Das muss kesseln
Von Jürgen Roth
Bis vergangenen Mittwoch war unbestreitbar, dass Sascha Lobo der dümmste Schmock dieses mit Pfeifen und narzisstischen Nullen, die man an Tastaturen lässt, ohnehin gesegneten Landes ist. Da hatte er mal wieder aus seinem höhlenkalten Inneren herausgewürgt und in seine Kolumne auf der reichsinnenministeriell gehätschelten Plattform Spiegel online erbrochen, jeder, der wünscht, die Totmacherei möge ein Ende finden, sei ein – Karl Kraus, steh uns bei! – »Friedensschwurbler«, ein »Vulgärpazifist«, ein »Rechts- oder Linksnationalist«, ein »Russland-Romantiker« (wär’ er umgekehrt ein Ukraine-Utilitarist?), ein – hach, die Originalität kennt keine Grenzen! – »Verschwörungstheoretiker«, ein »Illiberaler«, der den Kommandos aus dem Pressezentralquartier nicht gehorcht, »selbstbesoffen« und »egoistisch« (weil er ungern eine Atombombe auf den Kopf kriegt?) und »schlicht realitätsavers«. »Realität« ist selbstverständlich, was Lobo/Spiegel/FAZ/SZ/Taz et cetera dazu erkiesen, und das Adjektiv »avers« gibt es in Lobos Schotterschädel, in der deutschen Sprache existiert lediglich »der Avers«, die Vorderseite einer Münze. Oder spielte The Big Lobowski in seiner pleonastisch aufgeplusterten egoistischen Selbstbesoffenheit auf das nette Brettspiel Realitätsreversi an? Mithin auf irgendwas mit »abgewandt«, »umgedreht«? Oder am End’ doch auf die »Aversion«, der er mit dem Schwert des Kreuzritters das faschistische Suffix »-ion« abgeschlagen hatte? Die berühmte »Endverbleibskontrolle« (Habeck) beziehungsweise Dokumentationsabteilung des Spiegel möge uns erleuchten.
Am folgenden Tag allerdings, am mittwochaversen Donnerstag also, bat in der höllischsten Fernsehsendung seit Nimrod, im ZDF-»Morgenmagazin«, Moderator Andreas Wunn für die knapp sechsminütige »Presseschau« die Journalistin Ursula Weidenfeld auf die von Friedensschwurblern, Vulgärpazifisten, Rechts- oder Linksnationalisten und Rußland-Romantikern egoistisch und selbstbesoffen gebührlich mitfinanzierte Studiocouch.
Ursula Weidenfeld soll »eine deutsche Wirtschaftsjournalistin« (Wikipedia) sein, »schreibt für den Tagesspiegel und hat eine Kolumne im Spiegel« (Wunn) sowie auf T-online, der elektronischen Prawda des Kanzleramtes, verantwortet das gewiss Edward Gibbon volles Rohr Ehre machende Buch »Die Kanzlerin – Porträt einer Epoche« (Rowohlt) und trägt an diesem verfluchten 23. Februar vor allem ein hochgeschmacksaverses rosenfarbiges Sakko, eine El-Stracko-Frontkurzundstrammfrisur und blankgewichste schwarze, skinmäßige Bomber-Boots.
Wunn, der exakt so dicht ist wie das große öffentlich-rechtliche Nachrichtensieb, hebt an – und wir möchten das bescheiden à la manière de »Die letzten Tage der Menschheit« dokumentieren –: »In der FAZ heute eine große Seite drei, ein Porträt über den ukrainischen Präsidenten«, und weil die Seite drei in der FAZ heute größer ist als alle Seiten drei jemals zuvor, liest er Überschrift und Sublines vor: »Er ist da – Wolodimir Selenskij ist in den vergangenen zwölf Monaten zum unumstrittenen Anführer der Ukraine geworden. Die Verwandlung eines vielkritisierten Präsidenten zum Symbol eines großen Freiheitskampfs.«
Verwandelt man sich nicht »in ein« statt »zu einem Symbol«? Und: Hä es (widder) do? Dä Prinz, dä Poldi? Der Erretter und Anführer des Allerersten FC Kölle? Oder: »Er ist wieder da« (Timur Vermes)? Dieser »Hüttler« (Eckhard Henscheid) respektive obersalzbergische Hüttenkäse? Das stahlharte Quarkgesicht eines großen Kampfes des freien Westens gegen den lausigen Bolscho? Merken diese Lumpenjournalisten gar nichts mehr? Oder ist’s Absicht gar?
