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Aus: Ausgabe vom 21.03.2023, Seite 4 / Inland
Niedergang der Linkspartei

Kein Platz mehr

Linke-Spitze nennt Äußerungen Wagenknechts über Pläne für Parteineugründung »parteischädigend«. Exvorsitzender Riexinger droht Rauswurf an
Von Nico Popp
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Geht sie? Sahra Wagenknecht, hier noch als Vorsitzende der Linke-Bundestagsfraktion (22.10.2019)

Die Führungsspitze der Partei Die Linke erhöht den Druck auf die Bundestagsabgeordnete und ehemalige Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Koparteichef Martin Schirdewan sagte am Montag in Berlin, sie müsse sich »jetzt eindeutig von ihrer Idee der Gründung einer Konkurrenzpartei distanzieren, sonst muss sie die entsprechenden Konsequenzen ziehen«. Das sei »ein Gebot des Anstandes«. Er persönlich sei »wirklich stinksauer über diese fortgesetzten Ankündigungen über eine Parteineugründung«. Das sei »einfach verantwortungslos«, »parteischädigend« sowie »respektlos« und müsse »sofort beendet werden«. Es gehe nicht, dass »die Ressourcen von Partei und der Fraktion für die Planspiele zur Gründung einer Konkurrenzpartei genutzt werden«. Das sei auch mit der Ausübung eines Mandates für die Partei nicht vereinbar; man werde derlei nicht zulassen.

Wagenknecht hatte zuvor in einem am Sonnabend im Nachrichtenportal des ZDF veröffentlichten Interview erklärt, bis zum Ende des Jahres eine Entscheidung darüber treffen zu wollen, ob sie die Linkspartei verlässt und eine neue Partei gründet. Sie gehe »davon aus, dass innerhalb des nächsten Dreivierteljahres die Entscheidungen fallen«. Sie verwies auf Herausforderungen und Fallstricke eines solchen Projekts und betonte, dass so etwas nicht als »One-Woman-Show« funktionieren könne. Erneut ließ sie keinen Zweifel daran, dass sie mit dem derzeitigen Parteivorstand nichts mehr anfangen kann: Dieser fahre einen Kurs, der »mit meiner Vorstellung vernünftiger linker Politik kaum noch etwas zu tun hat«; er könne sich dabei »auf eine klare Mehrheit unter den Funktionsträgern der Partei stützen«. Kürzlich hatte Wagenknecht bereits ausgeschlossen, noch einmal für die Linkspartei anzutreten.

Das Interview zog am Wochenende wütende Reaktionen nach sich – vorneweg wie immer die Vertreter der linksliberalen Mandatsträger- und Apparatfraktion, die ihrerseits zielstrebig auf eine Trennung von dem in der Hauptsache sozialdemokratischen Parteiflügel hinarbeitet, für den Wagenknecht spricht. Verbindendes Element nahezu aller Stellungnahmen war die Forderung, Wagenknecht solle nun ihr Bundestagsmandat abgeben. Der ehemalige Parteichef und Bundestagsabgeordnete Bernd Riexinger fasste diese Wortmeldungen am Montag gegenüber dem Portal The Pioneer mit dem Satz zusammen, dass es für Wagenknecht »keinen Platz mehr in Partei und Fraktion geben« dürfe, »sobald es konkrete Schritte zu einer Neugründung gibt«.

Schirdewan und die Kovorsitzende Janine Wissler hatten bereits am Sonnabend in einer Erklärung verlauten lassen, dass sie Wagenknechts Ankündigung, im Verlauf der nächsten Monate über die Bildung einer konkurrierenden Partei zu entscheiden, für »verantwortungslos« halten. Die deutlich schärferen Formulierungen Schirdewans vom Montag signalisieren ein nunmehr offenes Einschwenken der Parteispitze auf die Linie des harten rechten, unter »progressiver« Flagge segelnden Flügels der Partei, der gar kein Geheimnis daraus macht, dass er so oder so den Bruch mit Wagenknecht herbeiführen will.

