Bündnis aus Ohnmacht
Von Felix Bartels
Früher war alles klarer. Anstelle von »Querfront« zum Beispiel sagte man »Fronde«. Und wusste, was das bedeutet: eine Opposition von rechts, die versucht, gegen eine im Gang befindliche Bewegung, bei der ihr politisch die Felle wegzuschwimmen drohen, ein übergreifendes Bündnis mit linken und zentristischen Kräften herzustellen. Eine Negativkoalition, einig bloß in der Verneinung der dominierenden Richtung.
Bei der Querfront ist nichts klar. Im parteilichen Gebrauch der letzten Jahrzehnte zerrieben, ist von der politischen Strategie nur noch der Name geblieben – ein diffuses Schlagwort. Niemand, der es bemüht, klärt, was er eigentlich meint. Geht es um das bloße Zusammenwirken linker und rechter Kräfte? Ist das Zusammenwirken spontan, geplant oder gar institutionalisiert? Läuft der Impuls von links nach rechts oder von rechts nach links? Ist die Linke oder ist die Rechte der stärkere Part im Bündnis? Ist die vorherrschende Kraft, gegen die die Querfront sich richtet, zentristisch, oder steht sie rechts von der Querfront?
Da Querfront heute in diesen Zusammenhängen alles Mögliche bedeuten kann, lässt sich das Wort auf alles Mögliche anwenden. Es wurde ein Allzweckmittel beim Niederbürsten oppositioneller Kritik, auf die dann inhaltlich nicht mehr reagiert werden musste. Wer mit Nazis läuft, diskreditiert sich von vornherein. Sicher, wer würde das bestreiten? Nur zutreffen sollte es schon.
Falsche Querfront
Wie gesucht, herbeigeholt, regelrecht inszeniert der Vorwurf sein kann, konnte man zuletzt bei den Reaktionen auf das von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht verfasste »Manifest des Friedens« sehen.¹ Obwohl in diesem Papier die üblichen nach rechts offenen Marker fehlen und obwohl die Erstzeichner aus der bürgerlichen Mitte oder der Linken kommen, waren politische Publizisten und Akteure, die ein Problem mit der darin formulierten Ablehnung von Waffenlieferungen an den ukrainischen Staat haben, unverzüglich mit dem Vorwurf der Querfrontbildung zur Stelle. Als sei das eigentliche Problem dieses Manifests nicht seine politische Tendenz, sondern der Umstand, dass die Menge der Unterzeichner nicht homogen ist. Auch bezüglich der dem Manifest angeschlossenen Berliner Demonstration vom 25. Februar wiederholte sich das Ganze, obgleich die Veranstalter sich gegen rechten Zulauf aussprachen und während der Kundgebung rechte Gruppen, soweit erkenn- und machbar, des Platzes verwiesen wurden. Umstände, die etwa die Rechtsaußenlinke Katina Schubert nicht daran hinderten, eine Querfront herbeizufabulieren.²
Und ganz so, wie die personelle Zusammensetzung, damit die Vorwürfe halbwegs haltbar bleiben, falsch dargestellt werden musste, wurde auch der Inhalt des Manifests übergangen. Dass das von Wagenknecht und Schwarzer gestiftete Bündnis keine Querfront konstituiert, sondern vielmehr eine Mitte-links-Koalition, lässt sich aus dem Papier klar ablesen. Im Zentrum steht die Sorge um ein Forttreiben des Ukraine-Kriegs durch die Politik der Waffenlieferungen seitens westlicher Staaten. Es fehlen da nicht bloß klassisch rechte Elemente – etwa deutsch-chauvinistischer Antiamerikanismus, Demokratiefeindlichkeit und »Ethnopluralismus« –, es fehlen auch linke Zugriffe wie Antiimperialismus und Klassenanalyse. Die Position des Manifests lässt sich am ehesten als pazifistisch beschreiben. Der russische Einmarsch in die Ukraine wird von Schwarzer/Wagenknecht zu Recht kritisiert, jedoch ohne dass die Autorinnen eine Einbettung in den geopolitischen Kontext vornehmen: Die Konkurrenz am Energiemarkt, die Ostexpansion der NATO, der westliche Einfluss auf die inneren Entwicklungen der Ukraine seit spätestens 2004 bleiben unerwähnt. Adäquat weist das Papier darauf hin, dass Waffenlieferungen den Konflikt verlängern und weitere Menschenleben kosten, mithin, dass der Krieg durch sie nicht gewonnen werden kann. Im Manifest drückt sich, mit einem Wort, eine vom Marxismus entblößte Vernunft aus – ein Minimalrealismus, doch immerhin ein Realismus. Und der paternalistischen Idee, Putin mittels Dehnung des Krieges erziehen zu können, allemal überlegen.
Vielleicht schadet es nicht, über die erkennbar tagespolitisch motivierten Deformationen hinaus die Probleme der Querfront zu besprechen. Denn dass hier ein ernstes Problem für die Linke liegt, hätte man gewiss nicht mit denjenigen Linken zu verhandeln, die ihre bellizistische Agenda hinter bündnispolitischen Bedenken verbergen – innerhalb der linken Restvernunft, die die NATO kritisch zu sehen noch bereit ist, aber schon. Man könnte es sich leichtmachen und bellizistische Linke durch simplen Whataboutism aus der Bahn kegeln. Während die nämlich im bürgerlichen Pazifismus die Querfront erblicken, zeigen sie ihrerseits keine Skrupel, mit Bandera-Faschisten unter »Slawa Ukraini«-Rufen für das militärisch erzwungene Ende des Krieges zu demonstrieren. Allein, kurze Wege werden in der Regel lang, weil theoretische Probleme, die man am Anfang nicht klärt, im Verlauf der Handhabung komplizierter werden und irgendwann nicht mehr zu entheddern sind.
Eine rechte Strategie
Auf den Ursprung des Querfrontbegriffs zurückzugehen erweist sich als wichtig, auch wenn die Zeit, in der der Begriff entstanden ist, nur wenig noch mit unserer Lage zu tun hat. Erdacht von den Strategen der Konservativen Revolution, bezeichnete »Querfront« während der Weimarer Republik ein Bündnis aus Rechten, Linken und Zentristen, und zwar gerichtet gegen den heraufziehenden Faschismus. Eine vergleichsweise moderate Volksgemeinschaft sollte an die Stelle der faschistischen Volksgemeinschaft treten, wobei die ins Bündnis tretenden Linken den Preis zu zahlen hatten, ihren Sozialismus vom Marxismus zu lösen. Der gescheiterte Versuch des Reichskanzlers Kurt von Schleicher, die Machtübergabe an Adolf Hitler zu verhindern, stellt den Höhepunkt und das Ende dieser Konzeption dar. Die Querfront, an der auch der linke Flügel der NSDAP unter Führung Gregor Strassers beteiligt sein sollte, kam nicht zustande.
