Auf dem Weg in die NATO
Von Dieter Reinisch
Die Republik Irland ist das letzte nördliche EU-Mitglied, das noch neutral ist. Zumindest formell. Und auch hier sägt die konservativ-»grüne« Regierung an der Neutralität. Wessen Interessen immer das dient: denen der Bevölkerung nicht. In sämtlichen Umfragen nämlich ist das Ergebnis dasselbe: Eine klare Mehrheit der Bevölkerung, zum Teil mehr als 60 Prozent, will an der Neutralität festhalten – nur rund ein Drittel hält einen NATO-Beitritt für erwägenswert.
Nach mehreren Versuchen, eine Umfrage mit passendem Ergebnis zu bekommen, gaben die Medien auf – seit einem halben Jahr etwa wurde keine repräsentative Umfrage mehr zum Thema erhoben. In der zuletzt veröffentlichten von Irish Times/IPSOS hatten sich 55 Prozent gegen und nur 35 Prozent für militärische Hilfe für die Ukraine ausgesprochen.
Auch die konservativen Regierungsparteien Fianna Fáil (FF) und Fine Gael (FG) haben die Botschaft vernommen. Die Koalition aus linken Parteien, angeführt von Sinn Féin (SF), will zumindest an der militärischen Neutralität des Landes festhalten. In der aktuellen Lucid-Talk-Umfrage vom 3. März liegt SF mit 29 Prozent nach wie vor klar in Führung. Die Regierungsparteien FF, FG und Grüne abgeschlagen dahinter mit 21 Prozent bzw. 19 Prozent, die Grünen erreichen gar nur vier Prozent.
Um die Gunst der Wähler nicht noch mehr zu verlieren, verfolgt die Regierung jetzt eine neue Strategie: Anstatt den NATO-Beitritt zu forcieren, will sie sich stärker in den EU-Battlegroups engagieren. Um das Militärbudget damit nicht zu belasten, sollen Soldaten aus der UN-Mission auf den Golanhöhen abgezogen werden. Der Bevölkerung will man suggerieren, eine Beteiligung an EU-Einsätzen widerspreche nicht der Neutralität. Derzeit dienen 130 irische Soldaten im Südwesten Syriens bei der UN Disengagement Observer Force (UNDOF), die seit 1973 für die Aufrechterhaltung eines Waffenstillstands zwischen Israel und Syrien auf den von Israel besetzten Golanhöhen verantwortlich ist.
Nun will Dublin eine mechanisierte Infanteriekompanie mit 174 Soldaten in die EU-Battlegroups entsenden, die als schnelle Eingreiftruppe im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU fungieren sollen. Sie sollen ausschließlich außerhalb der EU im Einsatz sein, berichtete die Irish Times im Februar. Die Einsatzkräfte werden Teil der 2.000 Mann starken, von Deutschland geführten Battlegroup sein, die nächstes Jahr mit dem Training beginnen und bis 2025 in Bereitschaft bleiben soll.
Die irischen Streitkräfte leiden unter Personalmangel und sind mit 8.000 Soldaten auf ihrem historisch niedrigsten Level. Laut Informationen der Irish Times soll daher die UNDOF-Beteiligung beendet werden: »Nach der jüngsten Entscheidung der Regierung, sich an der EU-Battlegroup 2024/25 zu beteiligen, sind die Verteidigungskräfte mit einer weiteren Bewertung der aktuellen Auslandseinsätze beschäftigt«, sagte eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Irische Soldaten nahmen erstmals 1998/99 an der UNDOF-Mission teil und sind dort seit 2013 abermals stationiert.
Die EU-Battlegroups wurden 2007 ins Leben gerufen. Irland hat bereits zum sechsten Mal Truppen entsendet, allerdings nie operativ an Einsätzen teilgenommen. Das soll sich ab 2024 ändern, wenn das Land in das neue System Rapid Deployment Capacity integriert wird. Der linke Parlamentsabgeordnete Paul Murphy (People Before Profit) kritisierte die geplante Partizipation. Er bezeichnete die Entscheidung als »eklatanten Schritt, die militärische Neutralität erneut zu untergraben«.
Auch in anderen Bereichen stellt die Regierung zunehmend die Neutralität des Landes in Frage: Am 21. Februar beschloss sie, mit 30 Soldaten an der neu eingerichteten Militärhilfemission der EU zur Unterstützung der Ukraine (EUMAM Ukraine) teilzunehmen. Regierungschef und Verteidigungsminister Micheál Martin (FF) betonte nach dem Beschluss, Irland werde dem ukrainischen Militär »wichtige Ausbildungsunterstützung leisten«. Ob ukrainische Soldaten auch direkt auf der irischen Insel ausgebildet werden sollen, ist noch nicht entschieden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Lenard S. aus München ( 7. März 2023 um 16:10 Uhr)Das rebellische Irland, das einst das imperialistische Großbritannien zurückdrängte … jetzt im Dienste von Jens Stoltenberg? Hat Selenskij im grünen Schwitzehemdchen eine derartige Magnetkraft? Wohl kaum. Auch in der Republik Irland scheint eine Regierung im Amt, die fremde Interessen statt die des Volkes vertritt. In Schweden und Finnland wurde auch niemand danach gefragt, ob er oder sie überhaupt damit einverstanden ist, dem Nordatlantik-Militärpakt beizutreten. Langsam glaube ich, dass das »Grün« der grünen Parteien für Tarnanzüge und Panzer steht.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin ( 7. März 2023 um 10:27 Uhr)Mir ist unklar, aus welchem Grunde nicht alle Irinnen und Iren verstanden haben, was beinahe allen Finninnen und Schwedinnen und Schweden und Finnen jahrzehntelang nicht klar war, aber jetzt für immer gelten soll: NATO-Pakt = Frieden. Wo klemmts? Mangel an Stoltenberg im Frühstücksfernsehen? Meine allergrößte Freude: Er ist wohl ein ausgemachter Sozialdemokrat. In diesem Sinne wird die Kriegstreiberei eine Herzensangelegenheit für alle. In den westlichen Wertedemokratien wird auch heute leider bisher unterschätzt, dass zuerst der bisherige animalische Russe samt Weib zum Frieden nicht kann. Der Beweis: Selenski, wo Hass gegen den Osten mit Geld für immer am Laufen hält. Mit ein hoppla mehr Power marschieren diese Gestalten bis nach Hongkong durch? So besorgt sind Brzezinski und Heinz Kissinger seit Jahrzehnten. An den möglichen Leistungen der NATO-Pakt-Truppen besteht kein Zweifel. Wenn man die Latte nicht zu hoch hängt, dann kann die US-Army sogar in Guatemala grundlos rummorden. Eine Frage: Warum hat die Regierung der USA diese vielen Kriege gewollt? Gleich zwei Mal Massenmorde im Irak und drumherum? Oder stimmts, dass es keine Erklärung für Frieden oder Krieg braucht? Die war doch niemals vonnöten.
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