Kein fester Block
Von Jörg Kronauer
In China wie auch in Russland galt es weithin als Erfolg: das dreitägige Treffen der Präsidenten beider Länder, das am Mittwoch in Moskau zu Ende ging. Es war nicht nur der erste Besuch von Xi Jinping in der russischen Hauptstadt seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs. Wladimir Putin konnte Xi auch zu dessen erster Auslandsreise nach seiner Bestätigung im Präsidentenamt am 10. März begrüßen. Symbolisch aufgeladen war die Zusammenkunft also – und sie brachte tatsächlich wichtige Ergebnisse.
Das erste: Beide Staaten werden nicht nur weiterhin zusammenarbeiten; sie werden ihre Kooperation intensivieren. Formal unterzeichneten sie eine »Gemeinsame Erklärung über die Vertiefung der umfassenden strategischen Partnerschaft zur Koordination für die Neue Ära«. Worauf die Zusammenarbeit letztlich abzielt – über den jeweils konkreten Nutzen hinaus, den sie beiden Seiten unmittelbar bringt –, das zeigen zahlreiche Äußerungen während des Treffens. So ließ sich Putin mit der Äußerung zitieren, man arbeite darauf hin, »eine gerechtere und demokratischere multipolare Weltordnung« zu schaffen, die den Vereinten Nationen und dem internationalen Recht tatsächlich »eine zentrale Rolle« einräume. Mit Blick darauf urteilte Xi, die russisch-chinesischen Beziehungen hätten inzwischen »kritische Bedeutung« für die globale Politik erlangt. Faktisch geht es darum, der westlichen Dominanz über die Welt, deren ökonomische Grundlage mit dem Aufstieg Chinas und weiterer asiatischer Staaten seit geraumer Zeit schwindet, nun auch politisch langsam, aber sicher ein Ende zu setzen.
Fortschritte erzielten beide Seiten in puncto Wirtschaftskooperation. Die ökonomischen Beziehungen zwischen ihnen haben sich – nach einigen Erschütterungen unmittelbar bei Kriegsbeginn – mittlerweile wieder erholt. Sie sollen nun weiter ausgebaut werden (siehe Spalte rechts).
Fortschritte gab es auch bei Chinas Vermittlungsbemühungen im Ukraine-Krieg. Putin bekräftigte, Russland sei prinzipiell zu Verhandlungen auf der Grundlage des Zwölf-Punkte-Papiers bereit, das Beijing am 24. Februar öffentlich vorgelegt hatte; am Dienstag hieß es sogar, es solle »so bald wie möglich« verhandelt werden. Chinas Außenministerium teilte mit, man stimme voll darin überein, »dass die Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen beachtet werden müssen und dass internationales Recht respektiert werden muss«. Das ist wichtig für die Volksrepublik; denn wenn sie sich als Garantiemacht einer Weltordnung präsentieren will, in der das Völkerrecht wieder gilt, dann muss dessen Bruch durch den russischen Angriff auf die Ukraine irgendwie »geheilt« werden. Die andere Seite der Münze ist, dass die »legitimen Sicherheitsinteressen« aller Staaten gewahrt werden müssen. Im konkreten Fall läuft das auf die Absage an eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine hinaus.
Dass es China gelungen ist, in Moskau die Verhandlungsperspektive ein Stück weiter zu öffnen, stellt den Westen vor ein Dilemma. Einerseits kann er kaum zulassen, dass Beijing mit einem Vermittlungserfolg seine globale politische Stellung noch weiter stärkt, schon gar nicht nach dem chinesischen Vermittlungserfolg zwischen Saudi-Arabien und Iran. Andererseits ist aus den USA immer wieder zu hören und zu lesen, dass der Ukraine-Krieg für den herannahenden Wahlkampf des Präsidenten zur Belastung zu werden droht und doch vielleicht besser im Lauf des Jahres zu Ende gehen sollte. Davon abgesehen: Kiew hat sich bislang prinzipiell offen für Verhandlungen mit Beijing gezeigt – vielleicht, weil die eigenen militärischen Kapazitäten trotz aller westlicher Waffenlieferungen eben doch begrenzt sind, vielleicht auch, weil die Ukraine, wie manche spekulieren, für ihren Wiederaufbau nicht zuletzt auf chinesisches Geld setzt, in der klaren Vorausahnung, dass wohl weder USA noch EU die erforderlichen immensen Summen allein aufbringen werden.
Hinzu kommt, wie Xi in Moskau hervorhob, dass die Mehrheit der Staaten weltweit Friedensverhandlungen befürwortet und die Stimmen, die Verhandlungen konkret fordern, immer lauter werden. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva etwa stufte das Moskauer Treffen öffentlich als »gute Nachricht« ein; er wird am Wochenende nach Beijing reisen und dort die Ukraine-Verhandlungen weiter vorantreiben. Chinesische Medien zitierten gestern Experten mit der Einschätzung, China werde neben Brasilien auch Indien, die Türkei und nach Möglichkeit Frankreich einzubeziehen versuchen, dessen Präsident Emmanuel Macron Anfang April in die chinesische Hauptstadt reisen will.