Diese Strategie der Weimarer Zeit unterscheidet sich in zwei Punkten von dem, was zur Stunde unter dem Schlagwort verstanden wird. Querfront war in der Weimarer Republik ein Konzept von Rechten, die Linke zu instrumentalisieren, und sie war nicht gegen eine Mitte der Gesellschaft gerichtet, sondern gegen die extreme Rechte der Republik. Im westdeutschen Neonazismus änderte sich zunächst letzteres. Es ging darum, die christdemokratisch-sozialdemokratische Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik von links und rechts in die Zange zu nehmen. Diese Versuche kamen ausschließlich von rechts und erfreuten sich linker Hand so gut wie keiner Resonanz. Erst nach 1990 schwand auch der zweite Punkt. Mittlerweile wird unter Querfront stets die Attacke einander assoziierter politischer Peripherien gegen die Mitte verstanden, und die Zuschreibung taucht fast immer als Vorwurf gegen linke Politikkonzepte auf.
Das hat zum einen damit zu tun, dass Querfrontbemühungen von rechts gar nicht mehr gesondert wahrgenommen werden, man setzt sie mittlerweile als genuin voraus. Zum anderen aber damit, dass es seit 1990 tatsächlich Versuche einer Querfrontbildung gegeben hat, die von links ausgingen. Hierzu zählen etwa die 2014 gebildete »Neue Friedensbewegung« mit ihren Montagsmahnwachen, die »Querdenker«-Front während der Coronapandemie und das Agieren publizistischer Einrichtungen wie Westend, Rubikon, Nachdenkseiten oder Ken FM/apolut.net. Auch das Netzwerk »Aufstehen« muss sich unter bestimmten Voraussetzungen den Vorwurf gefallen lassen, wenngleich es dort nicht um die Bildung einer Querfront ging, sondern darum, an die Rechte verlorene Wähler nach links zurückzuholen. Wer dann allerdings gezielt einen Populismus entwickelt, der mit jenen Ressentiments spielt, denen zuliebe Linkswähler von gestern heute rechts wählen, darf sich nicht wundern, wenn er an seiner Basis größere Massen rechtsaffiner Zeloten sammelt.
Was die Querfront von links von der Querfront von rechts unterscheidet, ist vor allem der Grad des Selbstbewusstseins. Während die Rechte die Strategie ganz offen benennt, wie der Neonazi Michael Kühnen zum Beispiel, der 1989 äußerte, links und rechts können nach dem gemeinsamen Sieg »immer noch untereinander ausschießen, welche Ordnung die bessere ist«³, scheint Querfront auf der linken Seite immer schambehaftet. Das ist der Grund, aus dem die in den vergangenen zehn Jahren virulente Losung, links und rechts seien überholte Kategorien, es gebe nur noch oben und unten bzw. vorn und hinten, Verbreitung gefunden hat. Wo die gesamte Korrelation und die damit verbundenen Fragen für obsolet erklärt werden, wiegt die Entscheidung gegen eine linke Positionierung weniger schwer. Erst, wo sich die Frage »Rechts oder links?« gar nicht mehr stellt, kann die linke Idee ohne Komplikation verraten werden. Man ist dann kein Opportunist, sondern lediglich up to date.
Was ist rechts, was links?
Doch warum ist die Frage »Rechts oder links?« unverzichtbar? Was unterscheidet linke und rechte Positionen essentiell? Und warum werden sie mitunter verwechselt?
Es gab in der Linken eigentlich zu jeder Zeit Kräfte, denen schwerfiel, rechte Kräfte zu erkennen, sobald die sich ein oppositionelles Äußeres gaben und klassisch linke Schlagworte aufnahmen. Die Strasser-Fraktion innerhalb der NSDAP galt als antikapitalistisch, was manch einen Linken verwirren konnte. Zäh nämlich hält sich bis heute, den sogenannten Nationalsozialismus rein als Herrschaftssystem zu verstehen. Wo der Faschismus an der Macht ist, agiert er in der Tat im Sinne der aggressivsten und regressivsten Fraktionen des Kapitals. Der Zweite Weltkrieg lässt sich nicht zuletzt als Beutekrieg eines »Volks ohne Raum« beschreiben, die Machtübernahme der Nazis als zeitweilige Stabilisierung eines kollabierenden Kapitalismus, der seine anarchische Atomisierung zugunsten einer auf lange Sicht defizitären Kommandowirtschaft – einer Planwirtschaft ohne Plan, einer Aneignung ohne Enteignung – aufgibt. Als Überlebensmodus, der die vorhandene Krise durch eine Weltkriegskonjunktur kompensierte, die einen bestialischen Vernichtungskrieg und industrielle Massenvernichtung zur Folge hatte. Der Faschismus als oppositionelle Bewegung allerdings, also vor Machtergreifung, ist anderer Natur. Er entsteht, wie eben auch die Linke und der Marxismus, aus einem Unbehagen am Kapitalismus und dessen Formen des Elends. Anders als die Linke geht er aber nicht an die Wurzel der Sache, er versucht den Kapitalismus zu domestizieren statt ihn zu beseitigen. Faschismus in diesem Sinne ist der Versuch, Kapitalismus in antikapitalistischer Pose zu bewahren.
Links und rechts haben dasselbe Problem, aber gegensätzliche Lösungen. Und der Gegensatz hat zwei Dimensionen. Links stellt die Klassenfrage. Rechts verwandelt die Klasse in ein Abstraktes: das Volk oder, feinsinniger, den Menschen. Wo die Zielgruppe »der Mensch« (Ken Jebsen) oder »das Volk« (Jürgen Elsässer) ist, muss von einer Verkleinbürgerlichung der Arbeiterbewegung geredet werden. Die Interessengemeinschaft von Ausgebeuteten und Ausbeutern gegen »die da oben« ist das Modell der Volksgemeinschaft, die als Einheit unversöhnlich kollidierender Gruppen den inneren Feind (Zuwanderer, Juden, Feministen, Vegetarier etc.) und den äußeren Feind (USA, China, Sowjetunion u. a.) benötigt. In ihrer extremen Form kann die Feindzuschreibung biologisch begründet werden, für den Charakter der Volksgemeinschaft scheint das Biologische, zumal es seit 1945 belastet ist, nicht zwingend. Rechts eint das Volk, indem das Andere als feindlich erkannt wird. Links spaltet das Volk, indem man das Eigene als feindlich erkennt. Somit zielt linkes Denken auf die Systemfrage, während man auf der Rechten die Systemfrage in ein System des Neids überführt. Ob die Lösung sozialer Ungleichheit in der Aufhebung der Ausbeutung gesucht wird oder darin, dass der unter ihr Leidende an die Stelle des ihn Ausbeutenden treten möchte, ist ein Unterschied ums Ganze. Die rechte Angst, benachteiligt zu werden, richtet sich zugleich nach unten und oben, gegen Migranten oder »Sozialschmarotzer« und gegen echte oder vermeintliche Eliten.
