Eigentum und Enteignung
Von Reinhard Jellen
Das aktuelle Heft der linken Philosophiezeitschrift Widerspruch hat diesmal ein politisch brisantes, aber doch recht wenig diskutiertes Thema: das Gemeineigentum. Den Einstieg dazu macht der Bericht von Jenny Stupka über die Berliner Kampagne »Deutsche Wohnen und Co. enteignen«, die erstmalig in der neueren Geschichte der BRD die Frage der Enteignung der großen Immobilienkonzerne und ihre Überführung in Gemeineigentum wieder auf die Tagesordnung gesetzt hat.
Dem schließt sich die allgemeinere Frage an: »Wem gehört das Öffentliche?« Silke van Dyk, Leiterin des Forschungsprojekts »Strukturwandel des Eigentums« in Jena, plädiert entschieden dafür, dass die öffentlichen Güter, angefangen von den Sozialversicherungen über die Infrastruktur, die Gesundheit und die Bildung bis hin zur Bereitstellung der lebensnotwendigen Güter in einer demokratischen Gesellschaft weder in private Hände noch in die des Staates gehören, sondern dass sie die rechtliche Form der Vergesellschaftung und damit der Partizipation der Bürger haben müssen.
Den Arbeitsbereich lotet die kritische Ökonomin Friederike Habermann aus. Sie plädiert für eine menschliche Form der kooperativen Arbeit, die sich nicht mehr am Profit und auch nicht am Markt orientiert, sondern die nach den Regeln einer »Sharing Economy« funktioniert, wie sie derzeit schon vielerorts in den Städten und auf dem Land praktiziert wird.
Der anschließende Beitrag des Philosophen Alexander von Pechmann holt weit aus. Er vertritt die These, dass die globalen Probleme des Klimawandels und der wachsenden Kluft zwischen der reichen und der armen Welt nicht nach dem derzeit weltweit geltenden Privatrecht des kapitalistischen Eigentums, aber auch nicht völkerrechtlich nach dem Prinzip der souveränen Nationalstaaten gelöst werden können. Er sieht es als Aufgabe einer linken Zukunftspolitik, für rechtliche Formen einer internationalen Kooperation zu streiten, um die Menschheitsprobleme dieses Jahrhunderts bewältigen zu können.
Von keineswegs nur historischem Interesse ist der Artikel über die Entstehung des Gemeineigentumsartikels im deutschen Grundgesetz. Darin wird die Auffassung vertreten, dass den »(wenigen) Müttern und (vielen) Vätern des Grundgesetzes« damals alles andere vor Augen stand, als die kapitalistische Privatwirtschaftsordnung, wie es dann geschah, wieder zu etablieren.
Schließlich zeichnet der philosophiegeschichtliche Beitrag von Bernhard Schindlbeck nach, wie eng seit jeher das Recht auf Privateigentum mit dem Recht auf die Ausbeutung der Arbeitskraft anderer verbunden war.
Wenn nicht alle Zeichen trügen, werden sich linke Debatten – über drei Jahrzehnte nach dem Scheitern des »realen Sozialismus« – in den nächsten Jahren wohl wieder intensiver und grundsätzlicher mit der Eigentumsfrage und mit gesellschafts- wie zukunftsfähigen Formen des gemeinschaftlichen Eigentums befassen müssen. Das Widerspruch-Heft enthält dazu jede Menge Anregungen.
Widerspruch – Münchner Zeitschrift für Philosophie, Nr. 53, 163 Seiten, 12 Euro, Bezug über www.widerspruch.com
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