»Das Geschäftsmodell ist schon lange undurchsichtig«
Interview: Gitta Düperthal
Die Staatsanwaltschaft Bochum durchsuchte vergangene Woche Büros des Immobilienkonzerns Vonovia. Der Verdacht: Korruption bei der Auftragsvergabe an Bau- und Handwerksfirmen. Deuten die Vorwürfe darauf hin, dass hier auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter in die eigene Tasche gewirtschaftet wurde?
Zunächst bezogen sich die Korruptionsvorwürfe vorrangig auf Handwerkerleistungen. Aus unserer Beratung und der Analyse des Unternehmens, die wir durchführen, wissen wir, dass Vonovia einen Großteil dieser Ausgaben als Betriebskosten oder Modernisierungsumlagen an Mieterinnen und Mieter weiterreicht. Betroffene schilderten uns häufig, dass die Höhe dieser Beträge nicht nachvollziehbar gewesen sei. Immer wieder kritisierten wir die mangelnde Transparenz des Konzerns uns und den Mietparteien gegenüber, in deren Folge wir kaum nachprüfen können, ob die Kosten gerechtfertigt waren. Zum Beispiel sollte angeblich wöchentlich jemand für Gartenpflege oder Hausmeisterleistungen vorbeigekommen sein, um diese Leistungen zu erbringen – was allerdings Mieterinnen und Mieter gar nicht wahrgenommen haben.
Können Sie ein konkretes Beispiel für den aktuellen Korruptionsverdacht anführen?
In diesem Zusammenhang können wir keine Fälle benennen. Wie neuerlich zu erfahren war, geht es dabei offenbar weniger um Handwerkerleistungen, sondern um Sanierung und Modernisierung. Dazu muss man wissen, dass es bei Großprojekten einer Komplettsanierung noch unübersichtlicher zugeht: Bei der Auflistung von Außendämmung, Dacharbeiten, veränderter Heizungsanlage, Treppenhausarbeiten, neuer Briefkastenanlage, Haustür oder Fenstern wären Gelder in erheblicher Höhe vergleichsweise leicht zu verstecken, ohne dass es auffallen würde. Wenn sich nun herausstellen sollte, dass dabei unwirtschaftliche Kosten aufgrund von Straftaten auf Mieterinnen und Mieter verlagert wurden, muss Vonovia das Geld zurückerstatten. Augenscheinlich ist das Geschäftsmodell der Wohnungswirtschaft schon lange undurchsichtig, möglicherweise auch kriminell.
Vonovia kündigte an, im nächsten Jahr nicht mehr bauen und Ausgaben fürs Sanieren senken zu wollen. Begründung: Inflation und höhere Zinsen hätten alles verteuert. Welche Strategie vermuten Sie dahinter?
Der Immobilienriese fährt das Thema Wohnungsbau eher klein und beschränkt sich darauf, Bestände zu kaufen und die gegebenenfalls zu sanieren. Für die Branche ist es ein Signal, wenn das größte Unternehmen vom Neubau Abstand nimmt. Seit Jahren konnten die Unternehmen alles über Kredite finanzieren, mussten kaum Zinsen zahlen. Die jetzigen Beschwerden sind kaum nachvollziehbar, zumal es aktuell keine Hochzinsphase gibt.
Was halten Sie davon, wenn Vonovia droht, Kaltmieten für neue Wohnungen in Richtung 20 Euro pro Quadratmeter heraufsetzen zu müssen?
In der Branche hat sich die Mentalität durchgesetzt, ständig hohe Renditen zu erwirtschaften. Wir fordern seit langem, dass die Bundesländer Wohnungsbau und -bestand staatlich organisieren sollten, um gesellschaftliche Kontrolle gewährleisten zu können.
Können die Korruptionsvorwürfe den Initiativen Rückenwind verleihen, die die Enteignung von Immobilienkonzerne fordern?
Der Vorfall entkräftet jedenfalls Argumente der Gegner der Vergesellschaftung von Wohnraum mit Verweis auf den einstigen Skandal um »Neue Heimat«: Die Behauptung, der Staat neige angeblich mehr zur Korruption als die Privatwirtschaft, ist obsolet. Aussagen des Vonovia-Vorstandsvorsitzenden Rolf Buch über ein vermeintlich stabiles Prüfsystem sind nicht haltbar. Um das System grundsätzlich auf solidere Basis zu stellen, gilt es herauszufinden, an welcher Stelle Kontrollmechanismen versagt haben. Kontrollrechte für die Mieterinnen und Mieter und ihre Interessenvertretungen müssen sich bis auf die letzte Subunternehmerrechnung erstrecken. Der Gesetzgeber muss die erforderliche Transparenz ermöglichen.
André Juffern ist Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Nordrhein-Westfalen und seit 2009 in der Beratung unter anderem von Vonovia-Mieterinnen und -Mietern tätig
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