Ursula »T-offline« Weidenfeld, die mit dem inneren Leo (oder Lobo) über die Grammatik kesselt, klärt uns auf: »Es is’ ’n tolles Stück, auch ’n wirklich total überzeugend (sic!), wie eben aus einem Komiker, einem Schauspieler ein Staatsmann wird und dann eben auch gleichzeitig das Symbol für ein Land, das ja vorher innenpolitisch total zerstritten war« – und heute keine linken Parteien mehr kennt, weil die verboten sind. Hüttler war notabene ebenfalls ein total guter Schauspieler, der sich seine Posen zwar nicht vom Fernsehen, aber in der Wiener Burg abgeschaut hat.
Wir notieren: vorerst einmal »toll«, zweimal »total«, einmal »wirklich«, zweimal »eben«.
Hechelnd marschiert Ursula Weidenfeld weiter, über die unbeugbaren Wörter, die Partikeln, stolpernd und auf sie plumpsend, kurz davor, zu greinen und zu japsen, vor Freude angesichts eines Freiheitskämpfers, der dem ukrainischen Volke zumal dadurch beisteht, dass er kurzerhand eine Luxusvilla in Südeuropa erwirbt und sein Gspusi auf eine Shoppingtour nach Paris schickt.
Ach was. Ursula Weidenfeld ist praktisch total im tollen Bilde: »Es wird eben sehr schön beschrieben, wie Wolodimir Selenskij derjenige ist, der praktisch personalisiert und personifiziert für den Mut der Ukraine steht, für den, für auch dieses jetzt erwachende oder jetzt ganz manifeste Nationalbewusstsein, wie der Patriotismus eben im Grunde in dieser Person eben dann auch für die Ukraine steht. Das is’ total überzeugend.«
Uns überzeugen an dieser Passage: dreimal »eben«, einmal »praktisch«, einmal »ganz«, dreimal was mit »Person/person-« und einmal eben praktisch ganz und weidenfeldlich »total«; nicht zu vergessen das in Deutschland stark geliebte »Nationalbewusstsein« und der linksnationalistische »Patriotismus«, der in den nächsten Parteiprogrammen der Grünen und der SPD hoffentlich wieder auftauchen wird.
Einsatz Andy Wunn: »Auch in der Bildunterschrift in der FAZ steht auch (sic!), seit Kriegsbeginn hat er nicht mehr Anzug und Krawatte getragen.« Weidenfeld, strahlend wie eine Vierjährige vor dem Gabentisch: »Ja, oder eben Biden, der Präsident, der US-Präsident, der eben wirklich so total, total pathetisch sagt, sein Mut, sein Mut sei in Stahl und Feuer gestählt! Also schon eben wirklich so ’ne totale Überhöhung zu einem nationalen Denkmal!«
Hier sind wir endgültig überzeugt und strecken die Waffen: zweimal »eben«, zweimal »wirklich« und dreimal »total«. Dreimal. Hurra! Stahlhelm uff de Kopp, Feuer frei!
Wunn dreht indes weiter am Beglückungsrad und rückt zu einem, Surprise!, Kommentar in der lieblichen Zeit vor: »Seine dunkle Vision – Wladimir Putin zielt nicht bloß auf die Ukraine – er will immer noch eine andere Welt erzwingen.«
Das wollen Konzerne aus Kalifornien gleichfalls? Und die NATO und das Pentagon? Papperlapapp. Ursula Weidenfeld komponiert vor sich hin lemurend und stalinorgelnd die Koda, und vor der kapitulieren wir wie einst Generaloberst Paulus an der Wolga (in dem Raum, in dem er die Urkunde unterzeichnete, waren wir Russland-Romantiker mal): »Total interessant, die, also, die, die Überlegung, dass Putin eben nicht nur eine ehe-, einen abtrünnigen Vasallen zurückzwingen will, sondern dass er seinen Einfluss in Europa, auch in Westeuropa wieder (wieder! J. R.) sehr stark sehen will, dass er die USA rausdrängen will aus Europa und dass ihm dazu eigentlich alles recht ist und, äh, dass er eben dafür auch Deutschland in vielen anderen Aspekten eben angreift, also wenn man sieht, äh, den Öl- und Gaskrieg, ähm, Cyberangriffe, also, also man sieht eben schon, dass die Ambitionen sehr viel weitergehen als nur in die Ukraine.«
Lobo ist wirklich schon spitze. Aber Ursula Weidenfeld? Eben. Geh mir fott! Den deutschen Journalismus innert weniger Minuten sprachlich und geistig an sein totalstes realitätsaverses Ende geführt und erwürgt zu haben – wir verbuchen das als vaterländischen Verdienst.