Die Schwierigkeit, dass im Faschismus nicht bloß eine Variante des Kapitalismus, sondern zugleich eine (konforme) Protestbewegung gegen dieses System vorliegt, führt dazu, dass es immer wieder Linke gibt, die sich mit Rechten zusammenwerfen, weil man (meint man) im Grunde doch dasselbe will. Wer jede Spielart des Oppositionellen für links hält, weil links für ihn bedeutet, gegen die herrschenden Zustände zu sein, wird – hier wäre Diether Dehm als besonders augenfälliges Beispiel zu nennen – empfänglich für Querfrontstrategien, auch wenn oder vielmehr: gerade wenn die Querfront nicht organisiert ist, sondern sich spontan im Protest und der politischen Tagesarbeit bildet. Dass diese Fehlleistung in den letzten dreißig Jahren häufiger wurde, lässt sich aus der Entwicklung des politischen Spektrums erklären.
Die Rechte wird Opposition
Als die Achtundsechziger ausgepöbelt hatten, begaben sie sich in den von Rudi Dutschke skizzierten Marsch durch die Institutionen. Die kollektive Ermächtigung gegen das System sollte ersetzt werden durch individuelles Handeln im System. Es ist unter Linken oft darüber geredet worden, dass dieses Handeln im System eher den Handelnden als das System verändert habe. Das lässt sich mit Blick auf die Unterwerfungsarbeit der früheren Revolutionäre nicht bestreiten. Dennoch hat man lange den Rechten überlassen, über die Wirkung nachzudenken, die die Achtundsechziger mit ihrem Marsch durch die Institutionen auf die Institutionen hatten. Die politische Revolution der linken Studenten blieb aus, aber die Republik durchlebte eine Art Kulturrevolution. Im Laufe der Jahrzehnte wurden konservative und reaktionäre Inhalte erst zu Rudimenten und schließlich weitgehend aus dem öffentlichen Raum verdrängt. Der Kapitalismus wurde menschlich, die Gesellschaft divers, das Bewusstsein woke.
Diese Entwicklung um die Akzeptanz alternativer Lebensentwürfe, die Gleichstellung von Mann und Frau, die Inklusion benachteiligter Gruppen, das Eindämmen von Rassismus und Antisemitismus war für die Linke nicht an sich ein Problem. Die Durchsetzung klassisch linker Forderungen musste natürlich begrüßt werden, und darauf, zumindest nicht in den Mief des Adenauer-Deutschlands zurückzuwollen, konnten sich fast alle Linken einigen. Das Problem entstand der Linken durch die Integration linker Inhalte in das kapitalistische System, das als Wirtschaftsregime und in seiner geopolitischen Dynamik kein Stück menschlicher geworden war, die progressiven Elemente allerdings als Anstrich benutzt. Es führt ein gerader Weg von Brandts Entspannungspolitik über Fischers menschenrechtlich begründeten Interventionismus zu Merkels Sozialdemokratisierung der Union und Baerbocks wertebasierter bzw. feministischer Außenpolitik.
Die Rechte hat kein Problem mit dem Anstreichen, nur mit dem Anstrich. Im Gegensatz zur Linken lehnt sie die erzielten Fortschritte selbst ab und nicht lediglich deren Funktionalisierung. Auch dieser Unterschied ist einer ums Ganze, und auch er kann leicht übersehen werden. Das rechte Unbehagen an der neuen Zeit entsteht durch den Eindruck einer Dominanz des sogenannten Kulturmarxismus. Man fürchtet den Tod des Volks durch die Zerstörung des traditionellen Familienbildes, den Tod des Abendlandes durch Vermehrung und Zuwanderung orientalischer Menschen, den Tod der Sprache durch Genderkonventionen, den Tod der Vernunft durch Sprechverbote usw. Indem progressive Tendenzen im Lauf der letzten dreißig Jahre allmählich zur Staatsraison wurden, war die Rechte regelrecht gezwungen, darauf zu reagieren. Hieraus erklärt sich die Entwicklung der Rechten in den vergangenen Jahrzehnten.
Dass rechte Parteien sich zunehmend oppositionell geben, rebellische Posen regelrecht inszenieren, klassisch linke Posen adaptieren, hat mit dem Gefühl rechter Akteure zu tun, den Zugriff auf die bürgerliche Mitte verloren zu haben. Wo linke Inhalte regierungsamtlich werden, bekommt demnach sowohl die Linke als auch die Rechte ein Problem. Die Linke ist ihre Alleinstellungsmerkmale los, die Rechte sieht ihre Inhalte schwinden. Somit entsteht die Strategie, von rechts in linkes Einzugsgebiet vorzudringen, wobei es allerdings nicht um die Aneignung der linken Inhalte, sondern um die der linken Posen geht. Aus der Arbeiterklasse wird der kleine Mann, aus sozialer Gerechtigkeit und materialistischer Bestimmung Kritik an Steuerlast, Sozialschmarotzern und akademischen Eliten. Die eigentlich systemkonforme, eigentlich der Klassenherrschaft entsprechende Logik gibt sich rebellisch, oppositionell, widerständig.
Daraus ergibt sich der auch von der Beobachtung gedeckte Gedanke, dass wir es bei den gegenwärtigen Querfrontbemühungen weder auf der linken noch auf der rechten Seite mit einer durchdachten Strategie zu tun haben. Vielmehr mit dem Ausdruck einer diffusen Stimmung, einem kaum reflektierten, spontanen Zusammenwerfen einander widerstrebender Positionen von Akteuren, die um ihr politisches Überleben fürchten und daher ebenso blind wie zielsicher Leerstellen im Diskurs besetzen.
Es hilft der linken Ohnmacht allerdings kein bisschen, dass auch auf der rechten Seite Ohnmacht vorherrscht. Die Frage, wie man auf die Lage reagieren soll, muss die Linke für sich selbst klären. Wo der Staat linke Identitätspolitik für sich reklamiert, öffnen sich verschiedene Wege zu reagieren. Die Forcierung des klassischen Marxismus, das Stärkermachen sozialer Themen gegenüber kulturellen wäre der eine. Klassenbewusstsein soll wokes Bewusstsein keineswegs liquidieren, aber wieder in den Vordergrund gebracht werden. Ein anderer Weg läge im Versuch, identitätspolitische Momente in das Konzept des Klassenkampfs zu integrieren, ihm also unterzuordnen. Worin die traditionelle Frage vom Haupt- und Nebenwiderspruch aufscheint. Ein dritter Weg wäre die Entwicklung eines linken Populismus, der die gedankliche Struktur des Marxismus abbaut und auf das Empfinden einfacher Menschen zielend die an rechte Parteien verlorenen Seelen wieder abfischen soll.
