauses in Washington. Der gebürtige Singapurer ist Chef der sogenannten Social-Media-App Tik Tok, die allein in den USA rund 150 Millionen Nutzer haben soll, weltweit etwa eine Milliarde. Die Anwendung, mit der vor allem Musikvideos selbst hergestellt und hochgeladen werden können, soll die am schnellsten gewachsene sein.

Das führte bei der schwächelnden US-Konkurrenz, zum Beispiel bei Facebook-Chef Mark Zuckerberg, schon früh zu Ärger. Er warnte 2020 vor Gefahren durch die ursprünglich chinesische App, hofft gegenwärtig auf ein Totalverbot von Tik Tok in den USA und fand in Washington offene Ohren – von Donald Trump, der mit einem Verbot allerdings vor Gericht scheiterte, bis zum heutigen FBI-Direktor Christopher R. Wray, der kürzlich etwas von »Einflussoperationen« Beijings per Tik Tok munkelte. Selbstverständlich ohne Belege.

Das Handelsblatt fasste am Donnerstag denn auch die Lage etwas schönfärberisch so zusammen: »Der Druck auf Tik Tok ist Teil einer größeren Anti-China-Strategie der US-Regierung.« Immerhin geht es in Wahrheit um Krieg und dessen Vorbereitung, wie US-Generalstabschef Mark Milley am selben Tag vor einem anderen Ausschuss in Washington bekräftigte.

Die Vorwürfe, die dem Tik-Tok-Chef serviert wurden, lauteten: »Datenspionage«, »Propagandamaschine der KP Chinas« und »Gefährdung von Kindergesundheit«. Die Abgeordnete Kathy Castor (Demokraten) kritisierte zum Beispiel, das Unternehmen habe »beschlossen, Kinder im Namen des Profits abhängig zu machen«. Profitabhängigkeit gilt, lässt sich daraus schließen, in den USA als Verbrechen, wenn nicht das FBI, die CIA oder die NSA mitmachen dürfen. Vor einigen Jahren, als Edward Snowden und andere die Verfilzung von US-Diensten mit den US-Internetkonzernen des global agierenden Überwachungskapitalismus offenlegten, war Verblödung durch Social Media noch kein Problem. Abhängigkeit und Tod etwa durch staatlich kontrollierten Drogenimport oder amtlich geduldete Opioid-Einnahme (mehr als 107.000 Tote allein von Juli 2021 bis Juni 2022) sind in den USA zudem eine stabile Institution – mindestens seit jener Zeit vor 40 Jahren, als die Reagan-Administration die Contras in Nicaragua mit Geld aus geheimen Waffenlieferungen an den angeblich verfeindeten Iran finanzierte und die Contra-Kasse zudem durch Kokainexport in die USA unter CIA-Aufsicht aufbesserte.

Die deutschen Medien berichteten zurückhaltend über das »Grillen« des Tik-Tok-Chefs. Dennoch wurde er entlarvt. Unter der Überschrift »Hinter der lustigen Tik-Tok-Maske« legte Reinhard Müller in der FAZ offen: »China ist nämlich kein Reich des Rechts. Und genau das macht den Unterschied zu den gewiss auch übermächtigen Internetkonzernen amerikanischer Herkunft aus. Sie spielen auch nach eigenen Regeln, doch bleiben sie greifbar für rechtsstaatliche Kontrolle – und unterliegen den Transparenzforderungen einer freien Öffentlichkeit.« Müller warf nach solch schönem Auftakt im folgenden Satz die Nähe Chinas zum »Schlächter Putin«, das Abgreifen »unserer Daten« durch Beijing und angebliche »Minderheiten in chinesischen Lagern« zusammen und teilte als offenbar fleißiger Tik-Tok-Nutzer mit: »Die Gesichter dieser Opfer totalitärer Willkür schauen uns durch die Maske lustiger Tik-Tok-Videos an.« Der Chinese ist tückisch, auch wenn ihm Tik Tok mehrheitlich nicht mehr gehört. Komplette Internetüberwachung durch die NSA? US-Folterlager in jedem der endlosen völkerrechtswidrigen Kriege Washingtons? Es kommt darauf an, die »Zeitenwende«-Aufrüstung mit »unserer« moralischen Aufrüstung zu begleiten. Kurs auf Krieg muss sein.

Es kommt darauf an, die »Zeitenwende«-Aufrüstung mit »unserer« moralischen Aufrüstung zu begleiten. Kurs auf Krieg muss sein.

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  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (26. März 2023 um 21:46 Uhr)
    Hier geht es jedoch nicht um ein Theaterstück, sondern direkt um das Schicksal eines Techgiganten mit 150 Millionen US-Nutzern und um die Frage, wie weit die USA die Politik dazu missbrauchen werden, sich in ihre Geschäftsaktivitäten einzumischen. Die Anhörung war selbst für einige US-Medien »hässlich« und »hysterisch«, und viele US-Nutzer waren der Meinung, dass die Gesetzgeber extrem unhöflich waren. Das Ereignis spiegelt die überraschende und besorgniserregende Realität des politischen und wirtschaftlichen Umfelds in den USA wider und lässt allen ausländischen Investoren auf dem US-Markt einen Schauer über den Rücken laufen. In gewisser Weise kann man sagen, dass es sich um eine dunkle Szene in der Geschichte der modernen Wirtschaftskultur handelt. Diese Anhörung ist eine umfassende und gründliche Enthüllung von Washingtons Hässlichkeit, Mobbing und Feindseligkeit gegenüber China. Sie wurde als »Anhörung« bezeichnet, aber es gab weder eine »Anhörung« noch eine »Zeugenaussage«. Die meisten der anwesenden Gesetzgeber hatten nicht die geringste Geduld, den Schilderungen und Erklärungen von TikTok-CEO Shou Zi Chew zuzuhören, und unterbrachen ihn oft unhöflich. Es war klar, dass sie weder bereit waren, zuzuhören, noch hatten sie die Absicht, einen Dialog oder eine Kommunikation zu führen. Um genau zu sein, war die Anhörung von Anfang an als »Kampfsitzung« für TikTok konzipiert, mit einer Schuldvermutung, einer erfundenen Anklage und einem Urteil vor der Verhandlung, bei der weder Beweise vorgelegt wurden noch TikTok die Zeit oder Gelegenheit gegeben wurde, sich zu beweisen.

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