Bedingt verwertbar
Von Frank Rehberg
Da wird eine Sängerin ausgeladen, weil sie Dreadlocks trägt, denn das wird, da sie von weißer Hautfarbe ist, als »kulturelle Aneignung« gewertet. Eine Europäerin soll ein Gedicht einer Afroamerikanerin nicht übersetzen, da sie deren Gefühle angesichts permanenter Diskriminierung schwarzer Menschen nicht kenne. All diese Verwirrungen, Verirrungen, Verrücktheiten können mir nicht passieren: Ich habe seit Jahren und unbefristet einen GdB von 90¹, gelte also als schwerbehindert und darf nach dieser Logik über Behinderung schreiben. Ich frage mich aber, warum ein nicht-»behinderter« Mensch nicht antizipieren können soll, dass ein Mensch, der auf einen Rollstuhl oder einen Rollator angewiesen ist, ohne Aufzug oder Fahrtreppe kaum ein anderes Gleis, das er/sie zur Weiterfahrt aufsuchen soll, erreichen kann. So etwas gibt es immer noch auf »Umsteigebahnhöfen« und behindert auch Nichtbehinderte, zum Beispiel Eltern mit Kinderwagen. Zu glauben, bloß jemand, der ein bestimmtes Merkmal aufweist, wisse um die dadurch induzierten Behinderungen und mache Politik für andere mit denselben Merkmalen, geht fehl. Wolfgang Schäuble sitzt im Rollstuhl, macht(e) aber nie Politik für Rollstuhlfahrer. Waren oder sind Angela Merkel und Annalena Baerbock an einer Politik zur Verbesserung des Lebens von Frauen interessiert?
Was Menschen mit Behinderung sind, wird nach Paragraph 2 Absätze 1 und 2 Sozialgesetzbuch IX (SGB IX)² folgendermaßen definiert: »Menschen mit Behinderung sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung (…) liegt vor, wenn der Körper- oder Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.«
Statt Integration von Menschen mit Behinderung wird jetzt von Inklusion geredet. Beide Begriffe beziehen sich auf eine »Normalität«, in die Menschen mit Einschränkungen (die vielfältig sein können), eingegliedert werden sollen, da sie andernfalls aus dem als normal definierten gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wären. Es geht also darum, wie behinderten Menschen geholfen werden kann und muss, um (an diesem gesellschaftlichen Leben) teilhaben zu können. Es wird zwar keine Erklärung von Inklusion gegeben, aber eine einfache Antwort, wer das Undefinierte bewirken soll: Inklusion soll die ganze Gesellschaft betreiben, alle sollen mitmachen!
Inklusion in die Lohnarbeit?
Unserer Gesellschaft liegt die kapitalistische Produktionsweise zugrunde. Im Kapitalismus geht es vorrangig um den Tauschwert, der Gebrauchswert ist sein Träger. Dies gilt auch für die Ware Arbeitskraft, deren Gebrauchswert bekanntermaßen darin besteht, dass sie mehr Wert produzieren kann, als zu ihrer Reproduktion nötig ist. Der Gebrauchswert (mithin die »Leistungsfähigkeit«) der meisten behinderten Menschen wird von vielen als unzureichend eingeschätzt und ist es häufig auch, doch im Kapitalismus geht es vorrangig genau darum: um eine möglichst hohe Mehrwertrate. Grundlage ist die rechtliche Gleichheit der Arbeitskraftbesitzenden und der Kapitalbesitzenden. Auch die allgemeinen Menschenrechte und die Rechte behinderter Menschen beziehen sich auf diese Gleichheit. Dass dabei das Lohnsystem gilt und wirkt, ist eine Binse. Es gilt für alle, auch für behinderte Menschen. Auch sie müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, um sie zu verwerten. Was aber, wenn sie auf dem Arbeitsmarkt nicht verkaufbar ist? Dann geht es ihnen wie vielen Langzeitarbeitslosen.