Alle die drei Wege haben ihre Stärken und Schwächen. Ich will nicht verbergen, dass mir der dritte am wenigsten behagt. Er ist Ausdruck von Ungeduld, fischt nach dem schnellen Erfolg, aber sein Erfolg wäre vergiftet. Die Gefahr, sich bei der Jagd nach AfD-Wählern zu Tode zu siegen, weil man sich unmerklich krumm macht und eben den Inhalten annähert, von denen man die Verlorenen lösen wollte, kann ernstlich niemand leugnen. Das Mindeste hierbei: die Entwicklung begleitender Gegenstrategien. Was zu diskutieren wäre.
Indiskutabel hingegen ist der Verzicht auf Widerstand aus Furcht vorm Beifall von der falschen Seite. Indiskutabel der Rückzug in die Ideologiekritik. Indiskutabel die falsche Hauptfeindlogik, dernach man erst mal gemeinsam mit der bürgerlichen Mitte die Rechte bekämpfen muss, um danach gegen die Mitte zu siegen. Wie auch umgekehrt keine Option ist, sich erst mal mit der Rechten zu verbünden, um sie nach Beseitigung des Systems zu bekämpfen. Sie kann nicht danach besiegt werden, weil sie Teil dieses Systems ist und in der Krise tendenziell zur Macht kommt oder vielmehr zu ihr getragen wird.
Die Linke hatte schon bessere Tage. Verlockend daher die Idee, mittels gewiefter Bündnisschmiede, die die Stärke eines stärkeren Feindes gegen den noch stärkeren Feind nutzt, zu wachsen und stärker zu werden. Man kann allerdings nur aus einer Position der Stärke heraus nützliche Idioten rekrutieren. Ist man der schwächere Part im Bündnis, macht man sich selbst zum nützlichen Idioten, eben entweder der Rechten oder der Mitte. Die Linke siegt aus eigener Kraft, oder sie siegt nicht.
Anmerkungen
1 Eingereicht als Leittext einer Onlinepetition vom 10. Februar 2023. Die Petition hatten bei Redaktionsschluss etwa 745.000 Menschen unterschrieben, vgl. www.change.org/p/manifest-für-frieden
2 »Unsere Befürchtungen haben sich bestätigt: Wer einen Aufruf startet, der querfronttauglich ist, erntet Querfront« (Süddeutsche Zeitung vom 26.2.2023)
3 Gegenüber der Zeitschrift Tempo (1989), zit. n. Markus Liske/Manja Präkels (Hg.): Vorsicht Volk! Oder: Bewegungen im Wahn? Berlin 2015, S. 101
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Leserbrief von Reimar Pflanz aus Waldsieversdorf (17. März 2023 um 14:22 Uhr)So ist das also. Aha. Linke Kräfte stellen die Systemfrage. Da wird Herr Bartels aber große Schwierigkeiten haben überhaupt noch relevante linke Kräfte nach seiner Definition in diesem Land zu finden. Von irgendwelchen historischen Reminiszenzen in Verlautbarungen und aus Faulheit nicht gestrichenen Plattitüden in Programmen mal abgesehen, welche Kräfte stellen ernsthaft die Systemfrage? Ernsthaft bedeutet einen echten Gegenentwurf zu haben. Und den haben jetzt welche Kräfte hierzulande?
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Leserbrief von Joel K. aus Göttingen (16. März 2023 um 15:23 Uhr)Querschießen gegen andere Friedensbewegungen ist symptomatisch für den Zustand der Linken in Deutschland. Es ist nötig, sich Gedanken über die Gründe der eigenen Schwäche zu machen und nach Auswegen aus der Ohnmacht zu suchen. Viele Menschen werden verprellt, geradezu nach rechts gestoßen, wenn von ihnen verlangt wird, sich als fortschrittlich denkend und fühlend zu bekennen, nur damit sie an einer Kundgebung teilnehmen dürfen. Tun sie dies nicht, stehen sie sofort unter dem Nazi-Generalverdacht. Warum kann man nicht protestieren, ohne sich für eine politische Weltanschauung entscheiden zu müssen? Zumal die meisten Menschen davon überfordert sind, sich in die unüberschaubare Fülle linker Literatur einzuarbeiten oder den abstrakten Vorträgen linker Dogmatiker zu folgen. Wenn das die Eintrittskarte sein soll, kann die Abwendung solchermaßen überforderter Mitmenschen nicht verwundern. Außerdem gibt es einen ideologischen und moralischen Überbietungswettbewerb im linken Politikspektrum, der zu den heutigen Maximalforderungen wie Abschaffung von Männern, offenen Grenzen, Autofahrverboten für Privatpersonen (durch »Klimakleber«) oder Kontakt-Tabus (Ächtung von Menschen, die z. B. mit Querdenkern zu tun haben) geführt hat. Oft fehlt auch die Abgrenzung zu Regierungspositionen, wie in der Pandemie und jetzt beim Ukrainekrieg. Da war die AfD die einzige Opposition. Wer so hohe Hürden aufstellt, und zugleich mit den Etablierten kuschelt, bleibt für sich allein. Linke müssen einfach und verständlich reden. Sie müssen alle Fehler und Verbrechen des Systems überdeutlich anprangern. Bei ihren Aktionen müssen Interessierte ohne Gesinnungskontrolle mitmachen dürfen. Allein schon die Demo-Durchsage, Rechte seien unerwünscht, verprellt beständigkeitsliebende Menschen, die anstelle eines empörenden status quo nur den status quo ante zurückwollen, so aber nach rechts verstoßen werden.
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Leserbrief von Bernd Jacoby aus Wiesbaden (17. März 2023 um 11:51 Uhr)Das sind richtige, vernünftige, klar formulierte und einsehbare Worte und Sätze von Ihnen und sie richten sich darauf, den dringend nötigen Zugang zu Menschen zu finden, die empfinden, dass die vorherrschende Politik in die völlig falsche Richtung führen könnte und führt, ohne gleich selbst zu wissen, wohin es anders gehen sollte. Es ist eine Lehre der Jahre 1933 und 1939/41, sich dringend darum zu bemühen, wenn man links nicht erneut scheitern möchte. Leider fehlt es meiner Meinung nach auch an einem programmatischen Zugang, der die Situation gleichermaßen real erfasst und durch den Satz von Felix Bartels »«Die Linke siegt aus eigener Kraft, oder sie siegt nicht.« den Widerspruch nur in einen Satz zwingt. Aus vorhandener eigener Kraft kann die Linke nicht siegen, denn sie hat nicht viel davon, eher weniger denn je – das war ja der Ausgangspunkt seines Artikels. Mehr Kraft kann die Linke nur gewinnen, wenn sie ein greifbares Programm bietet, das die historische Situation in aller Klarheit zugrundelegt, d.h. Imperialismus und Kriegsgefahr benennt und daraus ein realistisches Programm entwickelt, das sozial und national einen Ausweg aus diesem Kurs bietet. Es steht offensichtlich nicht die Frage des Übergangs zum Sozialismus im Westen auf der Tagesordnung, sondern im Kern die Frage, ob die restlichen Staaten, die im Entwicklungszweig und Umfeld des realen Sozialismus existieren, diese Existenz entwicklungsoffen nach eigenen Maßstäben erhalten können und dem jetzigen Angriff der USA, der NATO, des Westens nicht erliegen. Die Partei Die Linke will den »Hauptfeind im eigenen Land«, der zu benennen ist, am allerliebsten ignorieren. Ihre sozialen und politischen Forderungen wirken plakativ im Rahmen der Gegebenheiten und so wenig glaubhaft wie andere beliebige Werbung. Die AfD profitiert davon, dass die misstrauisch gewordenen Bürger klare Aussagen erwarten. Eine deutsche Linke könnte das fundiert bieten, macht es aber nur durch die Stimme einzelner Vertreter.