Deutlich differenzierter hatte sich am Sonntag der ehemalige Fraktionschef Gregor Gysi geäußert. Auch er verlangte im ZDF-Interview von Wagenknecht, die Partei nicht länger zu »quälen« und eine Entscheidung zu treffen. Inhaltlich warf er allerdings dem Vorstand vor, »die Tradition der Linken ein bisschen zu wenig« zu berücksichtigen. Er versuche weiter, zu vermitteln. Gysi bestätigte, dass dem Parteivorstand seit einiger Zeit ein von ihm und Wagenknecht verfasstes Papier vorliegt, zu dem er sich hätte verhalten sollen. Das ist bislang nicht geschehen. Es sei »im Augenblick sehr schwierig, diese Zusammenführung hinzubekommen«.

Unterdessen häufen sich auch die Stimmen, die Wagenknecht offen dazu auffordern, mit der Partei zu brechen. Die ehemalige Bundestagsabgeordnete Sabine Zimmermann warf Wissler und Schirdewan am Wochenende vor, völlig versagt zu haben. Beide führten wie ihre Vorgänger einen »zerstörerischen Kampf gegen Sahra Wagenknecht«. Die Gründung einer neuen Partei sei nur konsequent. »Ich finde, es wird Zeit«, erklärte Zimmermann.

