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Aus: Ausgabe vom 14.03.2023, Seite 3 / Schwerpunkt
Pädophilie-Vorwürfe

Wahlkampf mit totem Papst

Polens regierende Rechte versucht, kritische Publikationen über das Wirken Wojtylas gegen Opposition zu wenden. US-Botschafter einbestellt
Von Reinhard Lauterbach, Poznan
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Abstimmung über die Resolution zur »Verteidigung des Ansehens des heiligen Johannes Paul II.« am Donnerstag in Warschau

Die Reaktion kam ausgesprochen schnell. Am Montag vergangener Woche war ein kritischer Film über die Duldsamkeit von Kardinal Karol Wojtyla gegenüber Pädophiliefällen in seinem Krakower Amtsbereich im oppositionsnahen Fernsehsender TVN 24 gelaufen, zwei Tage später bestellte das Warschauer Außenministerium den US-Botschafter in Polen ein, um sich zu beschweren: Was der dem US-amerikanischen Konzern Warner Bros. Discovery gehörende Sender da verbreitet habe, sei »Element einer hybriden Kriegführung« gegen die »polnische Identität«. Politiker der Regierungspartei PiS forderten, dem Sender die Lizenz zu entziehen. Dazu wird es zwar aller Wahrscheinlichkeit nach nicht kommen, da ist schon die Fürsorge der US-Diplomatie für das Eigentum US-amerikanischer Kapitale davor. Aber das Signal war gesetzt.

Und so ging es weiter. Der Präsidentenpalast in Warschau wird seit Tagen nachts mit einem Porträt Wojtylas – schon als Papst – angestrahlt, Moderatoren des Regierungsfernsehens TVP setzen sich mit Madonnenmedaillons ins Studio wie einst der Solidarnosc-Anführer Lech Walesa. Und am Donnerstag befasste sich das polnische Parlament in einer Sondersitzung mit dem Skandal. Nicht dem Skandal natürlich, um den es in dem Film – und auch in einem am vergangenen Mittwoch erschienenen Buch des niederländischen Journalisten Ekke Overbeek zum selben Thema – geht: die Widerlegung der bisher von Wojtylas Verteidigern vertretenen These, der Papst habe erst spät in seiner Amtszeit davon erfahren, dass es so etwas wie Pädophilie in der Kirche überhaupt gebe, und dann energisch durchgegriffen. Sondern dem Skandal, dass jemand aufgrund von Akten und Zeugenaussagen nachgewiesen hat, dass Wojtyla auch schon als Erzbischof von Krakow in den 1960er und 1970er Jahren mit Pädophiliefällen konfrontiert war und sich auf symbolische Sanktionen gegen die darin verwickelten Geistlichen beschränkt hatte, sofern er sie nicht gleich ins Ausland weglobte.

Die von der PiS eingebrachte Resolution trug einerseits dick auf: Wojtyla sei »der größte Pole aller Zeiten« gewesen, weit vor Menschen wie Nikolaus Kopernikus, Frédéric Chopin oder Marie Sklodowska Curie. Ihn zu kritisieren komme einer Beleidigung der ganzen polnischen Nation gleich. Andererseits waren die Argumente ausgesprochen dünn: Film und Buch stützten sich auf Dokumente, die der »Gewaltapparat des kommunistischen Polens« verfasst habe, um Wojtyla zu schaden. Dokumente genau jener Klasse also, auf die die PiS in den ersten Jahren ihrer Regierung die Diskreditierung von Lech Walesa als angeblichem Informanten des polnischen Sicherheitsdienstes gestützt hatte. Wobei die Erzdiözese Krakow den Autoren beider Recherchen den Zugang zu ihren Archiven und dort möglicherweise vorhandenen entlastenden Dokumenten zu Wojtyla verwehrt hatte.

Die PiS-Resolution zur »Verteidigung des Ansehens des heiligen Johannes Paul II.« wurde schließlich mit den Stimmen der Regierungspartei sowie der Bauernpartei PSL verabschiedet. Nur die 39 Abgeordneten des Linksbündnisses hatten den Mut, die Entschließung abzulehnen; die liberalen Parteien enthielten sich oder verließen vor der Abstimmung den Saal. Nur einer ihrer Abgeordneten hatte sich das Argument einfallen lassen, dass wissenschaftliche Erkenntnisse oder journalistische Recherchen nicht durch politische Beschlüsse aus der Welt zu schaffen seien.

