3 Monate jW-digital für 18 Euro
Gegründet 1947 Mittwoch, 31. Mai 2023, Nr. 124
Die junge Welt wird von 2709 GenossInnen herausgegeben
3 Monate jW-digital für 18 Euro 3 Monate jW-digital für 18 Euro
3 Monate jW-digital für 18 Euro
Aus: Ausgabe vom 14.03.2023, Seite 8 / Inland
Wohnungswirtschaft

»Das Geschäftsmodell ist schon lange undurchsichtig«

Nach Razzia bei Vonovia: Mieterbund kritisiert fehlende Transparenz beim Immobilienkonzern. Ein Gespräch mit André Juffern
Interview: Gitta Düperthal
Durchsuchungen_bei_I_77239131.jpg
Gegen mehrere Vonovia-Beschäftigte und andere Beteiligte werde wegen möglicher Bestechlichkeit und Bestechung, Untreue sowie Betrug ermittelt (Bochum, 7.3.2023)

Die Staatsanwaltschaft Bochum durchsuchte vergangene Woche Büros des Immobilienkonzerns Vonovia. Der Verdacht: Korruption bei der Auftragsvergabe an Bau- und Handwerksfirmen. Deuten die Vorwürfe darauf hin, dass hier auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter in die eigene Tasche gewirtschaftet wurde?

Zunächst bezogen sich die Korruptionsvorwürfe vorrangig auf Handwerkerleistungen. Aus unserer Beratung und der Analyse des Unternehmens, die wir durchführen, wissen wir, dass Vonovia einen Großteil dieser Ausgaben als Betriebskosten oder Modernisierungsumlagen an Mieterinnen und Mieter weiterreicht. Betroffene schilderten uns häufig, dass die Höhe dieser Beträge nicht nachvollziehbar gewesen sei. Immer wieder kritisierten wir die mangelnde Transparenz des Konzerns uns und den Mietparteien gegenüber, in deren Folge wir kaum nachprüfen können, ob die Kosten gerechtfertigt waren. Zum Beispiel sollte angeblich wöchentlich jemand für Gartenpflege oder Hausmeisterleistungen vorbeigekommen sein, um diese Leistungen zu erbringen – was allerdings Mieterinnen und Mieter gar nicht wahrgenommen haben.

Können Sie ein konkretes Beispiel für den aktuellen Korruptionsverdacht anführen?

In diesem Zusammenhang können wir keine Fälle benennen. Wie neuerlich zu erfahren war, geht es dabei offenbar weniger um Handwerkerleistungen, sondern um Sanierung und Modernisierung. Dazu muss man wissen, dass es bei Großprojekten einer Komplettsanierung noch unübersichtlicher zugeht: Bei der Auflistung von Außendämmung, Dacharbeiten, veränderter Heizungsanlage, Treppenhausarbeiten, neuer Briefkastenanlage, Haustür oder Fenstern wären Gelder in erheblicher Höhe vergleichsweise leicht zu verstecken, ohne dass es auffallen würde. Wenn sich nun herausstellen sollte, dass dabei unwirtschaftliche Kosten aufgrund von Straftaten auf Mieterinnen und Mieter verlagert wurden, muss Vonovia das Geld zurückerstatten. Augenscheinlich ist das Geschäftsmodell der Wohnungswirtschaft schon lange undurchsichtig, möglicherweise auch kriminell.

Vonovia kündigte an, im nächsten Jahr nicht mehr bauen und Ausgaben fürs Sanieren senken zu wollen. Begründung: Inflation und höhere Zinsen hätten alles verteuert. Welche Strategie vermuten Sie dahinter?

Der Immobilienriese fährt das Thema Wohnungsbau eher klein und beschränkt sich darauf, Bestände zu kaufen und die gegebenenfalls zu sanieren. Für die Branche ist es ein Signal, wenn das größte Unternehmen vom Neubau Abstand nimmt. Seit Jahren konnten die Unternehmen alles über Kredite finanzieren, mussten kaum Zinsen zahlen. Die jetzigen Beschwerden sind kaum nachvollziehbar, zumal es aktuell keine Hochzinsphase gibt.

Was halten Sie davon, wenn Vonovia droht, Kaltmieten für neue Wohnungen in Richtung 20 Euro pro Quadratmeter heraufsetzen zu müssen?

In der Branche hat sich die Mentalität durchgesetzt, ständig hohe Renditen zu erwirtschaften. Wir fordern seit langem, dass die Bundesländer Wohnungsbau und -bestand staatlich organisieren sollten, um gesellschaftliche Kontrolle gewährleisten zu können.

Können die Korruptionsvorwürfe den Initiativen Rückenwind verleihen, die die Enteignung von Immobilienkonzerne fordern?

Der Vorfall entkräftet jedenfalls Argumente der Gegner der Vergesellschaftung von Wohnraum mit Verweis auf den einstigen Skandal um »Neue Heimat«: Die Behauptung, der Staat neige angeblich mehr zur Korruption als die Privatwirtschaft, ist obsolet. Aussagen des Vonovia-Vorstandsvorsitzenden Rolf Buch über ein vermeintlich stabiles Prüfsystem sind nicht haltbar. Um das System grundsätzlich auf solidere Basis zu stellen, gilt es herauszufinden, an welcher Stelle Kontrollmechanismen versagt haben. Kontrollrechte für die Mieterinnen und Mieter und ihre Interessenvertretungen müssen sich bis auf die letzte Subunternehmerrechnung erstrecken. Der Gesetzgeber muss die erforderliche Transparenz ermöglichen.

André Juffern ist Geschäftsführer des Deutschen Mieterbunds Nordrhein-Westfalen und seit 2009 in der Beratung unter anderem von Vonovia-Mieterinnen und -Mietern tätig

Onlineaktionsabo

Das Onlineaktionsabo der Tageszeitung junge Welt bietet alle Vorteile der gedruckten Ausgabe zum unschlagbaren Preis von 18 Euro für drei Monate. Das Abo endet automatisch, muss also nicht abbestellt werden. Jetzt Abo abschließen und gleich loslesen!

Ähnliche:

  • Düsterer Ausblick: Stillstehende Kräne und verlassene Baustellen...
    15.02.2023

    Bockige Immobilienlobby

    BRD: Wohnungswirtschaft beklagt Kostensprünge und streicht Neubaupläne. Linke und Mieterverbände fordern kommunalen, gemeinwohlorientierten Wohnungssektor
  • Neubau eines Mehrfamilienhauses (Landsberg am Lech, 22.3.2022)
    28.01.2023

    »50 Milliarden Euro für den Wohnungsbau!«

    Mal ein vernünftiges »Sondervermögen«: Deutscher Mieterbund kritisiert Bundesregierung, die eigene Ziele verfehlt. Ein Gespräch mit Jutta Hartmann
  • Knappes Gut: Neugebauter, bezahlbarer Wohnraum in Innenstädten (...
    26.01.2023

    Ohne soziale Standards

    Bundesbauministerin Geywitz präsentiert Programm für Neubauförderung. Immohaie profitieren

Mehr aus: Inland

Startseite Probeabo