Widerstand und Weideland
Von Gabriel Kuhn, Stockholm
In der Nacht zum Montag sind 13 Mitglieder samischer Jugendorganisationen und der norwegischen Umweltgruppe »Natur og Ungdom« (Natur und Jugend) von der Polizei aus dem Erdöl- und Energieministerium in der norwegischen Hauptstadt Oslo entfernt worden. Sie hatten den Eingangsbereich seit Donnerstag besetzt gehalten. Mit der Aktion wollten sie unter anderem gegen zwei auf der Halbinsel Fosen errichtete Windparks protestieren. Am Donnerstag war es 500 Tage her, dass der Oberste Gerichtshof Norwegens die Anlage für gesetzeswidrig erklärte.
Dem Urteil zufolge verstoßen die Windparks gegen international verbürgte Rechte der Sámi als indigene Bevölkerung. Passiert ist seit dem Urteil jedoch nichts, die Anlagen sind weiterhin in Betrieb. Die Besetzung sollte den Forderungen der samischen Rentierhalter auf Fosen nach einem Abbau der Anlagen Nachdruck verleihen. Für diese Woche sind weitere Aktionen im Osloer Regierungsviertel angekündigt.
Mit Ella Marie Hætta Isaksen befand sich eine bekannte samische Popsängerin in den Reihen der Besetzer. Sie veröffentlichte Aufnahmen von der Räumung des Gebäudes auf der Onlineplattform Instagram und kommentierte die Geschehnisse wie folgt: »Dass wir mitten in der Nacht geweckt werden, das hatte ich nicht gedacht. Alles ging so schnell. Das ist ein großer Schock und ein Übergriff des langen Arms des Gesetzes in Form der Polizei.« Die Besetzer wurden auf eine Osloer Polizeiwache gebracht.
Noch am Sonntag abend hatte jW eine Teilnehmerin der Gebäudebesetzung erreicht, die Vorsitzende des Samischen Jugendverbands in Norwegen, Elle Nystad. Sie sprach von guter Stimmung und dem baldigen Besuch von Silje Karine Muotka, der Präsidentin des Samischen Parlaments in Norwegen.
Auch die Rentierhalter auf Fosen standen hinter der Besetzung des Ministeriums. Maja Kristine Jåma von der Assoziation der Rentierhalter Südfosens erklärte in einem Telefongespräch mit jW am Sonntag: »Es macht mich und alle anderen hier auf Fosen stolz, dass wir diese Solidarität erleben dürfen. Wir unterstützen die Aktion und freuen uns, dass die Besetzer auf unsere Sorgen und die Sorgen aller Sámi aufmerksam machen. Es geht um Gerechtigkeit und das Vertrauen in den Rechtsstaat. Die norwegische Regierung kann das Richtige tun. Wir warten.«
Windparks haben negative Auswirkungen auf die eng mit der samischen Kultur verknüpfte Rentierhaltung. Die Tiere meiden die Turbinen, Migrationsrouten werden abgeschnitten. In Sápmi, wie das ursprüngliche Siedlungsgebiet der Sámi genannt wird, das sich über die nördlichen Regionen Norwegens, Schwedens, Finnlands und Russlands erstreckt, spricht man in Zusammenhang mit Windparks und Bergwerken, die der »grünen Umstellung« dienen sollen, von »grünem Kolonialismus«. Viele Sámi meinen, dass die Energieumstellungsprogramme der nordischen Regierungen auf ihre Kosten gehen, um die Mehrheitsbevölkerung nicht zu belasten.
Der norwegische Erdöl- und Energieminister Terje Aasland erklärte während der Besetzung in einer Presserunde, dass die Regierung die Situation auf Fosen überprüfe. Man wolle schauen, wie dort weiter zu verfahren sei.
Zu den Unterstützern der Besetzer vor dem Erdöl- und Energieministerium zählte auch die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie engagiert sich stark für die Rechte der Sámi. Sie hat angekündigt, trotz der Räumung des Gebäudes in Oslo zu bleiben, um sich an weiteren Protestaktionen zu beteiligen.
Die Aktionen erinnern an den Widerstand der Sámi gegen den Bau des Alta-Staudamms im Norden Norwegens Anfang der 1980er Jahre. Damals besetzten samische Aktivisten das Büro der norwegischen Ministerpräsidentin, eine Gruppe von Aktivisten trat vor dem Parlamentsgebäude in den Hungerstreik. Die Ereignisse gelten als Geburtsstunde der samischen Bürgerrechtsbewegung und dienten als Vorlage für den 2022 veröffentlichten Spielfilm »Ellos eatnu – La elva leve« (Lasst den Fluss leben; Regisseur: Ole Giæver). Dieser wurde am Sonntag abend auf dem Platz vor dem Erdöl- und Energieministerium gezeigt. In der Hauptrolle: die bereits erwähnte samische Popsängerin Ella Marie Hætta Isaksen.
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