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Aus: Ausgabe vom 24.03.2023, Seite 15 / Feminismus
Profitinteresse vor Gemeinwohl

Hebammen weisen Weg

Zusammenlegung von Geburtshilfe in München: Protest gegen Rationalisierung zeigt Wirkung
Von Elisa Nowak
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Intersektional: Protest am Tag gegen Gewalt an Frauen in Solidarität mit den Hebammen aus Neuperlach (25.11.2022)

Die Pläne, Kliniken und Abteile im Gesundheitssektor zusammenzulegen oder zu schließen, machen auch vor Kreißsälen nicht halt. Im Klinikum Neuperlach in München kämpfen seit November 2022 Hebammen für den Erhalt der Geburtshilfe, die nach einem Stadtratsbeschluss von 2015 bis Ende 2024 mit der Abteilung im Stadtteil Harlaching zusammengelegt werden soll. Durch solche Maßnahmen wurde in den vergangenen 15 Jahren etwa ein Drittel aller Kreißsäle in der BRD geschlossen. Dahinter stehen in der Regel wirtschaftliche Gründe, wobei die Versorgung der Menschen vor Ort ausgeklammert wird. Um auf diese Pläne aufmerksam zu machen, lancierten 50 Hebammen und Krankenpflegekräfte vor vier Monaten eine Petition, die den Erhalt der Geburtshilfe fordert. Aktuell wurde die Petition etwa 23.000mal unterschrieben, darunter von den Vorsitzenden des Bayerischen Hebammenverbandes.

Im Zuge dessen gründete sich ein Solidaritätskomitee, das politischen Druck auf die lokale Politik ausübt. Da die Petition immer mehr Unterstützung fand, waren SPD und Bündnis 90/Die Grünen, die in der bayerischen Landeshauptstadt seit 2020 an der Regierung sind, gezwungen, darauf zu reagieren. Am 10. Januar gab es eine Versammlung des Komitees, an der neben der GEW und der Partei Die Linke auch Vertreter von SPD und Grünen teilnahmen. Nach dem ergebnislosen Treffen kündigte das Komitee an, den Kampf um die Geburtshilfe in die Tarifrunde des öffentlichen Dienstes hineinzutragen. Die Enttäuschung, dass es bei Sozialdemokraten und Grünen nur bei einem Lippenbekenntnis blieb, war groß – der Druck hatte jedoch Erfolg. Ende Januar lenkte die »rot-grüne« Stadtratsmehrheit in München ein: Die Zusammenlegung der Kreißsäle wird auf 2028 verschoben. Für die Beschäftigten in Neuperlach ist das jedoch nur ein Teilsieg, denn man will weiterhin die Schließung der Geburtshilfe grundsätzlich verhindern.

Der Kampf für den Erhalt des Kreißsaals hat auch die Geschäftsleitung des Klinikums München auf den Plan gerufen. So erhielt Leonie Lieb, Hebamme und Aktivistin des Solidaritätskomitees, Anfang März eine Abmahnung. Mutmaßlicher Grund war ein Interview, das sie am 3. Februar dieser Zeitung gegeben hatte. Dort sprach sie vom Erfolg der Selbstorganisierung der Hebammen und davon, dass ihr Kampf nicht vom Arbeitskampf generell getrennt werden könne. Formal begründete das Klinikum die Abmahnung damit, dass Lieb gegen ihre »Dienstanweisung« verstoßen habe. Das war auch Thema einer Podiumsdiskussion am vergangenen Mittwoch in München. Unter dem Titel »Kreißsaal bleibt: Feministisch und selbstorganisiert kämpfen für ein Gesundheitssystem ohne Profite« solidarisierten sich die Anwesenden mit Lieb und betrachten die Abmahnung als Einschränkung der Meinungsfreiheit. Wie die linke Onlinezeitung Klasse gegen Klasse am Montag berichtete, sei die Stoßrichtung, die während der Diskussion deutlich wurde, den Kampf der Hebammen in Neuperlach als Vorbild zu betrachten. Besonders im Gesundheitssektor sollen sich Beschäftigte selbst organisieren, um das profitorientierte System zu bestreiken.

Deutliche Kritik wurde bei der Veranstaltung auch in Richtung Gewerkschaften geäußert. So hätten diese es nicht vermocht, zum Internationalen Frauenkampftag am 8. März alle Sektoren zum Streik aufzurufen: Gerade in den Krankenhäusern blieb das aus. Dabei sei, so der Tenor, gerade die Gewerkschaft in der Pflicht, die Kämpfe zu koordinieren. Gefordert wird von Verdi, Druck auf die Klinikleitung auszuüben, um einerseits die Schließung zu verhindern und andererseits Stellung gegen die Abmahnung von Lieb zu beziehen. Bei den Warnstreiks am Dienstag in Berlin bekundete auch die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi ihre Solidarität und unterschrieb den Aufruf, die Abmahnung zurückzuziehen. Eine Nachfrage von junge Welt, wie Verdi München zu den Forderungen des Solidaritätskomitees und der Abmahnung stehe, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

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