Ist dann aber eine Inklusion in die Lohnarbeit tatsächlich attraktiv? Ist es nicht vielmehr so, wie Uwe Becker in seinem Buch »Die Inklusionslüge« schreibt? »Das hier transportierte Gesellschaftsbild lässt völlig außer acht, welche Brüche, Ungleichheiten und sozialen Verwerfungen schon jetzt innerhalb dieser Gesellschaft produziert werden.«³ Diese kapitalistische Gesellschaft, die Konkurrenz befördert und der Mehrwertproduktion wie dem Leistungsprinzip huldigt, wird gleichsam »heiliggesprochen«.⁴ Die »Inklusion«, so schreibt Becker, »wird quasi zum sakralen Akt«.⁵ Was die heutige EU-Komissionspräsidentin Ursula von der Leyen damals im »Nationalen Aktionsplan« der Bundesregierung unter dem Titel »Unser Weg in eine inklusive Gesellschaft« schreiben ließ, mag da zwar richtig klingen: »Ein zentraler Punkt ist die Teilhabe am Arbeitsleben. Arbeit stärkt das Selbstvertrauen, ist sinnstiftend, schafft Kontakte und Freundschaften«.⁶ Doch die ökonomischen Grundlagen, ihre Widersprüche und Auswirkungen, die vor allem behinderte Menschen treffen, bleiben unerwähnt. Explizit wird hingegen ausgesprochen, dass Behinderte fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden sollen, und zwar so, dass ihre Arbeitskraft auch nachgefragt und (mehrwertschaffend) angewendet werden kann. Arbeit ist hier vor allem Erwerbsarbeit im Dienste des Kapitals. Bei solchen Verlautbarungen und dem gleich lautenden Dauerfeuer der Medien ist es da kein Wunder, dass die verbreitete Verklärung dieser Gesellschaft und ihrer Werte auch im Kopf vieler behinderter Menschen verankert ist.
Zeit ist Geld
Eine Gesellschaft reproduziert sich und ihre Mitglieder durch Produkte und Dienstleistungen. Arbeit ist notwendig für die Sicherung der Reproduktion. Was, wieviel, wie und wo etwas angeboten und produziert wird, bestimmen in einer freien Gesellschaft all ihre Mitglieder.
In kapitalistischen Gesellschaften bestimmen über Maß und Qualität der Dienstleistungen und Produkte die Kapitaleigner oder das von ihnen eingesetzte Management allein – getrieben von der Notwendigkeit, Maximalprofite zu realisieren und die Konkurrenz zu schlagen. Für die Arbeitenden fällt etwas zur Reproduktion ihres Lebens ab. Nicht für alle und immerzu, denn Löhne sind auch Kosten und schmälern den Gewinn. Wenn das Management den erwarteten Gewinn nicht beibringen kann, werden zum Beispiel Arbeitsplätze abgebaut, Produktionsstätten verlagert oder gleich ganz dicht gemacht. Arbeiter verlieren dann ihre Reproduktionsgrundlage. Und tatsächlich noch mehr, zum Beispiel die Möglichkeit, sich mit Kollegen auszutauschen und ihr Selbstwertgefühl zu steigern, denn sie sind infolge des Arbeitsplatzverlustes nicht mehr an der Reproduktion der Gesellschaft beteiligt – ein Schicksal, das viele behinderte Menschen meist schon frühzeitig erleiden. »Ein Leben in Arbeitslosigkeit führt in der Regel zu derart finanziellen und sozialen Ein- und Umbrüchen der Lebenslage, dass neben der materiellen Not auch Depression, Rückzug, Krankheit, Sucht oder sogar Suizid die Folge sind.« Sie fallen in die »Kammer der Scham« (Becker) und müssen mit einer noch geringeren Rente rechnen.