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  • Leserbrief von Carsten Schulz aus Berlin (22. März 2023 um 14:35 Uhr)
    Einige meinen, Sahra Wagenknecht und »ihre Anhänger« sollten ganz schnell entscheiden, ob sie eine neue Partei gründen wollen und dann schnell gehen. Völlig falsch gedacht: Jetzt ist der Parteivorstand am Zuge, die gespaltene Partei natürlich auf Grundlage des gültigen Erfurter Grundsatzprogramms zu einen! Ein gemeinsames Papier von Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht liegt dem Parteivorstand vor. Wann wird er sich mit dem Papier und den Autoren befassen? Gregor Gysi hat angemahnt, dass der Parteivorstand mehr die Traditionen in der Partei berücksichtigen muss. Es steht viel auf dem Spiel: Gehen Sahra und diejenigen, die bisher maßgeblich die Friedenspolitik der Partei prägten, kommt es zu einem Aderlass in Mitglied- und Wählerschaft. Insbesondere im Osten, aber nicht nur dort.
    Der verstorbene, langjährige Ehrenvorsitzende der Linken, Hans Modrow, sprach in seinem mahnenden »Vermächtnis« an die beiden damaligen Parteivorsitzenden aus dem Herzen vieler Mitglieder an der Basis, Janine Wissler ist heute immer noch Vorsitzende und jetzt ist sie mit Martin Schirdewan in der Pflicht!
  • Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin (21. März 2023 um 13:38 Uhr)
    Sahra Wagenknecht ist gut beraten, sich beizeiten von einer schwindsüchtigen Partei des Gesterns zu verabschieden. Ein bisher wenig beachteter Aspekt: Für die real existierende Linke – die an die AfD und an Nichtwähler abgewanderte Unterstützer gar nicht zurückgewinnen will – sind Frau Wagenknecht und viele andere offenbar viel zu antifaschistisch, da sie sich mit einer immer stärkeren AfD (aktuell 16 Prozent) eben nicht abfinden wollen.
  • Leserbrief von B.Schroeder aus Apen (21. März 2023 um 12:52 Uhr)
    Es wäre ein gutes Ende, wenn sich die Partei Die Linke selbst auflösen würde. Ihre derzeitigen Protagonisten sollten den Mut haben und das jämmerliche Szenario einer relevanten Partei zu beenden. Riexinger, Wissler und Co. haben sich mit Wagenknecht jahrelang Grabenkämpfe geliefert und das ihre zum Niedergang der Linken beigetragen. Und nach dem die »Unterwanderung der Linken« – ähnlich wie vorher bei den Grünen, ihr politisches Verständnis als Friedenspartei ad absurdum geführt hat, so ist die Glaubwürdigkeit einer wirklich linken Politik völlig abhandengekommen. Sollte Sarah Wagenknecht es wirklich schaffen, eine neue Linke Partei zu gründen, mit dem Ziel einer wirklichen Alternative zu der jetzigen Partei, gäbe es eine neue Hoffnung für alle, die die Schnauze voll haben von Karrieristen und Kriegstrommlern/innen.
  • Leserbrief von Dr. Kai Merkel aus Wuppertal (21. März 2023 um 11:58 Uhr)
    Extrem parteischädigend war es meiner Meinung nach eher, die größte Friedenskundgebung des Jahres nicht zu unterstützen, obwohl inhaltlich selbst Schirdewan kein Einwand einfiel. Mehr noch, man konnte innerhalb der Parteiführung nicht wenigstens einfach die Klappe halten, obwohl man im ganzen Jahr trotz »heißer Herbst«-Versprechen nichts Vergleichbares auf die Beine gestellt hat, sondern hat auch noch versucht die Kundgebung zu demobilisieren, indem man das haltlose Querfront/Rechtsoffen-Narrativ der bürgerlichen Presse übernommen hat. Wer braucht so eine Linke noch, wenn man selbst beim Kernthema Frieden zaghaft ist und nichts mehr zustande bringt? Schielen manche der Waffenlieferungen fordernden Spitzenpolitiker etwas schon auf ein sicheres Plätzchen in einer anderen Fraktion, wenn der Laden endgültig in sich zusammenfällt? Was diese Führung der Partei antut, ist kaum zu beschreiben. Ginge es der Partei gut, wäre es schlimm. So ist es der Todesstoß … Jede öffentliche Aktion von Sahra Wagenknecht wird mittlerweile vom Vorstand angegriffen, seien sie noch so sehr auf Parteilinie oder inhaltlich richtig. Dort stört man sich lieber daran, dass Wagenknecht das Wort »Wirtschaftskrieg« in einer Rede verwendet hat, obwohl die eigene Außenministerin Russland »wirtschaftlich ruinieren will«! Auf so einem Level von »dumm«, findet die Diffamierung statt. Dass die Parteibasis auf dem letzten Bundesparteitag mit großer Mehrheit beschlossen hat, Wirtschaftssanktionen, die ganze Bevölkerungen treffen, abzulehnen, spielt eh keine Rolle mehr. Sollte Wagenknecht wirklich gehen, nimmt sie wohl mindestens die Hälfte der Wähler und des aktiven Personals der Linkspartei mit. Wie man dann noch in irgendein Parlament außerhalb von Berlin und Thüringen kommen will, ist mir schleierhaft, vom Bundestag ganz zu schweigen.