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Leserbrief von Jürgen Schuh aus Düsseldorf (15. März 2023 um 12:44 Uhr)Dieser zweiseitige Artikel hat mir im täglichen Kampf nicht geholfen. Die Anmerkung in der Überschrift »Bündnisse helfen jetzt nicht weiter« war ein weiterer Krückstock in den politischen Nebel. Was für ihn dann am Ende als »indiskutabel« bewertet wurde, weiß jeder politische Klippschüler. »Verzicht auf Widerstand«, »Rückzug in die Ideologiekritik«, »Hauptfeindlogik« (was immer er damit meint?). Sich erst mal mit der Rechten zu verbünden (wer macht das oder hat solches vor?). Der erfolgreichen Bündnispolitik der 60/70er Jahre gegen die Raketenrüstung, gegen Notstandsgesetze usw. begegneten CDU/CSU, FDP und SPD damals mit dem demagogischen Vorwurf, die Bewegungen seien von Kommunisten unterwandert. Nun formiert sich Widerstand gegen den Krieg in der Ukraine. Aktionen gegen diesen werden diffamiert, seien von Neonazis unterwandert. Regierung und gleichgeschaltete Medien befeuern die Kampagne und treiben gezielt einen Spalt in die Friedensbewegung. Die Strategie der Gegenseite war und ist: »Teile und Herrsche!«
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Leserbrief von alazoneía tis anikanótitas aus Dämmerung (14. März 2023 um 13:14 Uhr)Den Siegeszug des Liberalismus, durchgesetzt durch kleinbürgerlich-linksliberale Elemente innerhalb der Verwaltung des bundesrepublikanischen Staates als Teilsieg der politischen Linken, solange sie die wirkliche Bewegung, die den jetzigen Zustand aufhebt, also die organisierte Kampfpartei des Proletariats zur Abschaffung der Bourgeoisherrschaft und folglich also zur Abschaffung des Liberalismus als dieser Vergesellschaftungsform angemessenem Denkkorsett, ist, zu verstehen, lässt dieser offen, sich selbst nicht wie gefordert als eigenständiges Subjekt in die Geschichte zu begeben, sondern zum Anhängsel des politischen Liberalismus zu verkommen. Marxisten ist klar, dass die Fortschrittlichkeit des Kapitalismus gerade in seiner Gleichmacherei, seiner Vernichtung alles Stehenden und Ständischen und der Erhebung des unverhüllten Schachers zum allgemeinen Prinzip liegt. Marxisten sollte allerdings auch klar sein, dass diese Fortschrittlichkeit nur im Hinblick auf ihr Ende hin, also den Sozialismus, fortschrittlich sein kann, sie aber im subjektiven Leben der Mitglieder aller Gesellschaften erst mal für komplettes, umfassendes Elend sorgt. Es sollte nicht unmöglich sein, zu erkennen, dass die sogenannten Freiheiten, die der Liberalismus in den letzten 50 Jahren über uns gebracht hat, die da wären: Ende des Nationalstaats, Ende der Vereine und Massenorganisationen, Ende der Familie etc, zwar in ihrer Tendenz »Fortschritte« bleiben, insofern sie das letzte Bisschen Stehen und Ständeln abtragen, in ihrer alltäglichen Konsequenz aber erst mal für Unappetitlichkeiten und Verheerungen (allein gelassene Kinder vorm TV, mehrfach geschiedene Teilzeitexistenzen ohne Rentenansprüche, Menschenhandel, Ghettobildung, Erhöhung der industriellen Reservearmee) sorgen, die das Bedürfnis nach einer Abschaffung derselben in jedem Vernünftigen Menschen wecken. Der Anspruch des Marxismus war es einmal, dieses Bedürfnis nach Abschaffung des Bestehenden in revolutionäres Bewusstsein zu verwandeln.
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Leserbrief von Bernd Jacoby aus Wiesbaden (14. März 2023 um 12:10 Uhr)Eine andere Betrachtung über die Querfront, die es nicht gibt: »Rotfront« ruft eine verschwindend kleine Gruppe von Menschen in Deutschland. Die das rufen, würden sicher gerne mit ihrer Vorstellung von Sozialismus siegen, viele Menschen verstehen den Ruf aber überhaupt nicht (mehr). »Querfront« schreit eine kleine Gruppe politischer Profis mit Absichten. Die wollen, dass es so bleibt, wie es ist, geben dem Begriff eine Deutung in die Richtung, dass es ein Tabu für den Rotfrontler (4–5 Prozent als Wähler von Die Linke) ist, überhaupt den Braunhemdler auch nur anzugucken, geschweige denn, anzusprechen. Der Braunhemdler ruft Parolen, die eigentlich der Rotfrontler seit jeher hätte rufen müssen und die von vielen Leuten verstanden werden und das kann ihm an die 15 Prozent bei Wahlen demnächst einbringen. Da die Roten aber lernen wollten, nur rechtmäßig und fast katholisch zu denken und das Tabu zu achten (und täglich wird an Tabus gearbeitet!), waschen sie sich mehrfach am Tag die Hände und das Gehirn und prüfen alles darauf, ob es denn recht ist: Ist Russland nationalistisch? Ist China überhaupt sozialistisch? Ist nicht jeder Hass, der sich politisch aus einer verschwommenen Empfindung ergibt, böse und verwerflich und ich darf mit dem Hassenden nichts mehr zu tun haben und er ist also denen zu überlassen, die sich nicht scheuen, ihn nutzen. Darf man die Grünen »hassen«, wo sie doch so viel Gutes erreichen wollen und sich wohlanständig benehmen und oft von Frauen vertreten sind? Darf man als Roter überhaupt siegen, wenn der Sieg nicht so erfolgen kann, wie es in den neuen Büchern steht und recht ist? Was kann ich wissen, was soll ich tun, was ist der Mensch? So fragt die Linke heute mit Kant – aber lieber nicht mit Lenin, denn der ist zu konkret bei Macht, Staat, Demokratie, Krieg, Frieden und lehrt, welche Aufgabe sich für eine Nation, einen Staat in der Frage von Demokratie und Sozialismus in einer bestimmten historisch Situation stellt. Wenn das die Roten wüssten … !