Kommt hinzu, dass die politisch-ökonomischen Parameter dieser Gesellschaft auch im Kopf vieler Behinderter fest verankert sind. Mache ich das an meiner Person fest, dann bin ich zwar dankbar für die Rampe zu den Gleisen des Hauptbahnhofs, die ich mit meinem Rollator gut bewältigen kann. Auch kann ich selbständig in den ICE einsteigen (bei alten D-Zug-Waggons ist das schon viel schwieriger), aber ich brauche (nicht nur wegen der Lücke zwischen Waggon und Gleisen sowie der Höhe der Waggons) länger als »normale« Menschen. In meinem Kopf ist dann der Gedanke vorherrschend, eventuell andere Menschen zu behindern, die schneller einsteigen können und wollen. Dass Zeit in dieser Gesellschaft eine große Rolle spielt, ja Geld sei, ist uns allen seit früher Kindheit und nicht nur in der Schule eingebläut worden. Diese Gesellschaft fordert und adelt »Leistung«, die am Output und der dazu benötigten Zeit gemessen wird. Diese Leistungsgesellschaft wird täglich in den Medien als gut und alternativlos präsentiert. Das erfasst selbstverständlich auch behinderte Menschen, außer sie sind taub und blind oder gleich beides. Zwei Gedanken spielen sich also in der vorgestellten Situation in meinem Hirn ab: Schnell in den Waggon kommen, um andere zeitlich nicht zu behindern. Nicht gedacht wird: Der Zug fährt noch lange nicht ab, wir haben Zeit, können uns Zeit lassen. Aber damit nicht genug. Du kommst zum reservierten »Behindertensitzplatz«, vor dem Raum zum Beispiel für einen Rollstuhl ist. Doch der Platz ist besetzt. Häufig von Müttern mit Kleinkindern. Die lässt du sitzen, denn du kennst aus eigener leidvoller Erfahrung das Problem, einen freien Platz zu finden, an dem beziehungsweise in dessen Sichtweite es einen Stellplatz für dein notwendiges Hilfsmittel gibt. Und die Gänge eines ICE-Waggons sind eng. Rollatoren aus Deutschland kommen da nicht durch, norwegische indessen können leicht in der Breite verringert werden und sind zudem leichter. Aber die zahlt die Kasse nicht und wenn, dann nur den Differenzbetrag zwischen dem norwegischen und dem deutschen Rollator.
Hohe Erwerbslosigkeit
Vor ähnlichen Problemen wie dem geschilderten stehen etliche Hunderttausend Menschen in diesem Land. Laut Statistischem Bundesamt lebten zum Jahresende 2021 7,8 Millionen schwerbehinderte Menschen in Deutschland. Das sind 9,4 Prozent der »erwerbsfähigen« Gesamtbevölkerung.⁷ Werden alle behinderten Menschen, auch die sogenannten Gleichgestellen⁸ einbezogen, sind es laut Mikrozensus 2019 10,36 Millionen beziehungsweise 12,7 Prozent. Nicht nur, dass die Einschränkungen ihnen das Leben erschweren – behinderte und insbesondere schwerbehinderte Menschen sind viel stärker als nichtbehinderte Menschen von Arbeitslosigkeit betroffen. »Die Arbeitslosenquote unter den schwerbehinderten Menschen lag 2019 bei rund 15 Prozent, mehr als doppelt so hoch wie bei der Gesamtheit der Erwerbsfähigen.«⁹ Diese Zahlen werden steigen, denn es wird mehr ältere Menschen geben und bei ihnen liegt die Zahl derer, die eingeschränkt beziehungsweise schwerbehindert sind, noch höher.
