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Aus: Ausgabe vom 09.03.2023, Seite 2 / Ausland
Antifaschismus

»Faschistische Elemente sind Teil des Diskurses«

Ungarn: »Tag der Ehre« zeigt, dass extreme Rechte weit in die bürgerliche Mitte hineinwirkt. Ein Gespräch mit Frank O.
Interview: Lou Brenner
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Antifaschistischer Protest gegen den Naziaufmarsch (Budapest, 11.2.2023)

Anlässlich des revanchistischen »Tages der Ehre«, der der Verherrlichung der deutschen Nazis und ihrer ungarischen Kollaborateure anlässlich des Jahrestages der Schlacht von Budapest 1945 dient, sind am Wochenende um den 11. Februar Tausende Faschisten in und um Budapest aufmarschiert. Anschließend wurden vier Antifaschisten verhaftet. Was wird ihnen vorgeworfen?

Laut der Pressekonferenz der Polizei hat eine Gruppe von etwa fünfzehn Personen Jagd auf Rechte gemacht und acht von ihnen angegriffen. Vier Personen wurden daraufhin verhaftet. Eine Deutsche und eine Ungarin wurden zwar wieder freigelassen, stehen aber weiter unter Verdacht. Ein Deutscher und eine Italienerin befinden sich noch in Haft. Die Anklage lautet auf »Gewalt gegen Mitglieder der Gemeinschaft«. Dieser besonders schwere Straftatbestand wurde ursprünglich zum Schutz von Minderheiten geschaffen, wird aber immer häufiger genau gegen diese eingesetzt. In einem Fall wurde beispielsweise gegen einheimische Roma ermittelt, die gegen einen faschistischen Aufmarsch in ihrem Dorf protestierten.

Was waren Ihre Beweggründe, Proteste gegen den »Tag der Ehre« zu organisieren?

Die internationalen Nazidemonstrationen finden seit 1997 jedes Jahr im Februar in und um Budapest statt. Die Polizei verbietet die Veranstaltung zwar meist, doch die Gerichte haben sie in aller Regel wieder genehmigt. Es kommen von einigen hundert bis zu 2.000 Faschisten aus verschiedenen Ländern. Lange Zeit wurde der Aufmarsch von »Blood and Honour« organisiert, doch seit einigen Jahren ist der Hauptorganisator die rechtsextreme Organisation »Ungarische Legion«.

Es ist ein unerträgliches Gefühl, dass Nazis in Budapest ungestört marschieren können. Deshalb organisieren wir Gegenproteste, an denen jährlich etwa 50 bis 500 Personen teilnahmen. In diesem Jahr wurde der Aufmarsch von den Behörden verboten. Doch die Faschisten versammelten sich an einem erst am Morgen bekanntgegebenen Treffpunkt und marschierten von dort in den Wald am Stadtrand.

Wie erfolgreich waren die Gegenproteste in diesem Jahr?

Es nahmen etwa 250 Personen an der Gegendemonstration teil, und die Nazis konnten nicht wie geplant im Burgpalast aufmarschieren. Der andere Teil der Veranstaltung, der als Waldwanderung getarnte Gedenkmarsch, konnte mit rund 3.500 Teilnehmern aber stattfinden.

Wie stark ist die radikale Rechte in Ungarn, und wie weit wirkt sie in die Orban wählende bürgerliche Rechte hinein?

Es gibt nicht mehr als ein- oder zweitausend organisierte und vernetzte Nazis in Ungarn. Doch neben ihnen gibt es Hunderttausende Sympathisanten. Im Jahr 2022 haben über 300.000 Menschen für die ultrarechte Partei Mi Hazank gestimmt. Orbans Ziel ist es daher, auch faschistische Wähler dazu zu bringen, für ihn zu stimmen. Die Propaganda der Regierung hat einen eindeutig faschistischen Charakter: Sie ist fremdenfeindlich, rassistisch, homophob, nationalistisch, chauvinistisch und antisemitisch. Die Regierung kontrolliert und beherrscht 90 Prozent der gedruckten Presse und der Anzeigen auf den Straßen. Auch Fernsehen und Radio sind voller Regierungspropaganda. Faschistische Elemente sind seit langem Teil des öffentlichen Diskurses geworden. Der durchschnittliche Fidesz-Wähler ist offen für Faschismus.

Warum gibt es aus Ihrer Sicht eine solche Offenheit für faschistisches Gedankengut?

Im Zusammenhang mit dem »Tag der Ehre« wurde eine regelrechte Hetzkampagne gestartet. Im Leitartikel der größten Regierungszeitung hieß es, es sei »eine moralische Pflicht, sich dem Antifaschismus entgegenzustellen«. Mehrere Onlineportale verbreiten Listen von Antifaschisten mit Namen und Fotos. In Osteuropa, an der kapitalistischen Semiperipherie, war die liberale Demokratie immer nur eine vorübergehende Erscheinung. In Ungarn konnten die regierenden Parteien in den letzten 150 Jahren nur in seltenen Fällen demokratisch abgelöst werden. Die Diktatur Orbans ist das natürliche Merkmal dieses semiperipheren Kapitalismus. Die autoritären Regime des 21. Jahrhunderts kehren zu einer hundert Jahre alten Ära zurück und bedienen sich des faschistischen Krisenmanagements. Der ideologische Teil dieser Faschisierung ist die Verherrlichung der Nazis und ihrer Kollaborateure sowie die Leugnung ihrer Verbrechen.

Frank O. (Name in der Redaktion bekannt) ist einer der ungarischen Aktivisten, die die Gegenproteste zum »Tag der Ehre« in Budapest organisiert haben.

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