Globales Modell
Von Arnold Schölzel
Am Mittwoch beendete der chinesische Präsident Xi Jinping seinen dreitätigen Staatsbesuch in Russland. Am Dienstag abend waren bei einem festlichen Staatsakt im Moskauer Kreml insgesamt 14 Dokumente unterzeichnet worden, darunter eine gemeinsame Erklärung beider Staaten über die Vertiefung der »strategischen Partnerschaft in einer neuen Epoche« sowie eine von Xi und seinem Amtskollegen Wladimir Putin abgegebene Erklärung über einen Plan für die wirtschaftliche Zusammenarbeit in den kommenden sieben Jahren. Dieses Papier zählt in acht Punkten »entscheidende Richtungen« der Entwicklung auf: Handel und Investitionen, Logistik und Verkehrswege, Finanzen (insbesondere Ausbau der Verwendung nationaler Währungen), Energiewirtschaft und »globale Energiewende«, Grundstoffe und Bodenschätze, Technologie und Innovation, industrielle Kooperation sowie Landwirtschaft.
Vor der Presse teilte Putin dazu mit, der gegenseitige Handel habe sich im vergangenen Jahr um 30 Prozent auf 185 Milliarden US-Dollar erhöht. In den ersten drei Quartalen 2022 seien bereits 65 Prozent in Rubel und Yuan abgewickelt worden, deren Anteil wachse weiter. Russland habe den Ölexport nach China im selben Jahr um die Hälfte erhöht, für die Steigerung des Gasexports seien langfristige Vereinbarungen getroffen. Besondere Bedeutung habe die industrielle Kooperation, etwa beim Autobau und der Herstellung von Zivilflugzeugen. Von strategischer Bedeutung sei der beiderseitige Agrarhandel, der 2022 um 41 Prozent gewachsen sei.
In der politischen Grundsatzerklärung sprechen beide Seiten von einem »multipolaren Modell« und halten fest, »dass sich die Welt in rasantem Tempo verändert, (…) dass historische Trends wie Frieden, Entwicklung, Zusammenarbeit und gegenseitiger Nutzen unumkehrbar sind, dass sich der Prozess der Schaffung einer multipolaren Weltordnung beschleunigt, dass die Positionen der Schwellen- und Entwicklungsländer gefestigt werden«. Gleichzeitig seien »Hegemonismus, Unilateralismus und Protektionismus nach wie vor weitverbreitet«. Versuche, das Völkerrecht durch eine »regelbasierte Ordnung« zu ersetzen, seien »inakzeptabel«. Beide Staaten bekennen sich zur UN-Charta, wiederholen, dass ein Atomkrieg nicht geführt werden darf und von niemandem gewonnen werden kann, und verlangen die gleiche Berücksichtigung von Sicherheitsinteressen aller Staaten.
Die Beziehungen zwischen Russland und China seien »zwar kein militärisch-politisches Bündnis, wie es sich während des Kalten Krieges herausgebildet« habe, überträfen »aber diese Form der zwischenstaatlichen Interaktion«. Sie hätten keinen »Block- oder Konfrontationscharakter« und seien »nicht gegen Drittländer gerichtet«. Besorgt äußern sich beide Seiten »über die verstärkten globalen Aktivitäten der USA im Bereich der Raketenabwehr und die Stationierung ihrer Elemente in verschiedenen Regionen der Welt in Verbindung mit dem Aufbau hochpräziser nichtnuklearer Waffen zur Führung eines Entwaffnungsschlages und anderer strategischer Fähigkeiten sowie über das Streben der USA nach landgestützten Raketen mittlerer und kürzerer Reichweite im asiatisch-pazifischen und europäischen Raum und deren Weitergabe an ihre Verbündeten«. Das alles untergrabe die globale Stabilität. Zum Ukraine-Krieg erklären die Staaten, ein »verantwortungsvoller Dialog« sei der beste Weg für »eine nachhaltige Lösung«, eine Blockkonfrontation müsse verhindert, Maßnahmen, die den Konflikt anheizten, beendet werden.
Die Reaktionen im Westen fielen rituell negativ bis nichtssagend aus.