2020 gab es nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit knapp 25 Millionen Arbeitsplätze bei privaten und öffentlichen Arbeitgebern, die in die Zählung und Bemessung von sogenannten Pflichtarbeitsplätzen für Behinderte (nach Paragraph 157 SGB IX) eingehen. Aus dieser Berechnung ergaben sich knapp 1,2 Millionen Pflichtarbeitsplätze, rund 300.000 wurden nicht besetzt. Unternehmen, die keine Menschen mit Behinderung einstellen, müssen nach Paragraph 160 SGB IX eine Ausgleichsabgabe zahlen, die sich meist im Bereich von 125 bis 320 Euro pro Jahr bewegt.¹⁰
Im Jahr 2021 waren rund 320.000 Menschen mit Behinderungen in den Mitgliedswerkstätten der BAG WfbM (Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen e. V.) beschäftigt, 270.000 zu ihrer Arbeits- und Berufsförderung im Arbeitsbereich. Eine der Aufgaben dieser Werkstätten ist es, behinderte Menschen in den »ersten Arbeitsmarkt«, in ein »normales Arbeitsverhältnis« zu bringen. Dies gelingt nicht einmal bei einem Prozent dieser Beschäftigten. Wollen sich behinderte Menschen in der Industrie oder im Dienstleistungsbereich ausbeuten lassen, wird ihnen das also zumeist verwehrt. Es gibt keine »behindertengerechten« oder »behindertengeeigneten« Arbeitsplätze, sie sind längst outgesourct oder zu teuer.
Ein Highlight ist eine Studie der »Aktion Mensch« von 2013. Sie trägt den Titel »Chancen und Barrieren für hochqualifizierte Menschen mit Behinderung«. Auch die Verfasser dieser Studie gehen davon aus, dass ein hoher Bildungsgrad die Chancen auf dem ersten Arbeitsmarkt erhöht oder gar die Einstellung an einem adäquaten Arbeitsplatz garantiert. Dabei werden diese Menschen sogleich in Konkurrenz zu anderen gesetzt: »Es zeigt sich im Gesamtbild, dass Menschen mit Behinderung als inländische Fachkräfteressource nicht durchgängig und konsequent in den Blick genommen und benannt werden wie beispielsweise Frauen oder ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.«¹¹
Billige Arbeitskräfte
Das Kapital verlangt nach billigen Arbeitskräften, denn geringere Lohnkosten steigern den Gewinn. Da ist es verständlich, dass manche Unternehmen bestimmte Tätigkeiten in Werkstätten für Behinderte verrichten lassen – nicht aus sozialer Verantwortung, sondern weil dort deutlich niedrigere Löhne gezahlt werden. Das gilt im übrigen auch für den Strafvollzug.
Nach Angaben des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales betrug das durchschnittliche Entgelt beschäftigter Menschen mit Behinderungen in den Werkstätten im Jahr 2021 monatlich 212 Euro (inklusive 52 Euro Arbeitsförderungsgeld). In den ostdeutschen Bundesländern erhielten die Behinderten noch weniger. Geradezu zynisch klingt angesichts der niedrigen Entgelte für Menschen mit Behinderung in den Werkstätten die Aussage der SPD-Fraktionsvorsitzenden Helga Hügenell im Bezirksparlament Oberbayern: »Es gibt Tätigkeiten, die mit geringer Entlohnung möglich sind.«¹² Hatte die SPD im Wahlkampf noch geworben »Soziale Politik für dich«, bildete sie nach der Wahl eine Koalition mit der CSU im nämlichen Bezirkstag. Die CSU kennt man für ihre soziale Politik. Dass Menschen in den Werkstätten so billig sind, ist rechtlich sanktioniert: In Paragraph 221 SGB IX werden Behinderte als »arbeitnehmerähnliche Arbeitnehmer*innen« definiert, für sie gilt weder Mindestlohn noch Streikrecht. Wie heißt es doch so schön: Alle sind vor dem Gesetz gleich?