Danke schön.
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Leserbrief von Hans Wiepert aus Berlin ( 6. März 2023 um 15:36 Uhr)Leuten mit jener militaristischen Triebtätermentalität wie Lobo oder Weidenfeld sollte man am besten dadurch begegnen, indem man sich die gedachten Beleidigungen positiv aneignet – indem man etwa sagt: »Ich bin gerne ein Friedensschwurbler.« Oder: »Mein Freund ist Lumpenpazifist.« Oder: »Vulgärpazifisten haben mehr Spaß am Leben« (als etwa verkniffene Irokesenfriesenträger).
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Leserbrief von Wolfgang Riechel aus Wuppertal ( 6. März 2023 um 14:23 Uhr)Vollkommen unterzugehen scheint mir der »Wahrheitsfaktor der Lyrik«. Daher ist ein Lob fürs junge Welt-Feuilleton fällig. Da Jürgen Roth auch neben seinen herrlichen »Gezwitscher-Sprach-Beispielen« (…) den in manchen Augen ach so profanen Fußballsport nicht auslässt, war ich begeistert, mal wieder was von »Manni« Breuckmann zu lesen. Dieser hat sich während des NATO-Kriegs in Jugoslawien wohltuend von seinen WDR-Kollegen abgesetzt, indem er statt übler Bezeichnungen im Mittagsmagazin von WDR 2 vom »Präsident Milosevic« sprach. (…) So bleibt mir nur, lieber Jürgen Roth, aufs Team zu verweisen: wie in seligen »Vor-AG-Zeiten« des BVBs, als »Schütz-Konietzka« oder »Held-Emmerich« (…) die Früchte durch Spielwitz einfuhren, deckst Du heute in der jungen Welt den »Sprachterror« des Mainstreams auf, und zauberst nachdenkliche »Lachträume« in die Leserschaft. Weiter so!
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Joachim S. aus Berlin (28. Februar 2023 um 16:20 Uhr)Artikel wie dieser sind außerordentlich wichtig in einer Zeit, in der man Augen und Ohren verschließen möchte, weil der angebliche »Qualitätsjournalismus« fast nur noch ungehobelt und sinnfrei in der Gegend herumrülpst. Wie beleidigt hat man sich noch vor Kurzem über das Wort »Lügenpresse« erregt. Nur um heute nachzuweisen, wie perfekt man genau dieses Handwerk inzwischen beherrscht. Tretet ihnen auf die Füße und sonst wohin! Sie haben es verdient.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Torsten Andreas S. aus Berlin (28. Februar 2023 um 03:23 Uhr)Herr Roth! Ihnen ist klar, dass wir Ihretwegen unsre Tageszeitung nicht an die Kinder weitergeben, ehe sie, sagen wir, 42 Jahre alt sind? Wo können wir Ihr Buch kaufen? Sie haben aber nix gegen diesen Senelski, oder? Der soll ja mal Präsident der Ukraine gewesen sein. Doch dann desertierten wohl immer mehr seiner stolzen Kämpfer, die seinen Siegesvisionen nix mehr abgewinnen konnten. Das hatten Sie vorausgesehn? Wunderschön!
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Leserbrief von Thomas Schweighäuser (27. Februar 2023 um 20:57 Uhr)Kriegszeiten sind die schönsten für den Journalismus. Die Leute wollen wissen, was so los ist, und wenn bild.de Videos veröffentlicht, in denen die Zerstörung russischer Panzer gezeigt wird, bekommt man das wohlige Gefühl, auch dabei zu sein. Dass die qualitativen Ansprüche nicht allzu hoch sein müssen, erleichtert das Geschäft zusätzlich. Bumsti!
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