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Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (23. März 2023 um 11:31 Uhr)Ein Gruß an die Welt aus Moskau: Xi und Putin verpflichten sich zur Zusammenarbeit in einer »neuen Ära« der bilateralen Beziehungen. Nach ihrem vom Westen nicht genug beachteten Treffen gaben Präsident Xi Jinping und der russische Staatschef Wladimir Putin eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie eine »neue Ära« der bilateralen Beziehungen einläuteten und zu einer Ausweitung der Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen vereinbarten. China und Russland haben strategisches gegenseitiges Vertrauen und gutnachbarliche und freundschaftliche Beziehungen gestärkt und damit ein neues Muster der internationalen Beziehungen geschaffen. Die Beziehungen zwischen China und Russland sind, gegenüber westmedialen Behauptungen, ein Win-Win-Muster, das Merkmale wie eine umfassende strategische, enge Zusammenarbeit, aber mit unabhängiger Politik, die Wahrung ihrer nationalen Interessen ohne gegenseitige Ausrichtung, die Auseinandersetzung mit globalen Fragen umfasst. Beiden Länder haben sich zur Blockfreiheit verpflichtet und dazu, dass sich ihre Partnerschaft nicht gegen Dritten richtet. Angesichts wachsender Unsicherheiten in der ganzen Welt wird der Besuch von Präsident Xi in Russland nicht nur die Beziehungen zwischen China und Russland stärken, sondern auch dazu beitragen, den Weltfrieden und die globale Entwicklung zu fördern. »Im Moment gibt es Veränderungen, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen haben«, sagt der Dolmetscher von Xi zu Putin. Die Staatsmänner verabschieden sich nach dem dreitägigen Besuch. »Und wir sind es, die diese Veränderungen gemeinsam vorantreiben«, sagt der Dolmetscher Richtung Putin, der lächelnd mit dem chinesischen Staatschef Hände schüttelt.
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Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (22. März 2023 um 20:19 Uhr)Das ist wohl die Zeitenwende, die den Namen auch verdient. Ein Kontakt auf Augenhöhe, wie man ihn sich auch zwischen Europa bzw. der EU und Russland gewünscht hätte. Man kann dazu nur gratulieren und gutes Gelingen wünschen! Eines nicht allzu fernen Tages werden wir neidvoll nach Osten blicken und uns ob der vertanen Chancen grämen, während wir unterwürfig Uncle Sams Stiefel auf Hochglanz polieren und dabei das Liedchen »Glücklich ist, wer vergisst …« trällern.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Franz S. (24. März 2023 um 09:04 Uhr)»Eines nicht allzu fernen Tages werden wir neidvoll nach Osten blicken ... während wir unterwürfig Uncle Sams Stiefel auf Hochglanz polieren.« Gleich zweimal »wir« in einem Satz. Muss das schön sein, dieses Wir-Gefühl. Kompatibel für den nächsten Krieg, wenn man »keine Parteien mehr kennt, sondern nur noch Deutsche« (Zitat Wilhelm II.) bzw. Österreicher. Arbeiter und Kapitalist endlich wieder in der Volksgemeinschaft vereint gegen »Uncle Sam«, mit dem »wir« sowieso noch eine Rechnung offen haben.
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Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (24. März 2023 um 12:28 Uhr)Ihre böswillige Interpretation »unserer« Zeilen sei Ihnen gegönnt.
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Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (23. März 2023 um 13:26 Uhr)Bei der »strategischen Partnerschaft« ist es vor allem der gemeinsame Gegner USA, der zusammenschweißt. Aber das kann sich ändern, wenn dieser Gegner besiegt ist (hoffentlich nicht mit Krieg): Dann wird die Gemeinsamkeit beendet sein, denn dann ist es nicht mehr ein Kampf zwischen den USA einerseits und Russland/China andererseits um die Vorherrschaft. Sondern dann wird dieser Kampf um die Vorherrschaft zwischen Russland und China stattfinden. – Unmöglich? Zur Erinnerung: Zwischen der Sowjetunion und der VR China bestand seinerzeit mitnichten die Freundschaft, die zwischen sozialistischen Staaten zu erwarten gewesen wäre. Keiner der beiden Staaten wollte dem anderen das Feld überlassen, beim Kampf um die »Befreiung der Völker«!
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Leserbrief von Heiko aus Leipzig (23. März 2023 um 16:50 Uhr)Die Zeiten haben sich aber geändert. Die USA und der Westen nicht.
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Leserbrief von Wolfgang Schmetterer aus Graz (23. März 2023 um 14:45 Uhr)Ich bin da sehr viel optimistischer (in Ihren Augen wahrscheinlich naiv) und denke/hoffe, dass die vielversprechende Zusammenarbeit/Partnerschaft ein Dreamteam entstehen lässt, das gar kein Interesse daran hat, sich zu entzweien. Die beiden Staatsoberhäupter haben jedenfalls richtig erkannt, dass Frieden, Entwicklung, Zusammenarbeit und gegenseitiger Nutzen unverzichtbar sind. Die USA mit ihren verlogenen und teils – man muss es so sagen – vertrottelten Präsidenten sind da bis heute nicht draufgekommen bzw. verstehen unter diesen Begriffen etwas ganz anderes. Was eine Niederlage der USA betrifft: Bevor die USA (wirtschaftlich) besiegt würden, brächen sie einen (militärischen) Krieg vom Zaun, der alle ihre bisherigen Kriege in den Schatten stellte.
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