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Leserbrief von Wiebke Priehn aus Hamburg (13. März 2023 um 11:03 Uhr)Bartels stellt die richtigen Fragen, kommt aber aufgrund fehlender Differenzierungen zu den falschen Antworten. Die Integration linker Inhalte in das kapitalistische System ist nicht ein Problem für die Linke, sondern zeigt ihre Stärke. Es ist auch nicht so, dass das System dadurch »kein Stück menschlicher« geworden wäre, sondern weniger Rassismus, Antisemitismus, mehr Gleichstellung, Inklusion benachteiligter Gruppen machen die Welt durchaus menschlicher. Sie sind ein großer Erfolg jahrzehntelanger Bemühungen linker Politik und machen »den Kapitalismus« wie auch Sozial- und Umweltgesetze, etwas weniger kapitalistisch. Zwar besitzen die Kapitalbesitzer noch das formale Recht am Eigentum, aber sie können darüber nicht mehr komplett frei verfügen, sondern müssen von unten erkämpfte Regeln beachten. Es ist eine Frage von Macht und organisierter Gegenmacht von unten, auch der Arbeiterklasse. Richtig ist, dass die herrschenden Eliten natürlich versuchen, echte Veränderungen zu umgehen, indem sie nur vorgeblich linke Inhalte vertreten, aber die Aufgabe einer Linken ist dann natürlich, das offenzulegen und weiterhin Druck auszuüben. Abstrus ist es, politische Akteure, die sich nicht explizit an »die Arbeiterklasse« wenden, sondern beispielsweise an »den Menschen« oder »das Volk«, von vornherein als »rechts« abzuurteilen. Es ist völlig legitim und durchaus im Sinne des Allgemeinwohls, sich an die Masse der Bevölkerung zu wenden, auch an solche, die nicht im engeren Sinn zur Arbeiterklasse gehören oder mit dem Begriff (noch) nichts anfangen können. Der Faschismus ist auch nicht »bloß« eine Variante des Kapitalismus und auch nicht eine »Protestbewegung«. Hierzu möchte ich die online verfügbare Textsammlung »Faschismus. Entstehung und Verhinderung« von Kurt Gossweiler/Reinhard Kühnl/Reinhard Opitz empfehlen, speziell Gossweilers Text: Über Wesen und Funktion des Faschismus. https://linksunten.indymedia.org/de/system/files/data/2017/04/1866644481.pdf
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Leserbrief von Yorgui Hartmann aus Lohr (12. März 2023 um 17:53 Uhr)Kein schlechter Text, aber Aussagen wie »Als die Achtundsechziger ausgepöbelt hatten« könnte man sich echt ersparen. Ich möchte noch anmerken, dass das Ziel aller Adaptionen und Querfrontbemühungen von Rechten immer nur ein Ziel kennen, und das ist der Umsturz der Verhältnisse und die Umwertung, oder besser Entwertung, ALLER existierenden Werte, die dann mit allen zur Verfügung stehenden Gewaltformen erreicht werden sollen. Also im wesentlichen das, was Kühnen offen aussprach. Der Querfrontbegriff von Linken entweder naiv und amateurhaft verwendet oder als Kampfbegriff gegen sich selbst gerichtet ist. Das liegt auch genau an den Unterschieden beider Lager hinsichtlich Gesellschaft und Ökonomie. Linke verfolgen eine positive Utopie, Rechte verfolgen weder eine Utopie noch Positivismus, ihr Ziel ist die mit jeder Gewalt zu erreichenden Zwangseinheit mit Führerkult, dem per se die Ausnahmestellung UND die Regel innewohnt, die dann jedes faschistische Individuum bei Bedarf für sich beanspruchen darf, was in der Hierarchie konkret bedeutet: nach unten und zur Seite treten. Die vorgespielte und vorgetäuschte Variante in der Querfront ist dann das nach oben treten gegen den projizierten Feind. Ob der nun »Elite«, »Jude«, »Muslim«, »Intellektueller«, »Homosexueller«, »Feministen« oder »Sozialisten« genannt wird, ist nicht mal mehr zweitrangig. Eine Taktik, die Faschisten übrigens mit neoliberalen Begriffeverteidigern der »Mitte« gemein haben.
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Leserbrief von Reimar Pflanz aus Waldsieversdorf (17. März 2023 um 14:45 Uhr)»Linke verfolgen eine positive Utopie, Rechte verfolgen weder eine Utopie noch Positivismus«. – Die konsequente Nichtbeschäftigung mit den Inhalten von modernen rechten Ideologien führt genau zu diesem grundfalschen Dogma. Und genau dieses Dogma verhindert eine korrekte Analyse, die wiederum zu einer völligen Fehleinschätzung der eigenen Positionierung führt. Und auch die Einschätzung, alles was rechts ist, ist oder wird faschistisch, ist Symptom der Weigerung sich mit rechter Ideologie auseinanderzusetzen. In der Endkonsequenz verzwergen sich dadurch linke Kräfte, was auch immer man heutzutage darunter verstehen mag, wegen fehlender Fähigkeit der kritischen, aber sachlichen Auseinandersetzungen mit Leitbildern der Rechten bis zur Lebensunfähigkeit. Das ist der Prozess, dem wir gerade beiwohnen dürfen.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (12. März 2023 um 14:19 Uhr)Wenn ich ein Pfaffe wäre, würde ich Dürer in geänderter Form zitieren: »Was links ist, weiß nur Gott.« Ich jedenfalls weiß es nach Lektüre des Artikels nicht. Das »Manifest für Frieden« wird zu Recht kritisiert: »Es fehlen auch linke Zugriffe wie Antiimperialismus und Klassenanalyse.« Eine Klassenanalyse fehlt aber auch den linken Woken in der linken Wolke (oder sind es mehrere Wolken/Nebelschwaden?). Was könnte man heutzutage unter Antiimperialismus verstehen? Imperialismuskritik kommt inzwischen auch aus Ecken, denen man das nicht zugetraut hätte. Klassenbewusstsein: von der Klasse an sich zur Klasse für sich … Da ist die falsche Allaussage »Der Kapitalismus wurde menschlich, die Gesellschaft divers, das Bewusstsein woke« trotzdem hilfreich. Die dem nicht menschlich, sondern teilweise menschlicher gewordenen wertewestlichen Kapitalismus des globalen Nordens direkt unterworfenen Lohnabhängigen und TransferleistungsbezieherInnen sehen keine Alternative und verhalten sich entsprechend. Sonst würden sie sich in ein Paddelboot setzen und nach Libyen rudern, in Spanien Orangen ernten oder in Polen Alte pflegen. Spargelstechen wäre sogar hierzulande möglich. Gerade die Fähigkeit »des« Kapitalismus, flexibel fortschrittliche Ansätze zu enteignen und als eigene Leistung erscheinen zu lassen bzw. profitabel auszunutzen (z. B. T-Shirt mit Che-Motiv verscherbeln), müsste angesprochen und diskutiert werden. Was vor Zeiten ein linkes Anliegen war, kann heute vollumfänglich Bestandteil des Systems und Staatsräson sein (nur ein Beispiel: Frauenwahlrecht, theoretische Gleichheit von Mann und Frau). Es ist ein Hammer, in diesem Zusammenhang lesen zu müssen, »Die Linke ist ihre Alleinstellungsmerkmale los«. Das ist eine schlichte Bankrotterklärung. Oder doch nur Bestandsaufnahme? Ob »die Linke und der Marxismus … aus einem Unbehagen am Kapitalismus« hervorgegangen sind? Was hat die Linke und Marxismus gemeinsam?
