Keine Ruhe in Hanau
Von Dilan Karacadag
Ein Mann mit seinem Schäferhund, Vater des Attentäters von Hanau, der im Februar 2020 neun Menschen aus rassistischen Gründen ermordete, stand zuletzt immer wieder provokant am Rand, wenn sich Hinterbliebene der Opfer zu Gedenkdemonstrationen versammelten. Nun ist Hans-Gerd Rathjen auch vor dem Haus der Familie des ermordeten Ferhat Unvar in der hessischen Stadt aufgetaucht.
Drei Jahre nach dem Attentat kommen die Familien der Opfer immer noch nicht zur Ruhe. Überlebende und Hinterbliebene fühlen sich durch den Vater von Tobias Rathjen bedroht. Ihre Forderungen nach Aufklärung, angemessenem Erinnern und politischen Konsequenzen werden nicht beachtet.
Täter zum Opfer erklärt
»Schau dir das Video an, wie er versucht, uns Angst zu machen«, fordert Ferhat Unvars Mutter, Serpil Unvar, am Montag den junge Welt-Autor auf. Hans-Gerd Rathjen habe sie mit sarkastischem Unterton nach ihrer Herkunft gefragt, woher sie das Geld für das Haus habe und warum sie nach Deutschland gekommen sei – sie könne ja wieder zurück in »ihr« Land. Es sei gefährlich, dass sowohl der Vater des Täters, als auch die Überlebenden und die Hinterbliebenen nach wie vor in unmittelbarer Nachbarschaft im Hanauer Stadtteil Kesselstadt leben. Dass der 75jährige die rassistische Gesinnung seines Sohnes teilt, ist in Kesselstadt kein Geheimnis. Der Anhänger kruder Verschwörungsmythen und extrem rechter Ansichten sagte nach der Tat bei der Polizei aus, sein Sohn sei das Opfer einer weltweit agierenden Geheimdienstorganisation.
Familie Unvar, die das Auftreten von Hans-Gerd Rathjen als immer bedrohlicher empfand, erstattete Anzeige und erwirkte per gerichtlichem Beschluss ein Kontaktverbot. Seitdem steht die Polizei von fünf Uhr morgens bis 23 Uhr nachts vor der Haustür der Unvars. Dennoch habe Rathjen mehrmals versucht, sich der Familie zu nähern.
Im September 2022 musste sich Rathjen in einem Prozess wegen Beleidigung verantworten. Ihm wurde von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, die Hinterbliebenen als »wilde Fremde« beschimpft zu haben. Auch soll er auf der Straße zwei Personen beleidigt und verfolgt haben. Insgesamt ermittelt die Staatsanwaltschaft in 27 Fällen gegen Rathjen – wegen Verstößen gegen das »Gewaltschutzgesetz«. Das gibt dem Gericht die Möglichkeit einer Schutzanordnung, um Opfer von Gewalt und Bedrohungen zu beschützen.
Wie das Amtsgericht Hanau gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Mitte Februar bestätigte, beantragte die Staatsanwaltschaft im Dezember außerdem einen Strafbefehl wegen sechs Verstößen gegen das Gewaltschutzgesetz. Verhängt wurde eine Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu jeweils 60 Euro, in der Summe 4.200 Euro. Schon im Herbst 2022 war Hans-Gerd Rathjen vom Landgericht Hanau zu einer Geldstrafe von 4.800 Euro verurteilt worden. Da er sich geweigert hatte, die Geldstrafen zu zahlen, saß er zwei Nächte im Gefängnis und wurde am 3. März entlassen, die Staatsanwaltschaft zog Geld von ihm ein. Somit war der Vater des Attentäters wieder auf freiem Fuß und ist weiterhin eine Bedrohung für die Familien, wie die Hanauer Staatsanwaltschaft gegenüber dem Hessischen Rundfunk bestätigte.
Am 19. Februar 2020 hatte der 43jährige Rassist Tobias Rathjen neun Menschen in Hanau ermordet. Vorher hatte der Attentäter Texte und Video ins Netz gestellt, die sein rassistisches Weltbild offenbarten. Nach dem Anschlag erschoss der Täter erst seine Mutter und dann sich selbst. Sein Vater wurde nach dem Anschlag unter polizeilichen Schutz gestellt. Seit dem Anschlag fordern die Hinterbliebenen und Familien, die Namen der Verstorbenen nicht zu vergessen: Ferhat Unvar, Hamza Kenan Kurtovic, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Paun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saracoglu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin.
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