  • Leserbrief von Lisa Tymoshenko aus Berlin (21. März 2023 um 11:24 Uhr)
    Die Linke als linke, sozialistische und Antikriegspartei hat sich selbst abgeschafft. Früher waren die Sozialdemokraten als Verräterpartei bekannt, nun muss mit diesem Etikett auch die Linke rumlaufen.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Andreas E. aus Schönefeld (21. März 2023 um 07:27 Uhr)
    Dass der Parteivorstand der Linken über das Interview vom Samstag nicht glücklich ist, kann man verstehen. Daraus eine Causa Wagenknecht zu zimmern ist verlogen. Wer Sahra Wagenknecht parteischädigendes Verhalten und ihren de facto Rausschmiss fordert, sollte sich einmal an die eigene Nase fassen. Verantwortliche Mitglieder des Parteivorstandes wollen sehr schnell den Gründungskonsens und das Erfurter Parteiprogramm von 2011 »entsorgen«. Wer Waffenlieferungen in Kriegsgebiete wie die Ukraine befürwortet, kündigt Programm und Konsens auf. Sahras Engagement in Bezug auf das »Manifest für Frieden« und die »Aufstand für Frieden«-Kundgebung vom 25. Februar sind aus meiner Sicht voll vom Programm gedeckt. Sahras »Nichtinformieren« des Parteivorstandes hat sicher etwas mit verlorenem Vertrauen zu tun. Da sollte sich dieser Parteivorstand einmal fragen, warum das so ist und nicht immer nur mit dem Finger auf andere zeigen. Selbstkritik ist ein hohes Gut in der Linken, nur ist das deutlich in Vergessenheit geraten. Es sind immer nur die anderen schuld. Ganz deutlich und laut – wer den Friedens- und Antimilitarismuskonsens der Linken entsorgen will, hat nichts mehr in dieser Partei zu suchen! Eine Genossin zur Zielscheibe zu machen, um von den eigenen Verletzungen des Programms abzulenken, hat als Parteivorstandsmitglied sehr wenig Unterstützung an der Basis. Wer den Krieg weiter führen will, ob im Inneren der Partei oder auf dem außenpolitischen Parkett, macht sich schuldig am Niedergang der Partei Die Linke. Kritiker mundtot machen zu wollen, war und ist schon immer ein Zeichen der deutschen Sozialdemokratie, und diese schreckte auch nicht vor Rufmord und physischem Mord zurück - siehe Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Mir als Mitglied der Linken ist das Vertrauen zu einem großen Teil dieses Vorstandes verloren gegangen. Warum ich dann noch Mitglied bin? Weil an der Basis Genossinnen und Genossen um den Erhalt dieser Partei und seines Programms von 2011 kämpfen. Ich bin dabei!
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Paul V. aus Aachen (23. März 2023 um 08:31 Uhr)
      Lieber Andreas, Deine Argumente gegen die Parteiführung sind größtenteils richtig, aber andererseits auch ein wenig – bitte entschuldige diesen Ausdruck – naiv. Die Entwicklung der Linken hatte lange vorher liegende Ursachen. Eine davon war, dass man durch Anpassung im bundesdeutschen Politikbetrieb koalitionsfähig werden wollte, und das schon zu PDS-Zeiten. Jedoch liegt der Druck für Veränderungen auf der Straße: Demonstrationen von Tausenden und mehr machen den Herrschenden Beine. Dazu braucht es aber politische Losungen, die die Lebenslage der arbeitenden Menschen berücksichtigen und ihre Sorgen in Kampfbereitschaft umsetzen. »Raus aus der Nato« wäre eine solche Losung, die sich gegen die wachsende Kriegsgefahr richtet. Was macht die Führung der Linken? Sie ist nicht willens und auch nicht in der Lage, solche Bewegungen mitzutragen. Damit hat sie politisch ihr Existenzrecht verspielt. Sie ist im Lager der herrschenden Bourgeoisie ankommen und nimmt dahin alle mit, die jetzt noch in der Partei verbleiben. Das gilt auch für alle »Plattform-Kommunisten«. Schade! Wie sagte doch die Dame Katina Schubert: »Reisende soll man nicht aufhalten.« Richtig, gute Reise, liebe Partei »Die Linke«, auf den Misthaufen der Geschichte! Andreas, willst Du da landen? Ich hoffe nicht.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in manfred g. aus Berlin (20. März 2023 um 20:36 Uhr)
    Ich verstehe nicht, warum man eine Parteineugründung »konkurrierende« Partei nennt und nicht Parallelpartei. Auch zu einer Partei »entschiedener« Sozialisten hätte man sich solidarisch zu verhalten. Das gleiche gilt übrigens auch bei Gewerkschaften. Auch bei einer Neugründung einer Einheitsgewerkschaft, die den Namen verdient (die DGB-Einzelgewerkschaften verdienen die Bezeichnung leider nicht), wird schnell von »Konkurrenzgewerkschaft« gesprochen, was der Spaltung und Verunglimpfung dient, anstatt solidarisch von »Parallelgewerkschaft« zu sprechen.

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