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (12. März 2023 um 12:39 Uhr)Obwohl der Artikel viele richtige Aspekte enthält, interessiert mich im Augenblick weniger, wer bei Wahlen wen zu sich rüberzieht oder aus welchen Gründen gegen Waffenlieferungen in der Ukraine ist. Hauptsache es geschieht. Der Artikel blendet vollkommen die sehr hohe Wahrscheinlichkeit aus, dass wir uns demnächst alle in einem Massengrab wiederfinden, rechts neben links bzw. als Staubpartikel in der Atmosphäre vereint. Die Katastrophenuhr steht wenige Sekunden vor zwölf. Aber das erwähnt der Autor nicht. Er denkt »langfristig« und schmiedet Pläne für die Zukunft der Linken. Selbstverständlich wäre die von rechts angestrebte Querfront in der Weimarer Republik, um extrem rechts zu verhindern, weitaus besser gewesen als das, was anschließend kam. Die Linke hat davor und danach ohnehin ihre Ideale fallen lassen, die SPD spätestens 1914, ein erheblicher Teil der anderen mit dem Ende der DDR 1989 und der weiteren Entwicklung PDS – Partei Die Linke. Die »diffusen« Querfrontbemühungen der Jetztzeit sind nicht lediglich »widerstrebende Positionen von Akteuren, die um ihr politisches Überleben fürchten«. Es sind in der Friedensfrage mit Russland umgekehrt partiell die gleichen Positionen von Menschen, die um ihr Überleben fürchten. Doch den Autor interessiert offensichtlich das politische Überleben mehr als das physische. »Es ging darum, die christdemokratisch-sozialdemokratische Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik von links und rechts in die Zange zu nehmen.« Es kommt immer darauf an, wo sich zur Zeit der Extremismus wirklich befindet. Damals waren es die Ränder in Form der NPD und der Baader-Meinhof-Gruppe. Jetzt kommt er in der Ukraine-Frage aus den Parteien der sogenannten Mitte. Dort sitzen die größten Kriegshetzer. Man hängt keine Hakenkreuzfahnen mehr auf, sondern ersatzweise ein Fahnenmeer eines neonazistisch dominierten Staates. Mit diesen Neonazis bildet die gesamte westliche Welt eine Querfront. Nur die Gegenseite darf das nicht – für Frieden, alles klar.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Paul V. aus Aachen (12. März 2023 um 09:22 Uhr)Selten habe ich einen so falschen Satz gelesen wie diesen: »Es führt ein gerader Weg von Brandts Entspannungspolitik über Fischers menschenrechtlich begründeten Interventionismus zu Merkels Sozialdemokratisierung der Union und Baerbocks wertebasierter bzw. feministischer Außenpolitik.« Sein Widersinn trifft den Beitrag im Kern. Von einer außenpolitischen Konstellation der beiden Machtblöcke ist nirgends die Rede, ebensowenig wie von den in der BRD handelnden Parteien und den politischen Bewegungen beispielsweise vom Krefelder Appell. Viele scholastisch anmutenden Definitionen von Querfront verwirren mehr, als dass sie aufklären. Willy Brandt war wahrlich kein Linker, ein bourgeoiser Kalter Krieger, aber im Gegensatz dazu hat er mit Egon Bahr erkannt, dass die Politik der friedlichen Koexistenz die reale Gefahr eines Atomkriegs bannen könnte. Und das hat mehrere Jahrzehnte geklappt! Diese Politik der friedlichen Koexistenz ist von Fischer, weniger von Merkel, besonders aber durch Baerbock in Trümmer zerlegt worden: eine klassische Zeitenwende, wie Scholz formuliert, anders als er denkt, in der die Handelnden in seiner Regierung va banque spielen und darauf setzen, dass es nicht zum Äußersten kommt. Was wäre das? 20 oder 30 konventionell bestückte Raketen auf unser Land. Damit wäre die industrielle Basis zerstört. Und glauben denn die Wertebasierten, die USA würden nuklear gegen Russland zurückschlagen? Einen Teufel werden sie tun und ihr Land opfern! Die Bündnisfrage für Menschen, die sich links wähnen, hat einen marxistischen Hintergrund: Bist du für die Abschaffung des Kapitalismus? Und da fragt sich, welche Partei hier und heute für diesen Weg ist. Da fällt mir nur die DKP ein. Die Partei Die Linke – leider – bestimmt nicht.