Die Global Times wies zudem auf einen anderen Aspekt des chinesischen Bemühens hin: Beijing wünsche nicht nur keinen neuen kalten Krieg, es strebe auch nicht die Bildung eines festen Blocks mit Russland an. China treibe seine Außenpolitik – wie übrigens auch Russland – im Kern strikt eigenständig voran, stellte die Zeitung fest: Die Beziehungen zwischen Moskau und Beijing ruhten auf dem Grundsatz, »keine Allianz« – aber auch »keine Konfrontation« – anzustreben und »keine dritte Partei ins Visier zu nehmen«. Diese spezielle Kombination ermöglicht nach chinesischer Überzeugung eine enge und gedeihliche Zusammenarbeit, und sie ist offen für Kooperation mit Dritten. Wollte China im Block mit Russland gegen den Westen agieren, schreibt die Global Times, dann würde es kaum im Ukraine-Krieg vermitteln und den Austausch mit diversen Staaten suchen, dann ginge es ganz anders vor. Wie, das überließ die Zeitung der Phantasie ihrer Leser.
Hintergrund: Wandel im Handel
Der russisch-chinesische Handel boomt. Und dürfte in diesem Jahr an das Volumen herankommen, das der durch Sanktionen geschwächte russische Handel mit den EU-Staaten erreicht. Letzterer lag im vergangenen Jahr noch bei etwas mehr als 250 Milliarden Euro und wird wohl deutlich schrumpfen. Den größten Anteil am russisch-chinesischen Handel haben russische Energieträger. Von ihnen will die Volksrepublik in Zukunft noch größere Mengen einführen. Umgekehrt ist chinesischen Unternehmen in einigen Branchen der Durchbruch auf dem russischen Markt gelungen, der immerhin als zwölftgrößter Verbrauchermarkt der Welt gilt, von dem sich aber westliche Unternehmen zurückziehen. So kommen inzwischen jeder dritte Neuwagen, fast jeder zweite Laptop und eine immer größere Zahl an Haushaltsgeräten aus der Volksrepublik. Die Ablösung europäischer Waren in Russland durch asiatische und insbesondere chinesische Produkte gewinnt an Fahrt. Berichten zufolge besteht derzeit das hauptsächliche Hindernis für noch schnelleres Wachstum in der Transportinfrastruktur, die größere Warenströme noch nicht bewältigen kann.
Russlands ökonomische Umpolung hat Folgen. Eine liegt darin, dass die Bedeutung des chinesischen Yuan wächst. Der russisch-chinesische Handel wird nach Angaben aus Moskau bereits zu zwei Dritteln in Rubel oder Yuan abgewickelt. Das erzwingen ja auch allein schon die US-Sanktionen. Der Anteil der russischen Ausfuhr, den die Kunden mit Yuan bezahlen, ist bereits auf 14 Prozent des Gesamtexports gestiegen. Immer mehr russische Konzerne geben Anleihen in Yuan aus, immer mehr russische Banken vergeben Kredite in chinesischer Währung. Das ist die technische Seite der Abkehr von Europa. Es gibt aber auch eine soziale. Denn es ändert natürlich etwas in den Köpfen, wenn von Autos über Laptops bis zu Haushaltsgeräten in rasantem Wandel immer weniger aus Europa und immer mehr aus China kommt. (jk)
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Leserbrief von Gerd-Rolf Rosenberger aus Bremen (27. März 2023 um 13:04 Uhr)Bei Europawahlen wurde von uns Linken insgesamt die Forderung aufgestellt, uns interessiert nicht ein Europa der Monopole und der Banken, der herrschenden politischen Klasse; sondern ein Europa der Völker, der einfachen Menschen. Schaut man in den Weser Kurier Bremen, in die junge Welt sieht man zwei bedeutende Staatspräsidenten, die sich zuprosten vor einem Wandbild von russischen orthodoxen Geistlichen bzw. am Gemälde eines russischen Zaren vorbeigehen. Im Kremlpalast Lenin zu sehen, scheint endgültig vorbei zu sein. Denke, der multipolare Kapitalismus ist nicht das Ziel der internationalen Arbeiterklasse, auch nicht wirtschaftliche Globalisierung. Die breite Zustimmung der Staatenwelt, kommende Veränderungen, wie man sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen hat, heißt das für die Völker auch gesellschaftlicher Fortschritt? Es passiert in der Russischen Föderation, dass in Saratow Plätze und Straßen von Revolutionären umbenannt werden, wie die des Kommunisten S.M. Kirov aus Leningrad, ermordet 1934, in Pjotr Stolypin-Avenue. Stolypin war verantwortlich für die brutale Verfolgung von 4.500 revolutionären Sozialdemokraten nach der Revolution von 1905. Gerne weiht Putin Denkmäler von besonders reaktionären Zaren ein, müssen Arbeiter heute den Gürtel enger schnallen. Für Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine sind kriegführende Nationen wie Frankreich und die Türkei keineswegs Friedensstifter und geeignet für diese, sondern die UNO mit Guterres, Vietnam und Mexiko gehören mit an einen Runden Tisch.