Gegen die Diskriminierung und die Einschränkung von Menschenrechten wenden sich Behinderte und auch eine Koalition der Betreiber von Werkstätten. Sie fordern unter anderem, dass Menschen mit Behinderung den vollen »Arbeitnehmerstatus« und einen gesetzlichen Anspruch auf Mindestlohn erhalten. Beschäftigte mit Teilhabeanspruch sollen Kündigungsschutz in der Werkstatt genießen sowie ein Recht auf Rückkehr in die Werkstatt haben, sollte ein Arbeitsverhältnis bei einem anderen »Arbeitgeber« ihrerseits oder seitens des »Arbeitgebers« beendet werden. Und sofern beim »Arbeitgeber« Tarifrecht besteht, müssen die Beschäftigten mit Teilhabeanspruch im jeweiligen Tarifwerk eingruppiert werden.
Letzteres setzt voraus, dass Tarifwerke geschaffen und vereinbart werden, die Behinderte mit ihrer Behinderung erfassen. Dies stellt auch die Frage der Leistungsanforderung, der Leistung überhaupt, der Leistungsmessung und der Entgeltbemessung. Und nicht zuletzt muss ein solcher Tarifvertrag auch angewendet werden können, das heißt, die Täger der Werkstätten und die Unternehmen müssen ihm beitreten. Zweifel sind dabei erlaubt. In einem Interview mit der in Mainz erscheinenden Allgemeinen Zeitung vom 9. Januar 2023 äußerte ein führender Mitarbeiter einer von der Caritas geführten Werkstatt: »›Wir sehen uns nicht als Arbeitgeber, sondern als Rehaeinrichtung‹ (…). Es gehe nicht immer nur um Geld, Arbeit sei ja auch sinnstiftend«.
Für eine grundlegende und nachhaltige Änderung der Behindertenpolitik ist ein Systemwechsel notwendig. Wir müssen in den Kopf bekommen, dass behinderte Menschen nicht Menschen zweiter Klasse oder Almosenempfänger sind beziehungsweise sein wollen. In einer menschlichen Gesellschaft darf nicht vorkommen, was der Fraktionssprecher der CSU im Bezirkstag Oberbayern sagte: »Wer Hilfe in Anspruch nimmt, der muss auch zufrieden damit sein, was er kriegt!«¹³
Anmerkungen
1 GdB ist die Abkürzung von »Grad der Behinderung«. Der Grad der Behinderung (GdB) beziffert die Schwere einer Behinderung. Er ist also das Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Der GdB kann zwischen 20 und 100 variieren. Er wird in Zehnerschritten gestaffelt. Ab einem GdB von 50 gilt jemand als schwerbehindert. Der GdB und seine Dauer werden von Medizinern festgestellt und dem Versorgungsamt oder dem Landesamt für soziale Angelegenheiten festgeschrieben und vergeben. Vom GdB ist abhängig, welche Hilfeleistungen ein solcher Mensch beanspruchen kann beziehungsweise welche Rechte und Pflichten er oder sie hat. Mein GdB ist den Folgen einer Hirnblutung (vulgo: Schlaganfall) geschuldet.
2 Das SGB IX (und nicht nur dieses Sozialgesetzbuch) wurde mit dem Bundesteilhabegesetz geändert und den sich aus der UN-Behindertenrechtekonvention ergebenden internationalen Verpflichtungen angeglichen.
3 Uwe Becker: Die Inklusionslüge. Behinderung im flexiblen Kapitalismus, Bielefeld, 2015, S. 12
4 Vgl. ebenda, S. 13
5 Ebenda, S. 12
6 Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Nationaler Aktionsplan, Berlin, 2011, S. 3
7 Gerade bei statistischen Angaben sollte beachtet werden, was sie messen beziehungsweise was die jeweiligen Zahlen angeben.
8 »Schwerbehinderte Menschen sollen Menschen mit Behinderung mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30 gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz (…) nicht erlangen oder behalten können« (Paragraph 2 Absatz 3 SGB IX). Gleichgestellte behinderte Menschen haben zwar keinen Anspruch auf Zusatzurlaub, werden aber bei der Berechnung der Ausgleichsabgabe auf die »Pflichtplätze« angerechnet.