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Leserbrief von Joachim Seider aus Berlin (11. März 2023 um 18:37 Uhr)Es würde sich lohnen, die Thesen von Felix Bartels zum Ausgangspunkt einer längeren Diskussion zu machen. Zum Beispiel könnte es falsch sein zu denken, man könne in einem Bündnis »nur aus einer Position der Stärke heraus nützliche Idioten rekrutieren«, um die Welt zu verändern. Es ist natürlich ein echtes Problem, dass man sich in Bündnissen verirren kann. Aber ist es deshalb auch gerechtfertigt, auf die Möglichkeit zu verzichten, in Bündnissen für die eigenen Positionen zu werben? Wo sonst soll das stattfinden als dort, wo man sich mindestens schon in einer Frage einig ist? Natürlich muss man dazu einen eigenen, festen Standpunkt mitbringen. Dass man in Bündnissen auch untergehen kann, ist doch keinesfalls der Beweis dafür, dass »Bündnisse jetzt nicht weiterhelfen«. Sondern es ist im Gegensatz dazu die direkte Aufforderung, die eigenen Positionen zu festigen und unangreifbar zu machen. Dazu muss zumindest die Faselei aufhören, der heute wichtigste Gegensatz bestehe zwischen »links« und »rechts«. Wer seine eigenen Positionen nicht besser beschreiben kann als mit Begriffen aus der Straßenverkehrsordnung, darf sich nicht wundern, wenn die meisten Menschen nicht verstehen können, was und wohin er eigentlich will. Geistige Klarheit über die Hauptziele des Kampfes ist dabei genauso unverzichtbar wie eine straffe Organisation. Das, was wir heute als Linke bezeichnen, ist zweifellos in sich so heterogen und zerstritten, dass es diese Aufgabe nicht erfüllen kann. Die, die Veränderung nicht nur wollen, sondern auch durchsetzen können, müssen erst wieder lernen, sich geistig und organisatorisch zu einigen. Vielleicht ist es dazu wirklich erforderlich, alles zurück auf Anfang zu setzen und beim Kommunistischen Manifest nachzuschlagen, wo der Hauptwiderspruch der Epoche liegt und wie man mit ihm umgehen sollte. Um sich nicht weiter zu verzetteln und zu glauben, man müsse das Rad ständig neu erfinden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Josie M. aus 38448 Wolfsburg (11. März 2023 um 12:01 Uhr)Ja, danke, Felix Bartels, für diese bedenkenswerte Analyse. - Es fehlt mir jedoch die Erwähnung der psychologischen Komponente, deren Vernachlässigung mir übrigens sowohl in der Argumentation der Verteidiger dieses kapitalistischen Ausbeutersystems fehlt wie in der Argumentation der Marxisten sowie auch in der des Manifests von Schwarzer/Wagenknecht, obwohl ich zu deren bisher 730.000 UnterzeichnerInnen gehöre. Während die Systemträger im 20. Jahrhundert gelernt haben, mittels Anwendung der Kenntnisse über die menschliche Psyche eine raffinierte »Public-Relation«-, »PR«-Methode zur Manipulation der Massen zu entwickeln, die eben die Interessen und die mögliche Reaktion der Individuen einbezieht, diese aber wohlweislich verschweigt, scheinen die Vertreter des klassischen Marxismus psychische Wechselwirkungen für nicht berücksichtigenswert zu halten. - Übrigens war das bei den ’68ern anders. Und der Autor beweist im folgenden, dass ihm diese Kenntnis fehlt: »… Als die Achtundsechziger ausgepöbelt hatten, begaben sie sich in den von Rudi Dutschke skizzierten Marsch durch die Institutionen. Die kollektive Ermächtigung gegen das System sollte ersetzt werden durch individuelles Handeln im System. Es ist unter Linken oft darüber geredet worden, dass dieses Handeln im System eher den Handelnden als das System verändert habe. …« Dagegen sorgte doch die »PR«, maßgeblich die »Springer-Presse«, bspw. für die Entstehung eines Feindbildes gegenüber den ’68ern bei Arbeitern bzw. »Kleinbürgertum«, für deren Vereinzelung, während die Studenten das Privileg hatten, sich bspw. nicht nur mit Schriften von Marx und Engels zu befassen, sondern auch mit denen von Adorno, Marcuse, Horkheimer, Mitscherlich, Fromm, Buber et al. Nicht zufällig bewirkten sie u. a. eine gründliche Reform in der Psychiatrie. Zum Verständnis der aktuellen wie historischen Wechselwirkungen: Joachim Bauer, »Schmerzgrenze«, und Chomsky/Waterstone, »Konsequenzen des Kapitalismus«.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Lenard S. aus München (11. März 2023 um 09:13 Uhr)Der Artikel hat gut begonnen, aber dann wurde er in meinen Augen etwas widersprüchlich. Ging es doch darum »echte« und »falsche« Querfrontbildungen zu unterscheiden, wie dies akkurat beim »Manifest für Frieden« geschehen ist, so wurden genau daraufhin wieder Vorwürfe gegen verschiedene Medien und Personen aufgestellt. Da wurde wieder einiges auf einmal aufgelistet, was zu analysieren den Rahmen eines Leserbriefes sprengen würde. Nur soviel: Die Nachdenkseiten oder Dieter Dehm sollen offen für Bündnisse mit Rechten sein? Wohl kaum. Man muss nicht mit allem, was dort publiziert wird, einverstanden sein, aber das braucht es auch nicht. Man zeige mir einen Artikel, wo beispielsweise die AfD gepriesen würde … Ich für meinen Teil konnte dergleichen nicht finden. Ein Medium sollte immer Raum für Diskurse und Austausch geben. Zur Person Dieter Dehm: Er hat immer wieder verdeutlicht, dass er ein durch und durch Linker ist. So unterstützt Dehm beispielsweise kategorisch die linken und kommunistischen Parteien in Russland im Gegensatz zu »Putins« Partei »Einiges Russland«. Da empfinde ich andere Linkenpolitiker/innen wie Janine Wissler oder Gregor Gysi als wesentlich weniger links als beispielsweise Dieter Dehm.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Yusuf K. aus Marburg (10. März 2023 um 21:14 Uhr)»Niemand wird mich als Rechtsextremismusforscher irgendwelcher Sympathien für Tino Chrupalla verdächtigen, und ich sehe, anders als in der Weimarer Republik, heute auch keine ernsthafte Gefahr, dass es zu einer ›Querfront‹ zwischen Linken und Rechten kommt«. – Christoph Butterwegge in seiner Antwort auf die ARD »Fakt«-Redaktion bei emma.de unter dem Artikel »So manipulieren die Medien!« Es ist wie Bertolt Brecht sagt: »Einen Teil unserer Wörter hat der Feind verdreht bis zur Unkenntlichkeit.« Der Autor hat mit der »Querfrontstrategie der Linken« und seiner dazugehörigen Aufzählung vom Westend-Verlag, Nachdenkseiten und Diether D. gezeigt, dass er »Querfront« trotz der geschichtlichen Aufarbeitung nicht adäquat verstanden hat. Schade. Die enorme Integrationskraft des Kapitalismus (und der dazugehörige Opportunismus von links) gilt für die zu Recht kritisierte »linke Symbolpolitik«, deren sozialer Träger die Intelligenz als Klassenfraktion ist (akademische Schicht in der spezialisierten Dienstleistungsbranche, Wissenschaft, Kunst, Kultur und öffentlicher Verwaltung: Kopfarbeit – in Großstädten tätig). Unter Berücksichtigung des neoliberalen Dogmas der Alternativlosigkeit gepaart mit der tief verwurzelten Sozialpartnerschaftsmaxime braucht es enorme Anstrengungen überhaupt oppositionell zu sein. Im Gegensatz zum Autor war bei der Berliner Friedensdemonstration Marxismus und Klassenkampf konkret. »Angesichts dieses ist nicht die Entstehung der opportunistischen Strömung, sondern vielmehr ihre Schwäche überraschend. (…) Nun (…) muss jedermann verwundert ausrufen: Wie, das ist alles, was Ihr zu sagen habt? Kein einziger Splitter von einem neuen Gedanken! Kein einziger Gedanke, der nicht schon vor Jahrzehnten von dem Marxismus niedergetreten, zerstampft, ausgelacht, in nichts verwandelt worden wäre! Es genügte, dass der Opportunismus sprach, um zu zeigen, dass er nichts zu sagen hatte« Rosa Luxemburg im Vorwort von Sozialreform oder Revolution?, Berlin 1899.