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Leserbrief von Peter Maier (25. März 2023 um 21:54 Uhr)Stellt Putin sich jetzt dem Internationalen Gerichtshof oder schickt Medwedjew doch wie angekündigt in Den Haag eine Rakete vorbei?: »So ließ sich Putin mit der Äußerung zitieren, man arbeite darauf hin, ›eine gerechtere und demokratischere multipolare Weltordnung‹ zu schaffen, die den Vereinten Nationen und dem internationalen Recht tatsächlich ›eine zentrale Rolle‹ einräume.« Dass sich andere (USA, China …) nicht um Internationales Recht scheren, macht den Völkerrechtsbruch und die Kriegsverbrechen durch den neoimperialistischen Plutokraten und nationalistischen Möchtegernzaren nicht legitim und schon gar nicht legal.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (24. März 2023 um 17:45 Uhr)Im Osten geht die Sonne auf, im Westen geht sie unter.
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Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (24. März 2023 um 15:32 Uhr)Xi Jinping hat schon häufig seine Freundschaft mit Russland bekundet. Demzufolge wird die Ukraine am Verhandlungstisch den Großmächten China und Russland gegenübersitzen, auch wenn die keinen Block bilden wollen. – Bekannt geworden sind bisher nur Forderungen an die Ukraine, u. a. die »Anerkennung der geografischen Realitäten«, d. h., die endgültige Abtretung von Gebieten an Russland, die, international anerkannt, vor 2014 Bestandteil der Ukraine waren (also die Belohnung des Aggressors?). So kann Russland mit chinesischer Hilfe am Verhandlungstisch womöglich die Ziele erreichen, die es mit Waffengewalt nicht erreichen konnte. – Welche Angebote im Gegenzug Russland der Ukraine machen würde, habe ich noch nicht gehört. Vielleicht könnte Xi wenigstens in diesem Punkt etwas bei Putin erreichen.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (24. März 2023 um 11:28 Uhr)Frieden, Neutralität, Wohlstand! China kann in Kürze der Ukraine einen nahezu unumstößlichen Friedensplan vorlegen. Der Plan ist, kurz gesagt, eine (…) östliche Version der Bildung der ehemaligen BRD. In wirtschaftlicher Hinsicht ist China dazu in der Lage, denn die heutige Ukraine wiegt mit ihren derzeitigen 20 Millionen Einwohnern, ökonomisch kaum mehr als eine chinesische Großstadt. Eine Ukraine, jedoch ohne Krim, die auf neutralen wirtschaftlichen Wohlstand beruht, könnte dann ihre Anziehungskraft nutzen, um viele ihrer ausgewanderten Bürger zurückzuerobern, aber auch damit beginnen, Arbeitskräfte aus den baltischen Ländern und Belarus anzuziehen. Nationale Minderheitengebiete wie der Donnbas und Transkarpatien werden in autonome Territorien umgewandelt, was aufgrund des wirtschaftlichen Aufschwungs und beginnenden Wohlstand, niemanden stören wird.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (24. März 2023 um 00:14 Uhr)Herr Kronauer, Sie unterschätzen die Interessen an der Partnerschaft, die die Regierungen der VR China und der Russländischen Föderation auf ein höheres Niveau bringen werden. Denn die Machtverluste der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft sind dort nicht unbekannt und sorgen für Bedenken vor der nicht neuen Bestrebung, die Brzezinski schon zu Beginn der 1990er Jahre öffentlich machte: Machterhalt der USA (bei ihm immer: Amerika) beginnt mit dem Entstehen einer westeuropäischen Gemeinschaft, die zur NATO zählt, dazu – so er – die postkommunistischen Staaten, die beitreten werden. Ziel ist Eurasien und er beschreibt: »Geostrategisch noch wichtiger ist die Tatsache, dass der Zusammenbruch des Imperiums (gemeint ist die UdSSR) auch das Ende der vierzigjährigen Bemühungen bedeutet, Amerika aus Eurasien zu verdrängen.« Dazu noch das vom Sicherheitsberater der Regierung der USA: »Angesichts der Niederlage der Sowjetunion im Kalten Krieg … sind die USA nun in der Lage, ihre Präsenz bis hin zu den Grenzen Chinas geltend zu machen und die Region um den Persischen Golf … zu dominieren.« Dass als Erinnerung daran, warum die ukrainischen Menschen zuerst von Herrn Selenski verblendet, dann verheizt, dann verlassen werden.
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Leserbrief von Holger (23. März 2023 um 22:47 Uhr)Nun müsste sich China aber auch mal in the Ukraine melden, oder?
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