Die Damen räumen ab
Von Gabriel Kuhn
Vorige Woche fanden die Para-Ski-Weltmeisterschaften statt. Allerdings nicht, wie ursprünglich geplant, an einem Ort, sondern aufgeteilt nach alpinen und nordischen Weltmeisterschaften. Auch die Snowboard-WM hätte gleichzeitig stattfinden sollen – dazu kam es nicht.
Aber der Reihe nach: Im Juli 2022 übertrug das Internationale Paralympische Komitee IPC die Schirmherrschaft der Para-Ski-Weltmeisterschaften an den Internationalen Skiverband FIS. Die Änderung sollte für mehr Integration der Para-Skisportler und bessere Vermarktung sorgen. Der Präsident des IPC, Andrew Parsons, erklärte damals: »Als IPC wollen wir jeder einzelnen Person danken, die zur Entwicklung des alpinen Skisports, des nordischen Skisports und des Snowboardsports innerhalb des Para-Sports beigetragen hat. Der Para-Skisport ist heute um vieles stärker, als er es war, als wir ihn unter unsere Fittiche nahmen. Es ist an der Zeit, dass er unter der Leitung der FIS den nächsten Schritt nach vorne macht.«
Im Januar 2022 hielten im norwegischen Lillehammer unter dem Aufhänger »Para Snow Sports World Championships« alle Para-Skisportler ihre Weltmeisterschaften gemeinsam ab. Das Event galt als großer Erfolg, und die FIS wollte eigentlich dort anschließen. Doch aus den in Åre (Alpin, Snowboard) und Östersund (Nordisch) gemeinsam geplanten Weltmeisterschaften 2023 wurde nichts. Åre stieg wegen organisatorischer Unklarheiten nach dem Übergang von IPC zu FIS als Veranstalter aus, weswegen die Alpin- und Snowboardwettbewerbe nach Spanien verlegt wurden: Die Alpinen sollten nun in Espot um Medaillen kämpfen, die Snowboarder in La Molina. Doch in La Molina war es zu warm, weswegen die Snowboardweltmeisterschaften dort nun im März stattfinden sollen.
Auch zu Beginn der Para-Ski-Weltmeisterschaften traten Alpine und Nordische gemeinsam an, erstmals 1974 in Le Grand-Bornand in Frankreich. Ab 1990 trennten sich die Wege, alpine und nordische Skiweltmeisterschaften wurden jedoch weiter in denselben Jahren abgehalten. Eine alpine Para-Ski-WM in Deutschland gab es nie, doch die Athleten im nordischen Skisport waren 2003 in Baiersbronn in Baden-Württemberg und 2017 in Finsterau im Bayerischen Wald zu Gast. Eine Para-Snowboard-WM wurde erstmals 2015 in La Molina organisiert.
Bei den alpinen und nordischen Para-Skiweltmeisterschaften kommt es zu Wettkämpfen in vertrauten Disziplinen, von Abfahrt bis Slalom bei den Alpinen, von Ein-Kilometer-Sprints bis zur 20-Kilometer-Langstrecke bei den Langläufern. Die Biathlon-Wettbewerbe sind im Para-Sport an die nordischen Skiwettbewerbe angeschlossen. Bei der Durchführung der Wettbewerbe wird die FIS nunmehr von der Internationalen Biathlon-Union (IBU) unterstützt. Ein entsprechendes Abkommen wurde mit dem Übergang von ICP zu FIS als Veranstalter der Großereignisse unterzeichnet. Im Snowboard finden Wettbewerbe im Snowboard Cross (vier Starter, wer als erster ins Ziel kommt, gewinnt) und im Dual Banked Slalom (einem Parallelrennen) statt.