9 Kittner: Arbeits- und Sozialordnung, 45., überarbeitete Auflage, Frankfurt am Main, 2020, S. 1660
10 Sollte das ausgleichsabgabepflichtige Unternehmen Aufträge an Behindertenwerkstätten geben, kann bis zur Hälfte der Auftragssumme auf die Ausgleichsabgabe angerechnet werden.
11 Mathilde Niehaus, Jana Bauer: Chancen und Barrieren für hochqualifizierte Menschen mit Behinderung. Übergang in ein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis, Bonn, 2013, S. 24
12 Zit. n. Maria Mayr, Klaus Weber: Behindertenpolitik in Oberbayern. Ausgrenzung, Demütigung und Schikane? München, 2020, S. 16. Helga Hügenell erhält 1.800 Euro Aufwandsentschädigung im Monat.
13 Zit. n. ebenda, S. 5
Frank Rehberg ist Bildungsreferent bei Verdi Bildung und Beratung in München.
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Leserbrief von Dr. med. Ralf Cüppers aus Flensburg (11. Februar 2023 um 01:56 Uhr)Vielen Dank für den Beitrag, der das Problem klar benennt. Menschen mit Behinderungen verdienen denselben Tariflohn wie nichtbehinderte arbeitende Menschen. Sie schlechter zu entlohnen ist grundgesetzwidrige Diskriminierung, siehe Artikel 3 (3) Satz 2 GG, der ist im Wortlaut eindeutig. Das im Beitrag abgebildete »Team Diakonie« ist eine verfassungsfeindliche Organisation. Sollte aufgrund der Behinderung nur eine geringere Arbeitsleistung erbracht werden können, darf der Betrieb, der einen leidensgerechten Arbeitsplatz bereitstellt, gerne aus den Mitteln der Schwerbehindertenabgabe so reichlich gefördert werden, bis sich das für ihn rechnet. Dazu wird diese Abgabe so weit angehoben, bis sie ausreicht, für jeden Menschen mit Behinderung einen tariflich entlohnten Arbeitsplatz auf dem »ersten Arbeitsmarkt« zu schaffen. Lohnkürzung für Behinderte unterhalb des Tariflohnes geht gar nicht! So werden Menschen mit Behinderung doppelt entwürdigt: Sie werden zunächst aufgrund ihrer Behinderung für erwerbsUNFÄHIG erklärt und müssen Transfereinkommen bekommen, das aus Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen der Nichtbehinderten finanziert wird. Dann erleben sie mit ihrer Lohnabrechnung von den Werkstätten, ihre Arbeit sei noch nicht einmal zwei Euro die Stunde wert. Damit ist Selbst-Wert-Gefühl zerstört. Die menschenverachtenden Träger der Werkstätten für Behinderte, die von dieser Ausbeutung profitieren, müssen gesetzlich verboten und sozial geächtet werden.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in daniel h. aus Berlin ( 9. Februar 2023 um 00:16 Uhr)Danke, dass ihr den Artikel gebracht habt. Aus meiner Sicht ist er aber eine Enttäuschung, der erste Absatz ist völlig überflüssig. Den Begriff Inklusion so zu verwerfen, statt ihn konsequent von Integration abzugrenzen, ist dumm. Bei Integration muss sich der Mensch an die Gesellschaft anpassen und bei Inklusion die Gesellschaft an den Menschen. Das heißt, wir brauchen eine Arbeitswelt, die nach dem Prinzip »Jeder nach seinen Fähigkeiten« gestaltet wird, und wenn dies der Kapitalismus nicht leistet, muss der Kapitalismus weg und nicht Inklusion zur Illusion erklärt werden, und dass der Kollege Werkstätten verteidigt, ist eines Gewerkschafters in der Position nicht würdig.
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