Das weiß die PiS einerseits auch oder ahnt es zumindest. Aber es hindert sie nicht, die polnische Öffentlichkeit in Aufregung zu versetzen. Denn der wirkliche Hintergrund der Kampagne ist der Versuch, die eigene Wählerschaft – die, statistisch gesehen, überwiegend der älteren Generation angehört und eher auf dem flachen Land lebt als in den Metropolen Polens – emotional und damit indirekt zur Stimmabgabe im Herbst zu mobilisieren. Das scheint ihr auch zu gelingen. Eine aktuelle soziologische Untersuchung des linken Instituts Krytyka Polityczna hat gezeigt, dass die Wählerschaft der PiS wenigstens im Moment deutlich stärker entschlossen ist, sich an den für Oktober anstehenden Parlamentswahlen zu beteiligen, als die Anhänger der Oppositionsparteien. Sozialtransfers spielen dabei ebenso eine Rolle wie Elemente der Identitätspolitik wie das Beschwören des Andenkens von Karol Wojtyla. Bitter für die Kampagnenstrategen der Opposition ist die Beobachtung der Autoren der Studie, dass unter den mehr als 1.000 befragten Personen keine einzige der PiS das zum Vorwurf mache, was über Jahre Dreh- und Angelpunkt der Agitation der Liberalen gewesen war: die Gängelung und politische Steuerung der Justiz. Die gibt es zwar tatsächlich, aber Richter sind eben keine Sympathieträger.

Hintergrund: Schmutz geht immer

Die ganze Aufregung um die angebliche Verunglimpfung des polnischen Papstes ist aus Sicht der Regierungspartei auch ein geschicktes Ablenkungsmanöver von einem Vorfall, der ebenso wie die Papststory eine emotionale Ebene hat. Er war der liberalen Opposition Anfang März ungewollt und auf tragische Weise in den Schoß gefallen: durch den Freitod des knapp 16jährigen Mikolaj Filiks aus Szczecin. Mikolaj war der Sohn der bekannten PO-Abgeordneten Magdalena Filiks.

Die Geschichte begann vor zwei Jahren. Damals überließ Filiks aus irgendwelchen Gründen für ein Wochenende die Obhut über ihren damals 13jährigen Sohn und dessen damals 16jährige Schwester einem Bekannten. Der fügte dem Jungen sexualisierte Gewalt zu und bot dem Mädchen Drogen an. Der Bekannte war im Marschallamt – in etwa vergleichbar mit der Regierung eines deutschen Bundeslandes – beschäftigt und war ebenso wie Filiks Mitglied der Bürgerplattform PO.

Heute sitzt er eine mehrjährige Haftstrafe wegen der damaligen Vorfälle ab. Filiks hatte sofort Anzeige erstattet, das Marschallamt entließ den Mann fristlos, die Partei schloss ihn aus. Das Gerichtsverfahren lief zum Schutz der minderjährigen Opfer hinter verschlossenen Türen und endete im Dezember 2021 mit einem inzwischen rechtskräftigen Urteil.

Ende Dezember 2022 griffen das PiS-treue Regionalradio und der Infokanal des Staatsfernsehens die Geschichte wieder auf – mit dem Dreh, die PO rege sich auf über Pädophilie in der katholischen Geistlichkeit, dulde sie aber in den eigenen Reihen. Selbst der Mutter wurde vorgeworfen, sie habe im Interesse ihrer Karriere den Fall unter der Decke gehalten. Nichts davon stimmte. Radio Szczecin meldete sogar, die beiden geschädigten Jugendlichen seien »Kinder einer bekannten Abgeordneten aus Szczecin«. Davon gibt es nur eine weibliche, die Identifikation war also leicht. Ebenso leicht, wie den Jungen in den sozialen Netzwerken mit Schmähungen zu überziehen – die er sechs Wochen lang aushielt, danach nicht mehr.

Nicht völlig geklärt ist, wie die Staatsmedien überhaupt an die Information über das geheim geführte Verfahren gekommen waren. Der Präsident des Bezirksgerichts Szczecin dementierte offiziell und sehr energisch, dass es in seiner Behörde zu Indiskretionen gekommen sei. Bleibt nach Überzeugung vieler die Staatsanwaltschaft als Quelle. Die untersteht direkt Justizminister Zbigniew Ziobro, und dem war Magdalena Filiks als Abgeordnete auf die Füße getreten, indem sie Unregelmäßigkeiten bei der staatlichen Forstverwaltung aufgedeckt hatte, die von Parteisoldaten Ziobros kontrolliert wird. (rl)

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