Bei Alpinen und Nordischen wird in drei Kategorien um Medaillen gekämpft: stehend, sitzend, sehbehindert. Früher gab es mehr Kategorien, was die Wettkämpfe für das Publikum jedoch oft unübersichtlich machte. Ob die Zusammenfassung vieler unterschiedlicher Behinderungen in drei Kategorien sportlich fair ist, ist eine andere Frage. Am Klassifizierungssystem wird seit langem gefeilt, auch an unterschiedlichen Regelungen für Zeit- oder Punktegutschriften. Vollständig zufriedenstellend ist keine Lösung.
Bei den Paralympischen Winterspielen in Beijing 2022 gab es zahlreiche Diskussionen zum »Klassifizierungsdoping«. Entsprechende Vorwürfe betrafen fast ausschließlich das sehr erfolgreiche chinesische Team. In China habe man das komplexe, auf ärztlichen Gutachten, Untersuchungen durch Sportverbände und Beobachtungen in Training und Wettkampf beruhende Klassifizierungssystem hintergangen, meinten viele europäische und nordamerikanische Betreuer. Die US-Amerikanerin Oksana Masters, die im Skilanglauf dreimal hinter ihrer chinesischen Konkurrentin Yang Hongqiong landete, beschimpfte diese nach einem Zieleinlauf gar als »Betrügerin«.
Zu Aufregungen dieser Art kam es bei den diesjährigen Para-Ski-Weltmeisterschaften nicht. China entsandte aufgrund der Coronakrise im Land keine Teams. Genausowenig am Start waren Teams aus Russland und Belarus aufgrund der im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg verhängten Sanktionen.
Für die deutschen Teams lief es bei beiden Weltmeisterschaften gut. Bei der nordischen Ski-WM im schwedischen Östersund stand man am Ende mit achtmal Gold, fünfmal Silber und zweimal Bronze im Medaillenspiegel ganz oben. Erfolgreichste Athletin war die erst 16jährige sehbehinderte Langläuferin und Biathletin Linn Kazmaier (SZ Römerstein), die insgesamt sechs Medaillen holte, vier davon in Gold. Fünfmal stand die sitzende Langläuferin und Biathletin Anja Wicker vom MTV Stuttgart auf dem Podium. Vier Medaillen holten der sehbehinderte Langläufer und Biathlet Nico Messinger vom Ring der Körperbehinderten Freiburg sowie die sehbehinderte Langläuferin und Biathletin Leonie Walter vom SC St. Peter. Dass Alter kein Hindernis für Spitzenleistungen ist, bewies der 53jährige stehende Langläufer Alexander Ehler (SV Kirchzarten), der mit der Mixed-Staffel Bronze holte.
Bei der Alpin-WM im spanischen Espot blieben die deutschen Männer ohne Medaillen, doch die Damen räumten ab, allen voran die vierfache Paralympics-Siegerin Anna-Lena Forster (BRSV Radolfzell). In der Kategorie sitzend gewann sie vier von fünf möglichen Goldmedaillen, nur in der Abfahrt musste sie sich der Niederländerin Barbara van Bergen geschlagen geben. Anna-Maria Rieder (RSV Murnau/SC Garmisch) gewann in der Kategorie stehend vier Medaillen, Andrea Rothfuss (SV Mitteltal-Obertal) in derselben Kategorie drei.
Die erfolgreichste Skifamilie bei der WM in Espot waren die Aigners aus Niederösterreich. Die drei sehbehinderten Geschwister Johannes, Veronika und Barbara gewannen insgesamt achtmal Edelmetall. Insgesamt kamen Deutschland und Österreich auf je elf Medaillen, dank einer goldenen mehr belegte Österreich den ersten Rang im Medaillenspiegel.
Aufgrund der Neustrukturierung des Para-Skisports sind die Weltmeisterschaften für 2025 noch nicht vergeben. Fest stehen als zukünftiger Höhepunkt die Paralympischen Winterspiele in Milan und Cortina d’Ampezzo 2026. Die Wettbewerbe im alpinen Skisport, nordischen Skisport und Snowboarden machen dort fast das gesamte Programm aus. Hinzu kommen einzig Para-Eishockey (»Sledge Hockey«) und Rollstuhl-Curling.
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